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als Soldat eintreten zu dürfen. Aber Hortense mahnte von dem gewagten Schritte ab und hielt das Schreiben zurück. Beide setzten demnach ungehindert ihren Weg fort. Sie gingen über Fontaineblau, wo Hortense einst als Königin geweilt, und durchwanderten unerkannt die Säle des Schlosses, den herrlichen Park, unter dessen Schatten sie einst die glücklichsten Tage verlebt. Als eine Verbannte kam sie nach Paris, aber ihrem edlen Sinn widerstrebte selbst die erzwungene Lüge. Sie wollte nicht als Abenteurerin, als eine Intriguantin erscheinen und ließ deshalb durch einen früheren Freund Louis Philipp ihre Ankunft wissen, indem sie ihn um eine geheime Audienz ersuchte.“

„Ich kann mir die Verlegenheit des Bürgerkönigs denken, sein langes Birngesicht wird noch länger geworden sein,“ spottete die witzige Juliette.

„Sein Benehmen bei dieser Gelegenheit,“ versetzte die Prinzessin, „verdient unsere höchste Anerkennung. Er schickte sogleich seinen Minister Casimir Perier zu der Herzogin und ließ ihr durch ihn jeden möglichen Schutz zusichern. Eingedenk der ihm und seiner Familie erwiesenen Wohlthaten, empfing er sie im Geheimen in seinem Privatcabinet, wo er sie der Königin Adelaide vorstellte, die ihr die herzlichste Theilnahme an ihrem traurigen Geschick bewies. Der König versprach ihr nicht nur, ihre gerechten Forderungen an den Staatsschatz zu bewilligen, sondern auch ihr und Louis die Rückkehr nach Frankreich für spätere Zeiten zu gestatten. Getröstet verließ sie ihn, aber wider Willen verzögerte sich ihre Abreise, da Louis von Neuem erkrankte. Trotzdem sie in tiefster Verborgenheit lebte, erweckte dieser Umstand das kaum eingeschlafene Mißtrauen, so daß Hortense von Casimir Perier die Weisung erhielt, ohne Aufenthalt Paris zu verlassen. Von Neuem vertrieben, ergriff sie wieder den Wanderstab, bis sie endlich in England die ersehnte Ruhe fand.“

„Und will die Herzogin für immer in England bleiben?“ fragte Frau von Villeneuve.

„Sie sehnt sich nach der Schweiz, nach ihrem Arenenberg zurück und hat sich deshalb durch den französischen Gesandten noch einmal an Louis Philipp gewendet. Derselbe hat jedoch seine Erlaubniß an die Bedingung geknüpft, daß sie erst nach den Julitagen, nach der Jahresfeier seiner Thronbesteigung, ihre Rückkehr antreten darf.“

„Er fürchtet sich vor seiner eigenen Größe. Ist es denn wahr, daß Casimir Perier Louis zugemuthet hat, seinen Namen abzulegen, wenn er jemals nach Frankreich zurückkehren und in die Armee eintreten wolle?“

„Louis hat ein solches Ansinnen mit der höchsten Entrüstung zurückgewiesen. Der Name Bonaparte ist ja Alles, was ihm und uns übrig geblieben ist.“

Es folgte ein trauriges Stillschweigen, welches durch den Eintritt Robert’s unterbrochen wurde, der die Prinzessin in ihrem Schmerze nicht verlassen wollte und mehr als je zu den Freunden des Hauses sich zählen durfte. Jetzt erschien er in Begleitung eines Dieners, der ein verhülltes Bild trug und auf seinen Wink in dem Salon vor den Damen hinstellte.

Er selbst entfernte die Decke; aus dem goldenen Rahmen blickte das wohlgelungene Portrait des Prinzen Napoleon, seines todten Freundes. Ein Schrei der Bewunderung begrüßte die Gabe des Malers, während die Prinzessin ihm mit Thränen in den Augen für diesen neuen Beweis seiner Liebe dankte.

„Welche wunderbare Ähnlichkeit!“ sagte sie tief erschüttert. „Nur die Hand und der Geist des Freundes vermochte so treu die Züge eines geliebten Todten wiederzugeben. So kann nur das Auge der Liebe erfassen, ein edles, für alles Gute und Schöne empfängliches Herz eine so schwierige Aufgabe in solcher Vollendung lösen.“

„Ich fühle mich glücklich, wenn das Bild Ihren Beifall hat,“ versetzte der bescheidene Künstler.

„Aber wie war es Ihnen möglich aus der Erinnerung allein ein so gelungenes und ähnliches Meisterwerk zu schaffen?“

„Sie vergessen das kleine Miniaturbild des verstorbenen Prinzen, das ich mir von Ihnen auf einige Tage erbeten habe.“

„Ich hatte keine Ahnung, daß Sie es zu diesem Zweck von mir forderten, da Sie vorgaben, daß Sie nur die verblichenen Farben wiederherstellen wollten. Wie kann ich Ihnen für dieses zugleich so freudige und schmerzliche Geschenk lohnen? Ich vermag Ihnen Nichts zu bieten, als diesen Ring, den einst der Todte selbst an seiner Hand getragen hat. Bewahren Sie ihn zu seinem und meinem Angedenken.“

Von Neuem sah sich Robert angezogen und gefesselt von der hohen Frau, die ihn durch ihre Huld und angeborne Liebenswürdigkeit nur zu leicht den Unterschied des Standes, die Beide trennende Kluft vergessen ließ. Die gemeinschaftliche Trauer um den geliebten und verehrten Todten, die vielfachen Dienste, die er ihr leistete, die mannigfachen Beweise ihrer Freundschaft waren nur zu sehr geeignet, auch die letzte Schranke zu beseitigen.

