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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

Küche schleudernd, so daß auch diese schon drohte, krachend zusammenzubrechen.

Oberlieutenant Keim machte in diesem Augenblick den Vorschlag, auf den Vordermast zu klettern, um vom Verdeck nicht fortgespült zu werden. Hauptmann Müller aber schüttelte mit dem Kopfe. „Wozu sich da droben noch lange abquälen?“ meinte er; „unser Stündlein hat geschlagen, und ich verspüre schlechte Lust, jetzt noch mit Minuten zu geizen.“

Lieutenant Meder, der das schweigend mit angehört, drehte sich noch einmal um, mit finsteren Blicken über das Meer hin schweifend. Seine Gesichtszüge waren in diesem Augenblicke fest wie Stahl. Rasch wendete er sich dann wieder zu seinem Vorgesetzten. „Sie haben Recht, Hauptmann,“ sagte er dann, indem er militärisch grüßte. „Adieu, Cameraden, ich gehe in den ewigen Schlaf.“ Und festen Schrittes ging er hinab in die Cajüte, in die das Wasser schon eingedrungen war.

Ein stämmiger Carabinier hatte ihn mit den Blicken verfolgt, bis er verschwunden war. Die starren Gesichtszüge des Carabiniers wurden dann plötzlich lebendig, als ringe sich aus der Seele ein großer Entschluß los. Dort, einige Schritte von dem Carabinier, hielt sich ein Voltigeur krampfhaft an der Galerie fest, das Gesicht unverwandt dem Meere zugekehrt. Mühsam ging der Carabinier hinüber zu dem Cameraden. Sie waren die Söhne zweier Schwestern, aus einem und demselben Dorfe gebürtig. Kein Wunder, wenn sie das ganz besonders aneinander fesselte. Aber sie hatten auch eine gemeinsame Erinnerung, welche sich in diesem Augenblicke noch mehr geltend machte, als die Bande des Blutes. Der Carabinier klopfte dem Voltigeur leise auf die Schulter. „Weißt Du, Franz,“ sagte er dann, „was ich möchte?“

Der Voltigeur nickte.

„Ja,“ fuhr der Carabinier fort, und in seiner Aufregung achtete er nicht darauf, daß die Umstehenden es hörten, „es geht mir heute wieder wie in der unglücklichen Schlacht von Vitoria. Ich kann den Blick des Alten von Arenas auch heute nicht los werden. Mir ist, als wenn wir eben jetzt in den Keller drängen, als wenn wir eben jetzt im hellen Schein der Lampe anstatt des Weines, den wir suchten, das verdammte Gold blinken sähen, das der Alte vergraben wollte. Siehst Du? Da steht er jetzt wieder leibhaftig vor mir. Er hebt drohend seine Hacke, aber seine Kniee, seine Arme, seine knochigen Hände zittern. Wir stoßen ihm doch, Du und ich, in einem und demselben Augenblick, als wenn wir commandir würden, die Bajonnete in die nackte Brust. O, ich seh’ ihn noch zuckend zusammenstürzen und sterben.“

Der Voltigeur schwieg eine Weile. „Bah,“ sagte er dann, „auf das Geld hatten wir ein Recht, denn General Leval hatte wegen des grausamen Hinschlachtens der westphälischen Chevauxlegers das Plündern und Verbrennen der mörderischen Stadt befohlen. Und was den Alten betrifft, weshalb drohte er uns? Auch war’s immerhin noch besser für ihn, er starb durch unsere Bajonnete, als wenn er sich in der brennenden Stadt elend zu Tode hätte rösten lassen, wie so mancher von unseren betrunkenen Cameraden.“ „Ob wir nun recht oder unrecht gethan,“ entgegnete der Carabinier, „ich will jedenfalls nicht mit dem Golde hier in der Fluth begraben werden.“ Und damit schleuderte der Carabinier die Beute von Arenas, die er noch immer bei sich trug, weithin in’s brausende Meer. Der Voltigeur lachte. Aber das Gold seines Cameraden war kaum in der Tiefe verschwunden, da wühlte auch er in den Taschen und ließ darauf gleichfalls eine Handvoll Goldes langsam in’s Meer rollen. In demselben Augenblicke ging eine Woge hoch über die Küche hin. Sie riß einen Theil des Daches ab und schleuderte ihn gegen den Voltigeur und den Carabinier. Beide taumelten, stürzten und verschwanden wie ihr Gold in der Tiefe.

Lieutenant Keim wiederholte jetzt seinen Rath, auf den Vordermast zu klettern, und führte den Vorschlag seinerseits auch sogleich aus. Lieutenant Wernecke, Dümmler und Andere folgten ihm. Die Einen kauerten dicht aufeinander im Mastkorbe, die Anderen, die noch ein Plätzchen fanden, klammerten sich an der Leiter fest. Und wieder brauste jetzt eine Woge, stärker als je zuvor, über das Schiff hin. Sie zertrümmert, was noch von der Küche steht, und zerdrückt einen großen Theil der Galerie. Aber was das Entsetzlichste war: sie reißt auf einmal fünfzig Menschen mit fort, die sich an der Galerie festgehalten hatten. Fünfzig auf einmal verschwunden in der Tiefe!

