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gedroht, aber leider vergebens. Die Ungehorsamen antworteten, daß sie durch ihren Eid gebunden wären. Auch ein anderer Versuch ist nicht besser gelungen. Ich habe nämlich unter der Hand an die provisorische Regierung mich mit der Aufforderung gewendet, unsere Söhne aus ihrem Lager zu entfernen, weil sie der Sache der Revolution nur schaden müßten, und so lange sie daran sich betheiligten, Louis Philipp Italien seinen Beistand versagen, ja eher zu seiner Unterdrückung die Hand bieten, als die Neffen des Kaisers an der Spitze des revolutionären Heeres dulden würde.“

„Und was hat die provisorische Regierung gethan?“

„Meine Vorstellung schien ihr einzuleuchten. General Armandi ließ Louis kommen und forderte ihn im Namen Italiens auf, das Opfer zu bringen, seine Stelle niederzulegen und das Lager zu verlassen, wozu er sich auch sogleich bereit erklärte.“

„So sind sie glücklich der Gefahr entgangen?“

„Du triumphirst zu früh. Louis erklärte zwar, daß er auf das ihm übertragene Commando verzichten und das Lager meiden wollte, daß ihn aber nichts zurückhalten könnte, als gemeiner Freiwilliger für das Vaterland zu kämpfen. Natürlich war sein allzuschwacher Bruder damit einverstanden.“

„Ich bin stolz auf meine Söhne!“ rief Hortense mit leuchtenden Augen.

„Aber ich zittere für ihr Leben. Als ich von Neuem in sie drang, drohten sie, zwar Italien zu verlassen, aber sich nach Polen zu begeben, um sich an dem dortigen Kampfe zu betheiligen, als wenn keine Revolution ohne sie gemacht werden könnte. Wenn sie es so forttreiben, sind sie verloren.“

„Ihre Mutter wird sie beschützen!“

„Ich fürchte, daß es bereits zu spät ist. Schon ist Modena wieder in den Händen der Oesterreicher, unter deren Schutz Herzog Franz mit seinem Henker sich blutig an der Revolution rächt. Bereits steht ihre Avantgarde an den Grenzen des Kirchenstaates, sperrt ihre Flotte die Häfen und das Meer. Man spricht von einer Proclamation, worin den Insurgenten, welche die Waffen niederlegen wollen, Amnestie versprochen wird, mit Ausnahme der Häupter, unter denen sich unsere beiden Söhne befinden.“

„Um so weniger dürfen wir zögern. Schon morgen will ich zu ihnen eilen und mit ihnen entfliehen.“

„Du weißt, daß jeder Weg versperrt, die Aussicht auf Flucht ihnen abgeschnitten ist. Wohin willst Du Dich mit Deinen Söhnen wenden?“

„Noch weiß ich nur das Eine, daß mir nichts zu schwer fällt, sie zu retten, daß der Geist einer Mutter ebenso unerschöpflich ist wie ihr Herz, wenn das Leben ihrer Kinder bedroht wird. Im Augenblick der Gefahr wird ein Engel mir den Weg zum Heile zeigen.“

Am nächsten Tage verließ Hortense in tiefster Stille Florenz, um ihre Söhne aufzusuchen. Niemand, weder ihr Gatte, noch die Prinzessin Charlotte wußten um ihre geheimen Pläne, die sie sorgfältig vor aller Welt verborgen hielt.

In der schlaflosen Nacht, auf ihrem Lager, das sie mit ihren Thränen benetzte, hatte sie den kühnen Gedanken gefaßt, mit ihren Kindern den einzig offen gelassenen Weg nach England über Paris einzuschlagen, obgleich sie das Decret kannte, welches jedem Mitgliede der Familie Bonaparte das Betreten des französischen Bodens bei Todesstrafe untersagte. Sie rechnete jedoch bei ihrem gewagten Unternehmen auf ihre zahlreichen Freunde und selbst im Falle der Entdeckung, wenn nicht auf die Großmuth, so doch wenigstens auf die Dankbarkeit Loius Philipp’s, für dessen Familie sie sich bei dem Kaiser in glücklicheren Zeiten verwandt hatte.

Nachdem sie einmal den Entschluß gefaßt, ging sie mit der ganzen Energie einer Mutter in ähnlicher Lage an die Ausführung, indem sie sich die nöthigen Pässe mit Hülfe einer ihr zu Dank verpflichteten englischen Familie mit dem Visum des französischen Consuls und der toscanischen Regierung zu verschaffen wußte, was um so größere Schwierigkeiten bot, da die Polizei in Florenz in diesem Augenblick mit der größten Strenge auf alle Verdächtigen achtete und sie selbst nur zu gut daselbst bekannt war.

Zitternd, mit heruntergelassenem Schleier, aus Furcht, entdeckt zu werden, athmete sie erst wieder auf, als sie das streng bewachte Thor der Stadt hinter sich sah und so schnell als möglich auf dem Wege nach Bologna in ihrem Reisewagen dahinrollte. Noch war dieses letzte Bollwerk der Freiheit in den Händen der Aufständischen, noch vertheidigten die tapferen Freiwilligen Terni und Spoleto gegen die päpstliche Uebermacht, noch hatte das siegreiche österreichische Heer nicht die Grenzen der Romagna überschritten, so daß Hortense neue Hoffnung schöpfte.

