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Eindruck intelligenter Kinder, ja selbst nicht den großer Schönheit gewähren. Denn mit welch frischen Reizen geschmückt sie auch in den Harem gekommen sind, die Gefangenschaft beschneidet dem Vogel die Flügel, macht gerade die Begabtesten stumpf, die stete Sorge für den Körper, denn dieser allein ist im Harem wichtig, macht sie träge, und endlich das Wohlleben ohne jede Spur geistiger Regsamkeit apathisch. Wenn erzählt wird, daß Mehemed Ali mit zweiundvierzig Jahren von einer circassischen Sclavin seines Harems lesen und schreiben gelernt habe, wenn auch die reizende Scheherezade ihren Kopf nur durch die schönen Geschichten, die sie zu erzählen verstand, rettete, so würde man doch sehr irren, wollte man daraus auf den allgemeinen Bildungszustand schließen. Derselbe ist sehr gering und kann es in diesem Verhältnisse dem Manne gegenüber nur sein. Denn wenn er sich änderte, so würde sogleich das ganze Haremswesen zusammenfallen, die Frau würde das glänzende Joch abschütteln und aus der Sclavin der Liebe die freie Gefährtin des Mannes werden. Nein, sie fühlt das Unwürdige ihres Looses noch nicht, sie hat noch keine Vorstellung von dem heiligen Palladium des Hauses und der Ehe, welche auf der völligen Gleichheit der Rechte und der Pflichten beruht. Doch wird die Zeit kommen, denn warum sollte sie es nicht? So wenig sich der Orient den Culturströmungen Europas entziehen kann, so wenig wird auch das Loos und die Bildung der Frauen des Orients von den Konsequenzen derselben unberührt bleiben. Auch giebt es bereits Ausnahmen, und diese am leichtesten, wo die Frau Kinder, vorzüglich einen Sohn hat. Dies giebt ihr den obersten Rang im Hause, stellt die anderen Frauen oder Sklavinnen unter ihre Herrschaft, und der Ehrgeiz, für welchen sie empfänglich scheint, weckt ihre schlummernden Lebensgeister, um sie zur Erziehung und zur Förderung des Sohnes zu verwenden. Wie im Alterthum, so erhält auch die Frau des Orients erst Würde und Werth durch die Mutterschaft, an sich ist sie nichts und rechtslos.

Indessen hatten die gewöhnlichen Haremsunterhaltungen begonnen. Zwei der Damen saßen neben mir auf dem Polster, und einen Gesprächsgegenstand zu finden, gehört keineswegs zu den leichten Sachen; denn der Putz und die Tagesgeschichte des Harems macht ihre Welt aus. Sie waren hübsch, aber nach unserm Geschmack erinnert die Gesichtsmalerei, welche die Frauen im Orient allgemein anwenden, zu sehr an das Theater. Wenn sie nicht Schminke auflegen, so lassen sie wenigstens einen feinen schwarzen Strich um die Augen herum zeichnen, was ihren Glanz hebt und sehr kokett aussieht. Ebenso waren ihre Gestalten in den leichten Gewändern von weißem Mousselin, welche ein bunter Shawl um die Hüfte hielt, noch anmuthig; aber eine gewisse Haltlosigkeit in ihren Bewegungen ließ schon den Augenblick ahnen, wo sie zu stark werden.

Zwei Sclavinnen saßen zu meinen Füßen und betrachteten mit großem Ernst meine Fußbekleidung. Sorbet, Kaffee, Dattelconfect, candirte Rosenblätter wurden zierlich dargereicht von Sclavinnen, welche die Teller auf silberbefranzten Tüchern hielten, die lang herabhingen. Der Herr des Harems rauchte inmitten seiner Frauen den Nargileh; die Lieblingskinder, mit Pariser Kleidern wie kleine Affen herausgeputzt, spielten, auf den Teppichen liegend, mit riesengroßen französischen Puppen; denn die Damen der vornehmen Harems in Kairo und Alexandria sind ebenso erpicht darauf, europäische Sachen zu kaufen, als wir orientalische.

Jetzt sollten einige Sclavinnen singen und tanzen. Und sie sangen und sie tanzten schlecht.

Den hohen Reiz der Orientalinnen und ihre üppige Grazie vermag das Künstlerauge nur noch im Volke, und zwar in den niederen Schichten, zu finden, wo allein sie sich rein erhalten hat.

Für die Musik hat der Araber überhaupt keinen Sinn, sie ist ebenso monoton, als seine reiche und phantastische Sprache für die Poesie ausgiebig ist, und der Tanz der Almen hat nur Interesse, wenn er völlig ungebunden der Leidenschaft des Südens Ausdruck geben darf. Von dem Auge des gut erzogenen Europäers kann man indessen nicht erwarten, daß es den Tanz de l'abeille ertrage. (Bei dem Tanz mit der Biene wird diese als auf die Tänzerin zufliegend und schließlich in die Gefangenschaft zwischen die Finger gerathend darstellt.) Im türkischen Harem ist nichts dergleichen zu befürchten. Im weiß nicht, welches gezierte, französische, carikirte Wesen hier beginnt, seinen Stempel aufzudrücken und den Frauen ihre natürliche Anmuth zu nehmen. Es wäre wünschenswerther für sie, daß deutscher und englischer Einfluß sich geltend machte; er würde ihren Geist zu wecken suchen, ohne doch ihre naive und einfache Grazie zu zerstören.