Hauptmann Müller und Lieutenant Groß blieben trotzdem noch immer auf dem Verdeck. Sich gegenseitig umschlingend, hielten auch sie sich an einem Theil der Galerie fest, den die Wogen noch nicht zertrümmert hatten und der stark genug zu sein schien, ihnen noch länger zu trotzen. Von Nässe und Kälte erstarrt, wurden sie wiederholt rücklings auf das Verdeck geschlendert. Nur mühsam rafften sie sich wieder auf. Jetzt kommt in der That auch ihre Stunde. Abermals naht ein gewaltiger Wogenschwall und reißt den Hauptmann hinab in’s Meer. Die am Maste sehen es mit an, und trotz all’ der Schrecken, die sie nun schon erlebt hatten, erfaßt sie ein neues Grausen. „Ich muß meinen Hauptmann retten,“ schreit der Sergeant Philipp Dietz und eilt die Mastleiter hinab auf’s Verdeck. Auf dem Hintertheile des Schiffes befindet sich noch ein kleines Boot. Dietz versucht, es zu lösen, um es dann in’s Meer hinabzulassen. Da wird auch er hinabgespült von der Fluth. Mit demselben Ruf: „Ich muß ihn retten!“ war aber noch ein Zweiter, der Bediente des Hauptmanns, Wilhelm Schwarz aus Hasselbach, von der Mastleiter hinabgesprungen, um sich sofort in’s Meer zu stürzen. Rettung zu bringen, vermochte aber der Eine so wenig wie der Andere. Die Fluth begrub sie gleichzeitig alle Drei.

In anderer Weise als Hauptmann Müller sollte Lieutenant Groß sein Ende finden. Dieselbe Woge, welche den Anderen mit fort in’s Meer gerissen, halte ihn seitwärts zwischen Trümmer und Balken geschlendert, die ihn, vom Wasser heftig hin und her gestoßen, langsam zermalmten. Die Leute in dem Mastkorbe sahen ihn zucken und sterben.

So war denn das allgemeine Elend immer größer und größer geworden. Auch die auf dem Mäste litten entsetzlich. Zitternd und bebend vor Frost, auch dort oben immer auf’s Neue von der Fluth durchnäßt und vom eisigen Winde unablässig durchweht, fingen sie gar bald an, die Todten sogar zu beneiden. Lieutenant Krift, der sich seither schwebend in den Tauen festgehalten und nun fühlte, daß seine Kraft erlahme, sprang hinab auf’s Verdeck und dann mit dem Rufe: „Lebt wohl, Cameraden!“ in’s Meer. Andere folgten unwillkürlich, indem sie langsam erstarrten und dann bewußtlos hinabkollerten. Ein ähnliches Schicksal ereilte auch den Lieutenant Gödecke. Er hatte sich auf eine Walze gelegt, die am Maste befestigt war und zum Auf- und Abwinden der Anker diente. Auch er war dort erstarrt und so von den Wogen widerstandslos fortgespült worden. Andere verwickelten sich, indem sie von den Wellen mit fortgerissen wurden, mit den Füßen in den Tauen und wurden so vom Sturme hin und her geschleudert, bis ihre Glieder an den Balken des Schiffes zerschellten. Auch der Capitän und der Steuermann starben, aber Niemand weiß, wie sie zu Grunde gegangen.

Als der Tag endlich zu sinken begann und das Meer wieder einmal etwas ruhiger geworden war, erscholl plötzlich der Ruf: „Ein Boot! Ein Boot!“ In der That, ein Boot kam heran und zwar mit vollen Segeln. Es kam von der Flotte her, deren Maste unsere Schiffbrüchigen schon am Morgen in der Ferne gesehen hatten. Das Boot kam bis auf Sprechweite heran. Es erfolgte dann in französischer Sprache die Anfrage, woher das gestrandete Schiff komme und was es an Bord führe. „Es kommt aus England,“ war die Antwort, „und führt deutsche Truppen an Bord.“ Und wieder rief man jetzt aus dem Boot: A revoir jusqu'à demain.“ (Auf Wiedersehen bis morgen.) Dann wandte es sich und segelte zurück zur Flotte. Wie sich nachher herausstellte, war diese Flotte, von der das Boot als ein trügerischer Bringer der Rettung hergesandt worden war, die französische, die nicht sehr fern von der Unglücksstätte, unter dem Oberbefehl des Viceadmirals Grafen Verhuel im Helder lag.

Als das Boot verschwunden war, kam allmählich d!e Nacht, auch diese über alle Beschreibung schrecklich. Sie schien an Dauer der Ewigkeit zu gleichen, einer Ewigkeit, deren furchtbares Einerlei mitunter nur dadurch unterbrochen wurde, daß ein langsam Erstarrter schweigend von der Mastleiter hinab auf’s Verdeck und dann in’s Meer stürzte. Doch endlich ward es auch wieder Morgen, zum zweiten Male nach dem Schiffbruch. Die Wogen des Meeres gingen nicht mehr über das Schiff hin. Man verließ den Mast und ging wieder hinunter auf das Verdeck. Zu den alten Qualen aber gesellten sich hier die Schmerzen des Hungers. Es wurde deshalb mit eisernen Haken in dem inneren Schiffsraum nach Lebensmitteln gesucht. Zum Glück gelang es, ein Fäßchen mit Mehl heraufzufischen und gleich nachher noch ein zweites mit süßem

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 314. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_314.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)