Sie hatte einen zuverlässigen Courier mit einem Briefe vorausgeschickt, worin sie ihren Söhnen ihre Ankunft meldete und Beide aufforderte, Bologna sofort zu verlassen und mit ihr in Foligno zusammenzutreffen.

In einem elenden Gasthof dieser Stadt wartete von Stunde zu Stunde die unglückliche Mutter auf die Rückkehr ihrer Kinder mit steigender Ungeduld. Traurig dachte sie an die Tage ihres früheren Glanzes, als sie noch eine Königin war und ihre Söhne einen Thron erwarteten. Jetzt saß sie in dem niedrigen Zimmer eines italienischen Hotels als eine Verbannte, die sich vor der Welt verbergen mußte, jetzt waren die Lieblinge ihres Herzens geächtet und in Gefahr, einen schimpflichen Tod zu sterben.

Erschüttert von dem furchtbaren Contrast, suchte sie den trüben Gedanken zu entfliehen, indem sie mechanisch ihre Blicke auf die geschwärzten Wände ihrer Zelle richtete, welche die früheren Bewohner mit ihren Namen, Betrachtungen und Versen bedeckt hatten, wie es wohl müßige Reisende zu thun pflegen.

Hortense ergriff ihren Bleistift und schrieb, von ihren Gefühlen übermannt: „Wer hätte mir wohl vor zwanzig Jahren gesagt, daß ich mich hier und in einer solchen Lage wiederfinden würde!“ Darunter setzte sie ihren Namen, Tag und Stunde. Es war der 17. März 1831.

Schmerzliche Ahnungen erfüllten ihr Mutterherz, da ihre Söhne noch immer zögerten. Von Augenblick zu Augenblick erwartete sie ihre Ankunft, doch vergebens; sie kamen nicht. Die Minuten dehnten sich zur Ewigkeit, Angst und Sorge drückten die sonst so muthige Frau zu Boden. Das leiseste Geräusch erschreckte sie, bei jedem Rollen eines Wagens, bei dem Hufschlag eines vorbei eilenden Pferdes fuhr sie empor, eilte sie fieberhaft erregt an das geöffnete Fenster.

Endlich sprengte der ihnen entgegengeschickte Courier in den Hof; sie eilte ihm entgegen. Er kam allein.

„Wo sind meine Söhne?“ fragte sie enttäuscht.

„Ich habe sie gesehen, gesprochen.“

„Dem Himmel sei gedankt, sie leben! Aber wo weilen sie? Wissen sie nicht, daß ich sie mit Sehnsucht hier erwarte?“

„Sie haben bereits Bologna verlassen, wo die Oesterreicher eingerückt sind. Die beiden Prinzen haben sich deshalb nach Forli gewendet.“

„Schnell! Lassen Sie den Wagen anspannen. Wir haben keinen Augenblick zu versäumen.“

Mit klopfendem Herzen schlug Hortense den Weg nach Ancona ein, von düsteren Befürchtungen gequält. Sie war nur noch einige Stunden von Forli entfernt, als ihr ein offener, zweirädriger Wagen begegnete, der ihr in rasender Eile entgegenfuhr. Aus demselben sprang ein unbekannter Mann und trat an ihren Schlag.

„Habe ich die Ehre, Ihre Hoheit die Herzogin von St. Leu zu sprechen?“ fragte derselbe mit unsicherer Stimme.

„Was wollen Sie von mir?“ entgegnete sie zitternd vor einem neuen Mißgeschick.

„Ich habe den Auftrag, Ihrer Hoheit mitzutheilen, daß der Prinz Napoleon plötzlich erkrankt ist.“

„Mein Sohn krank!“ schrie Hortense. „Woran leidet er?“

„Am Scharlach mit heftigem Fieber in Folge der geistigen Aufregung. Er verlangt nach Ihrer Hoheit.“

„Er verlangt nach mir. Vorwärts! Mein Sohn verlangt nach mir!“

Mit geschlossenen Augen, einer Ohnmacht nahe, gab sie den Befehl zur höchsten Eile, während ihre bleichen Lippen schmerzlich murmelten: „Das Unglück ist zu groß. Unmöglich, der Himmel wird gerecht sein; es ist zu viel, mehr als ich ertragen kann. Nein, nein! Er wird, er darf nicht sterben. Er wird gerettet, mir erhalten werden. Muth, Fassung, damit ich nicht erliege!“

Von Station zu Station nahm ihre Unruhe zu; überall glaubte sie in den Mienen der ihr Begegnenden die Schreckensbotschaft zu lesen. Sie wagte nicht zu fragen, die Ungewißheit schien ihr noch ein Glück. Zuweilen hörte sie wie im dumpfen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 335. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_335.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)