Hoffen wir, daß die himmelblauen Mauern ihres Gefängnisses – denn diese Farbe pflegt man den Gebäuden des Harems zu geben – einst niederfallen und die Frau des Orients, frei geworden, zeige, daß sie, wie die Frauen anderer Nationen, würdig ist, dem Manne gleichzustehen.

Einen völlig verschiedenen Eindruck macht das Haus des Arabers. Obwohl es ihm freisteht, mehrere legitime Frauen zu haben, so beginnt dies immer seltener zu werden, denn – es ist zu kostspielig. Die Frau aus dem Volke scheint im Orient richtigeres Gefühl zu haben, als die Haremsdame; sie erträgt es nicht, mit einer andern Frau das Haus zu theilen, und will der Mann eine zweite und dritte Frau nehmen, so muß er ihr ein Haus und einen Hausstand geben, weil unter einem Dache der Hausfriede schlecht berathen sein würde.

Mein Scarabäenverkäufer[1] Abdallah, eine der malerischsten Gestalten vom weißen Turban bis zu den gelben Pantoffeln und dem prachtvollen Faltenwurf seiner schwarzen Toja, besaß deren zwei und führte mich zu seiner Lieblingsgattin mit dem harmonisch klingenden Namen Chareb. Obwohl Abdallah offenbar eitel war und eine Ehre darein setzte, mir seine hübsche Frau zu zeigen, geschah dies doch nicht, ohne mir vorher beizubringen, daß ich dem Diener ein „Bakschisch“ und der Frau ein Geschenk geben möchte; denn das Geschäft vergißt der in den Städten geschulte Araber nie.

Wir gingen durch einige dunkle Straßen von Kairo, in welchen die Häuser einander so nahe stehen, daß man sich aus den Holzerkern der oberen Etagen die Hände reichen kann, und in welche nie ein Sonnenstrahl hineindringt. Die Hausthüren haben kein Schloß. Ein großer Holzriegel wird vorgeschoben, und man hört nie von einem Diebstahl. Es war also nur eine vornehme Form, daß Abdallah mit mir vor der Thür, die mit allerlei Zeichen roth bemalt war, wie die Juden mit dem Blut des Osterlamms zu thun pflegten, stehen blieb, um mit wuchtigen Schlägen zu klopfen. Ein kleiner schwarzer Eunuch, ohne welche kein Haus in Aegypten bestehen zu können scheint, öffnete und wir stiegen aus dem dunkeln Hausflur in die oberen freundlicheren Stockwerke des Hauses. Ich hörte die Pantoffeln und die Gewänder der Damen des Hauses an einer der Thüren rauschen, aber sie erschienen noch nicht. Man führte mich nun in ein Gemach, in welchem meine Augen auf das Sonderbarste durch Lithographien, die Wengernalp und andere Schweizeransichten darstellend, berührt wurden; ehe hätte ich einen Tanz der Mumien oder eine Procession der Sonnenpriester erwartet.

Sodann öffnete sich die Thür und Chareb trat ein. Sie war eine Frau von zwanzig Jahren, mit hübschen, einnehmenden Zügen. Ein herabfallender Schleier von weißem dünnem Stoff umrahmte das ausdrucksvolle dunkle Gesicht, die Füße steckten in goldbordirten Pantoffeln, und über den weißen weiten Pantalons, welche um den Knöchel schlossen, trug sie einen gesteppten losen Rock von gelbem Stoffe, nicht zu vergessen der Ohrringe, Halsbänder und Armspangen von dunkelgelbem Golde. Obwohl dieser Anzug an sich nichts Graziöses hat, kleidete er sie doch, oder vielleicht lag das Gefällige mehr in ihren zurückhaltenden und anmuthigen Bewegungen. Sie reichte mir die Hände, von welchen jeder Finger mit einem großen Ringe von imitirten Brillanten besteckt und jeder Nagel mit Henne roth gefärbt war, und führte mich in das Wohnzimmer.

War es die lange erkältende Nothwendigkeit des Hotellebens und zugleich das den Deutschen nun einmal eingeborne Verlangen nach häuslichem Behagen: dieses Gemach mit seinen Bewohnern gewährte mir einen der angenehmsten Eindrücke, die ich in Kairo gehabt habe. Die Einrichtung war sehr einfach. Das Fenster nach der Straße hin hatte zu meinem Erstaunen einen offenen Balcon, was mich zu der Ansicht bewog, daß Abdallah in Bezug der Frauen ein aufgeklärter Mann, ein Freigeist sei. An der ganzen Länge des Zimmers liefen zu beiden Seiten rothe Divans

  1. Eine gewisse Art Käfer (scarabaeus) galt den alten Aegyptern als heiliges Thier, weil sie durch das fortrollen ihres Eierklumpens an die angeblich rollende Bewegung der Sonne am Himmelsgewölbe erinnerte. Figuren desselben wurden vielfach als Schmuckgegenstände benutzt, und der Verkauf solcher Scarabäen, antiker oder nachgemachter, an europäische Reisende, die ein kleines Andenken aus dem Lande der Pharaonen mitzunehmen wünschen, ist gegenwärtig ein einträglicher Geschäftszweig.
    D. Red.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 332. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_332.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)