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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)


In wenigen Wochen waren meine Geschäfte beendigt, bereits hatte ich den Auftrag erhalten, mich hierauf an den wein- und sagenreichen Untermain zu begeben, und noch hatte ich keinem Haberfeldtreiben beigewohnt, noch kannte ich’s nur aus dem Hörensagen. Wohl wurden auch häufig Treiben für einen bestimmten Ort und Tag angesagt, ich blieb dann regelmäßig mit ebenfalls Neugierigen bis nach Mitternacht wach, um die Haberer abzuwarten. Aber wenn wir auch bis zum Morgen warteten, immer war es vergebens, denn wenn ich bei Rosenheim wachte, fand das Treiben bei Holzkirchen statt, und wenn es für Holzkirchen angesagt war, wurde es in Miesbach abgehalten.

Stets aber wurden außer Tag und Ort, wo das Treiben statt finden sollte, noch einige weitere Umstände auf geheimnißvolle Weise verbreitet, so daß Jedermann glauben mußte: aber heute findet es ganz gewiß statt. – Durch diese Taktik wurde ich sechs bis acht Mal dupirt; doch nicht ich allein, denn auch die Polizei verfolgte die Haberer mit einem ebenso großen Interesse wie ich und traf stets ausgedehnte Sicherheitsmaßregeln zum Empfang der nächtlichen Ruhestörer, die indeß regelmäßig vier bis sechs Stunden davon entfernt in aller Ruhe ihr Amt übten.

So hatte ich längst alle Hoffnung aufgegeben, und jetzt sollte ich durch einen reinen Zufall plötzlich Zeuge dieser mitternächtigen Behme werden. Ich war entschädigt für den gehabten Schrecken, entschädigt für den unfreiwilligen Aufenthalt in der naßkalten Herbstnacht, und erwartungsvoll gab ich mich meinem Schicksale hin.

Unweit von uns tauchen zahlreiche Lichtlein auf, die behend hin- und herspringen, und die beleuchteten Fenster, deren Zahl sich mit jedem Augenblick vergrößert, lassen uns erkennen, daß wir bereits in die unmittelbare Nähe von L. gekommen waren. Ein Rennen und Jagen in allen Häusern, der ganze Ort ist auf den Beinen. Zu dem Heidenspectakel, der in ungebrochener Stärke fortdauert, kommt jetzt noch das Brüllen des scheugewordenen Rindviehes, das aus den schlecht verschlossenen Ställen ausbricht und nun rasend herumirrt.

Inzwischen waren leichtgekleidete Gestalten vielleicht die Mehrzahl der Dorfbewohner, in hastiger Eile herangekommen und umstanden in weitem Kreis die Haberer. Der Lärm ließ nach und war bald ganz verschwunden. Da lodert plötzlich ein Fackelbüschel blutig roth auf und läßt ziemlich deutlich eine bis au die Zähne bewaffnete Männergruppe mit geschwärzten Gesichtern erkennen, während ein weiter Ring von bewaffneten Gestalten jene Gruppe einschließt.

Eine Stentorstimme läßt sich vernehmen: „Graf Pappenheim!“ (Damals Bezirksamtmann in Tölz.) „Hier!“ rief ein Anderer, und weiter „König Max!“ – „Hier!“ – „Abt Hanneberg!“ – „Hier!“ – „Prinz Carl!“ – „Hier!“ – „Andreas Hofer!“ – „Hier!“ – „Napoleon!“ – „Hier!“ – „Schinderhannes!“ – „Hier!“ und so ging’s fort, sämmtliche in jenen Kreisen bekannten Notabilitäten aller Zeiten und aller Länder wurden genannt. „Hierauf wurde dargethan, wie das durch Kaiser Karl errichtete Habergericht heute in L. seine Pflicht erfüllen muß; daß die am schwersten Angeklagten die Posthalterin zu L. und der Baron v. E. seien, denen nun das Haberfeld getrieben werden solle.

Die Posthalterin – das war allerorts bekannt – sah ihre Postknechte gern, und man sagte ihr nach, daß nur jene auf einen längeren Dienst rechnen konnten, welche ihr mit der nöthigen Galanterie entgegen kamen, während sie alle andern in den ersten Wochen schon davon jagte. Ihr wurde nun das Haberfeld getrieben. Aber in welcher Sprache geschah dieses? Es ist unmöglich, dem schrecklichen Cynismus, der hier gepredigt wurde, auch nur im Entferntesten zu folgen. Die Tinte würde erstarren, die Feder sich sträuben, das Papier erröthen. Dies war jedoch nur die Einleitung, ein anderes Bild, eine andere Tonart folgt. Als nach kurzer Pause dieselbe Stentorstimme wieder begann: „Auch dem Herrn Pfarrer T. müssen wir’s einreiben und ihm itzunder ’s Haberfeld treiben,“ dachte ich schon, daß nun abermals eine Beschreibung seiner Köchin vom Scheitel bis zur Zehe folgen werde. Doch dem war nicht so. Der Herr Pfarrer hatte eine ausgedehnte Oekonomie, und da im bairischen Hochgebirge überhaupt ein großer Mangel an Menschenkräften herrscht, so hatte er sich eine Häckselschneidemaschine angeschafft und schon seit zwei Jahren für actienweise Beschaffung einer Dreschmaschine agitirt; – er ging also darauf aus, den Leuten den Lohn abzustehlen, und deshalb ward ihm das Haberfeld getrieben!

