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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

wahr. Als die Bewegung auszuschreiten sich anschickte, habe ich die Führer derselben redlich gewarnt und zur Mäßigung gemahnt. Es war umsonst; und als in Folge der eingetretenen Ziellosigkeit der Leidenschaften der von mir vorhergesehene Gegenschlag erfolgte, habe ich nach Kräften die Heftigkeit des Rückschritts gemäßigt. Ich habe zur Befreiung Röckel’s das Meinige beigetragen; auch habe ich den Verfasser der Schrift ‚Sachsens Erhebung und das Zuchthaus zu Waldheim’, der sich nun hier in Wien befindet, darüber zur Rede gestellt, daß er in dem Büchlein so viele Unrichtigkeiten und Entstellungen vorgebracht. Er konnte oder wollte darauf nichts erwidern. Die Maierhebung mußte niedergeworfen werden im Interesse des Landes, wo Alles aus Rand und Band gerathen war und Vereine ohne Zahl ihr Unwesen trieben. Selbst wenn ich den Willen gehabt hätte, den Rückgang der Dinge zu verhindern, ich wäre es nimmermehr im Stande gewesen. Ein Anderer von weniger Milde und Schonung, als ich, wäre an meine Stelle gekommen, und ich hätte das Uebel gefördert statt ihm abzuhelfen. Mir dankt Röckel, mir danken andere wegen politischer Vergehen Verhaftete ihre Befreiung.“

Mit der gespanntesten Aufmerksamkeit, um ja kein Wörtchen zu verlieren, horchte ich auf die Rechtfertigung aus dem Munde des Ministers. Diesem muß jedoch die Wirkung seiner letzten Worte, wie sie etwa auf meinem Gesicht sich aussprach, nicht sonderlich gefallen haben, und ich konnte eine leichte Verstimmung an ihm bemerken; da ich meinen Gefühlen und Gedanken den freiesten Verkehr mit den Zügen meines Gesichtes gestatte, mögen wohl meine inneren Zweifel, nicht etwa an der Wahrheit des Erzählten, aber an der Richtigkeit der Betrachtung zu Tage getreten sein. Ich hielt, es für angemessen, über den Gegenstand zu schweigen und mich zu empfehlen. Uebrigens liegt in dem Bestreben des Herrn v. Beust, für seine Vergangenheit Ablaß zu erhalten, ein Zugeständnis an die öffentliche Meinung, die Anerkennung einer richterlichen Gewalt, die man bisher in den Vorzimmern der fürstlichen Paläste verachten zu dürfen geglaubt.

Fern ist es von unserer Gewohnheit, Excellenzen, welchen Staatsruder anvertraut sind, zu besingen. Gern überlassen wir das Geschäft Anderen, welche zu demselben mehr Lust und Geschick haben. Unserer Natur und unserem Geschmack entspricht es mehr, das Verdienst irgend eines still Wirkenden, von der „launigsten Göttin“ abseits in der Studirstube Vergessenen zu preisen, als unser Blümchen zu den reichen Kränzen zu legen, die das Leben den Vielbegünstigten windet. Unsere Theilnahme und Zuneigung gehören eher dem angeschmiedeten Feuerhascher mit den Geierbissen, als dem „Donnernden“ mit den unsterblichen Locken, der in unvergänglicher Heiterkeit fortlebte und fortgenoß, allein für die geistige Spannkraft des Staatskanzlers wird es uns schwer, unsere Bewunderung zurückzuhalten. Zunächst verdient der gewaltige Sprung einiges Lob, den der Staatsmann von der Leitung eines Kleinstaates zur Leitung eines welthistorischen Reiches ausführte, ohne einen Augenblick das Gleichgewicht oder den Athem zu verlieren, ohne das leiseste Symptom von Schwindel blicken zu lassen. Aber noch weit höher anzuschlagen, als diese plötzliche Ausdehnung des Gesichtskreises, als dieses rasche Hineinwachsen in neue Verhältnisse, ist die seltene Energie, mit welcher Freiherr v. Beust die Voreingenommenheiten seines Standes überwunden und die altgewohnte, mit der Muttermilch eingesogene Abneigung niedergekämpft, um Plebejer für das Cabinet anzuwerben, die das Vertrauen des Volkes empfohlen. Daß der Staatsmann über des Centrums lockende Willfährigkeit leichten Fußes hinwegschritt, um auf den Bänken der vorgerücktesten Meinungen und entschiedensten Ueberzeugungen seine Helfershelfer sich auszusuchen, ist ein politischer Meisterzug, der ihn in die Reihe der bedeutendsten Minister stellt und zu der Hoffnung berechtigt, daß er den schwierigen Kampf, den er wegen des Fanatismus des Rückschrittes unternommen, auszufechten wissen werde.