Der Schmerz der Prinzessin machte sie nur um so empfänglicher für seinen milden Trost, für die wohlthuende Zerstreuung, die ihr sein Umgang, der Verkehr mit dem durch Geist und Gemüth gleich ausgezeichneten Künstler gewährte, während die entgegenkommende Freundlichkeit der Prinzessin, ihre durch das Leid verklärte Schönheit den alten Zauber auf sein Herz ausübten.

Die kaum bekämpfte Neigung erwachte wieder mit der ganzen früheren Leidenschaft, um so mächtiger, da sie ihm jetzt weniger strafbar schien, seitdem Charlottens Gatte nicht mehr lebte. Beide ahnten nicht die drohende Gefahr und überließen sich unbefangen einer Vertraulichkeit, die unter der unschuldigen Maske der Freundschaft sie über ihre wahren Empfindungen täuschte.

Wie früher in Rom, so war Robert auch jetzt fast ein täglicher Gast in dem Palaste seiner Freundin, gehörte er nach wie vor zu dem engsten Familienkreise während ihres Trauerjahrs um einen geliebten Todten, indem er ihren Schmerz wie ihre Unterhaltung theilte. Diese stillen Abende in der Gesellschaft der Damen erhielten bald durch das geistvoll anregende Gespräch, bald durch das Vorlesen eines classischen Dichters und die an dessen Person oder Werke sich anknüpfenden Betrachtungen einen unwiderstehlichen Reiz im gegenseitigen Austausch der Gedanken und Empfindungen.

Die Prinzessin interessirte sich besonders seit einiger Zeit lebhaft für die neuere italienische Literatur, vorzugsweise für den bekannten Dichter Alfieri, der in Florenz gelebt hatte und daselbst erst im Jahre 1803 gestorben war. Da sie öfters den Wunsch äußerte, das Grab des berühmten Schriftstellers in der Kirche Santa Croce zu besuchen, so erbot sich Robert, sie dahin zu begleiten, was sie auch ohne Bedenken annahm.

An seiner Seite betrat sie die ehrwürdigen Hallen dieses italienischen Westminsters, wo die großen Todten vergangener Jahrhunderte, die erhabensten Denker, Dichter und Künstler Italiens an geweihter Stätte ruhn; neben dem titanenhaften Maler und Bildhauer Michel Angelo der seine geniale Politiker Macchiavelli, zwischen denen sich das Denkmal Alfieri’s von Canova’s Meisterhand erhebt, ein trauernder Genius aus steinernem Sarkophag, der ihn und seine Geliebte, die Gräfin Albany, die Gattin des englischen Prätendenten, des letzten Stuart’s, bedeckt. Ergriffen von der Heiligkeit des Ortes, von dem Schauer der Ewigkeit, erfüllt von dem erhabenen Cultus des Genius, standen Robert und die Prinzessin an dem Grabe der Liebenden, lautlos stumm, in Gedanken versunken, während um sie das Schweigen des Todes herrschte, die letzten Strahlen der untergehenden Sonne gleichsam mit einer Glorie die Erinnerung der Unsterblichen umgaben.

„Glücklicher, beneidenswerther Dichter!“ rief Robert unwillkürlich, indem er die goldene Inschrift an dem Denkmal Alfieri’s las.

„Warum beneidenswerth?“ fragte die Prinzessin verwundert.

„Weil ihn der Tod mit der Geliebten seines Herzens vereinigt hat.“

„Und sie dankt der Liebe ihres Dichters ihre Unsterblichkeit,“ versetzte sie, hingerissen von ihren Gefühlen.

„Sie war seine Muse, der verkörperte Genius der Poesie; die Göttin, welche ihn zu seinen schönsten Schöpfungen, zu seinen erhabensten Dichtungen begeisterte.“

„Und doch verdammte sie die Welt,“ bemerkte die Prinzessin mit bebender Stimme.

Ein leiser Seufzer entrang sich ihrer Brust und verrieth wider Willen die geheimsten Gedanken ihrer Seele, die sie sich selbst nicht zu gestehen, die Robert nicht zu hoffen wagte. Beide verfielen in ein gefährliches Schweigen, als fürchteten sie, die Geister der Liebenden heraufzubeschwören, die Ruhe der Todten, oder vielmehr ihre eigene Ruhe zu stören.

„Kommen Sie,“ sagte die Prinzessin, nachdem sie sich zuerst gefaßt hatte. „Es wird bereits kühl in der Kirche. Man erwartet uns zu Hause.“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 350. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_350.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)