Ein fremder Name, ein Bräuer, der „chemisches“, d. h. mit Narkotiken versetztes Bier braute, kam jetzt auf’s Tapet, und als ich einen Näherstehenden fragte, wo der wohne, hieß es: „der Kerl ist in die Stadt gezogen.“ Auch beim folgenden, einem Müller seines Zeichens, mußte ich mich erkundigen. „Der Lump ist gestorben,“ hieß es.

Nun kam der Gutsbesitzer Baron v. E. an die Reihe. Er hatte ein Gut, dessen Grundstücke in der ganzen Flur zerstreut lagen, arrondirt und zu dem Behufe einige Höfe, welche inmitten seiner Besitzung lagen, angekauft; das heißt in der Sprache der Bauern die Eigenthümer von Haus und Hof verjagen. Er hatte Maschinen eingeführt; hat er nicht dadurch den Menschen das Verdienst geraubt? Er hatte in Ermangelung einheimischer fremde, namentlich norddeutsche Arbeitskräfte herangezogen; hat er nicht dadurch die einheimischen brodlos gemacht? Er hat eine große Schneidemühle mit acht Gängen gebaut und dieselbe, damit sie auch bei dem niedrigsten Wasserstande betriebsfähig bleibt, mit einer Dampfmaschine in Verbindung gesetzt; hat er nicht dadurch die sämmtlichen Flößer und Sägemüller des Isarthales an den Bettelstab gebracht?

Man sieht also, der Baron halte genug verbrochen, damit sich die ganze Lauge des bäuerlichen Spottes über ihn ergieße, daß die ganze Wucht des Habergerichts ihn treffe. Wenn vorhin jedes Wort eine Unfläthigkeit, so bildete jetzt jeder Buchstabe eine Drohung, einen Dolch, stachelte jede Silbe zur Rachsucht, zur Vernichtung des Barons und seines Besitzthums auf. Kein Stein sollte auf dem andern bleiben! Der rothe Hahn solle auf die stolzen Zinnen des Schlosses gesteckt werden und keine Seele lebend mehr dein Sündenpfuhl entweichen. –

Mord! Gift! und rother Hahn! Mir schauderte die Haut vor dem drastischen Gemälde, das sich vor meinem Blicke entrollte.

Eine Gesellschaft zur glühendsten Rachsucht anfachen, die das im Griff feststehende Messer stets in der Tasche führt, jeden Augenblick bereit, etwaige Meinungsdifferenzen damit zu bereinigen; eine Gesellschaft, aus der statistisch nachgewiesen die meisten Körperverletzungen mit nachfolgendem Tod hervorgehen, wo der Freund den Freund, der Bruder den Bruder nicht schont! die Leidenschaften einer solchen Gesellschaft emporstacheln, sie zu Brand und Mord aufrufen – dieser Gedanke hatte für mich etwas furchtbar Entsetzliches. Ich versank in Sinnen, aus dem mich erst das majestätische Dröhnen des Böllers weckte. Die Fackel war erloschen, unser Wächter war verschwunden und im Nu die ganze Gesellschaft auseinandergestoben.

„Gehen wir,“ meinte mein Begleiter, und halb betäubt zog er mich mit sich fort.

Es schlug eben ein Uhr, als wir in die Nähe der Kirche gelangt waren: „Hörst Du nichts?“ fragte mich mein Freund. Es klang wie leises Wimmern, das aus der Kirche zu kommen schien. Ich legte mein Ohr an die Thür, und richtig, deutlich vernahm ich eine nach Hülfe rufende tiefe, heisere Stimme. Mein Freund hatte inzwischen Leute herbeigerufen. Licht ward gemacht und die Thür eingebrochen. Vor uns lag fest geknebelt mit verbundenem Munde der Meßner; hoch über ihm baumelten die abgeschnittenen Glockenstränge.

Der große Lärm hatte auch ihn geweckt, und rasch wollte er durch Sturmläuten das Unglück, das seinem Ort drohte, verkünden, als er die Glockenstränge abgeschnitten findet. Er eilt nun nach Leitern, wird aber, als er wieder zurückkommt, von zwei Haberern unschädlich gemacht. Ein paar Schritte weiter kamen uns die Gensdarmen des Ortes entgegen; auf die neugierigen Fragen, die von allen Seiten an sie gerichtet wurden, erzählten sie, wie ihre Wohnungen von allen Seiten dicht umstellt waren, so daß sie weit in der Minderzahl blieben und einen Kampf nicht wagen konnten.

Spät erst kam ich zur Ruhe und lange konnte ich nicht einschlafen; noch immer höre ich den Lärm, noch immer schreckten mich die fürchterlichen Drohungen empor. Als ich mit dem frühesten Morgen – der Tag war noch nicht angebrochen – aufstand, jagte ein zweispänniges Fuhrwerk auf der Straße gegen Tölz; es war der Wagen des Baron v. E., der die Gegend verließ. –

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 316. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_316.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)