Durch Einführung der Grundrechte, mehr noch durch das Decret, welches den Herren von der Gesellschaft Jesu drei Lehranstalten, die Gymnasien von Linz, Feldkirch und Ragusa entzieht, durch ihren energischen Kampf gegen das Concordat, haben Herr v. Beust und seine Amtsgenossen gezeigt, Laß sie nicht nur freiheitlich zu plänkeln, sondern einen Vernichtungskrieg gegen geistigen Druck zu führen entschlössen sind. Wer Licht und Aufklärung wünscht, wird ihnen beistehen müssen. Der Reichskanzler ist sehr rührig, unternehmend und unausgesetzt thätig; aber nicht in dem Sinne eines Kanzleimenschen, sondern mit Verstand, wie es von dem obersten Leiter eines constitutionellen Staates zu verlangen ist. Die Detailarbeiten überläßt er untergeordneten Kräften. Er verfügt, unterhandelt, gleicht aus; wo eine ernste Schwierigkeit entsteht, ist er zur Hand und auf deren Beseitigung bedacht. In richtiger Auffassung seines Berufes empfängt er viel und sucht er den Gedankenaustausch und die Verständigung mit mehr oder weniger einflußreichen Personen. Noch spät Abends tummelt er sich in der Welt umher, wodurch ihm natürlich Gelegenheit geboten wird, Erfahrungen zu sammeln, die verschiedenen Elemente der Wiener Gesellschaft kennen zu lernen und sogar zu benützen.

Gründliche Leute werfen dem Reichskanzler ein ungenügendes Eingehen, auf die Einzelnheiten der verschiedenen Fragen vor. Diese Herren wünschten wohl, daß der Staatsmann von früh Morgens bis spät in die Nacht in seiner Kanzlei säße und, die Brille auf der Nase, amtliche Schriften durchläse, als ob ein Actenstoß der Standpunct wäre, von welchem aus ein constitutioneller Minister Menschen und Dinge zu beurtheilen und zu leiten vermöchte. Es wird lange dauern, bis in Oesterreich das bureaukratische Vorurtheil der besseren Ueberzeugung weicht. Herr v. Beust hat von jeher viel gearbeitet; er erzählt nicht ohne einige Genugthuung, wie fleißig er als Student auf der hohen Schule zu Göttingen die Vorlesungen besucht, und wie er mit seinem Tagewerk unzufrieden war, wenn er nicht wenigstens sechs Collegien im Leibe hatte. Als laudator temporis acti meint Herr v. Beust, daß man es jetzt auf den Universitäten mit dem Lernen nicht so ernst nehme wie zu seiner Zeit. Darin irrt der Minister offenbar. Die Ergebnisse der Wissenschaft zeigen, daß der Deutsche von seiner Nationaltugend der Redlichkeit und der Ausdauer in der Arbeit, dein Himmel sei es gedankt, nichts eingebüßt habe.

Die Beredsamkeit gehört keineswegs zu den Vorzügen des Herrn v. Beust. Seine parlamentarischen Auseinandersetzungen sind weder glänzend, wie die der französischen, noch kurz und schlagend, wie die der englischen Redner. Aber er spricht leicht geistreich und vor Allem ohne Emphase, ohne jene Ueberhäufung von Metaphern, welche als Erbübel der Oesterreicher zu bezeichnen ist, Ein gemüthlicher Humor ist über die Worte des Staatskanzlers gehaucht und giebt ihnen das gewinnende, familiäre Gepräge, das die Reden des Briten Palmerston und des Italieners Cavour so anziehend, so wirksam machte. Herr v. Beust hat parlamentarischen Tact, bringt den rechten parlamentarischen Ton auf die Tribüne, den Herr v. Schmerling nie getroffen und der den anderen Ministern als Muster dienen kann. Er versteht anzugreifen und abzuwehren, ohne durch Anmaßung oder Uebermuth zu verletzen; er wendet den Spott an, aber nur so weit er in guter Gesellschaft zulässig ist; er respectirt die Würde des Gegners wie die eigene. So lange Oesterreich constitutionell bleibt, wird es wohl schwerlich den Reichskanzler des Amtes entsetzen.




Aus der Zeit der weichgeschaffenen Seelen.

„Ihr weichgeschaffnen Seelen, ihr könnt nicht lange fehlen,“ singt Ramler – und zwar in Bezug auf den reuigen Petrus! – im „Tod Jesu“, und dies Wort ist für die Menschen der deutschen Bildungskreise jener ganzen Epoche, welcher dies empfindsame Oratorium von der geistlichen Passion angehört, zur treffendsten Bezeichnung geworden. In unserer schönen Literatur wurde nämlich um die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts eine Manier Herr, welche traurige Zeugnisse tiefster Schwäche hervorbrachte, indem sie in süßlicher weibischer Gefühlszerflossenheit vor den verschnörkelten Altären ihrer höchsten Göttinnen, Freundschaft, Liebe und Poesie, einen Götzendienst trieb, der nur möglich war und verziehen werden kann, weil die Geister jener Zeit dem erhebenden Boden eines gesunden, nach ernsten Zielen ringenden öffentlichen Lebens vollständig entrückt waren. Die Wurzeln dieser Weichseligkeit liegen sicher weit zurück, noch in der Verwüstung unseres Landes und Volkes durch den dreißigjährigen Krieg, in dem Elend, der allgemeinen Gebrochenheit der Nationalkraft, welche er verschuldete. Das ehemals so mannhafte, trotzig rüstige Wesen der Deutschen war

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