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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

und wie sie einst die feste Stadt Waldshut eingenommen; da ergingen sie sich auch gerne in der Klage, die von Geschlecht zu Geschlecht forterbte, daß es nämlich mit dem Hauensteiner Niemand gut meine, als er selber, und daß er daher am besten thue, sich von der bösen Welt ganz ferne zu halten und ihr ein griesgrämiges Gesicht zuzukehren.

So hörte man denn lange Zeit nichts mehr von diesen Leuten, bis sie im Anfang des jetzigen Jahrhunderts wieder mehr und mehr zu rumoren begannen. Vorerst war es die Abschaffung unnützer Feiertage, welche dem Hauensteiner Bewußtsein sündhaft und verderblich erschien. Sie behaupteten, man wolle sie lutherisch machen, und kamen wieder häufig in nächtlichen Stunden zusammen. Als aber 1806 das Ländchen an das Großherzogthum Baden gefallen war, stand selbst der alte Graf Hans wieder auf. Die Hauensteiner verweigerten dem Landesfürsten die Huldigung, den Militärdienst und die Steuern. In Karlsruhe hatte man damals andere Dinge zu thun und ließ die Sache gehen bis nach den Befreiungskriegen, wo es Zeit schien, auch wieder an den Hauenstein zu denken und dort eine Ordnung herzustellen. Im Walde aber tauchte der Name der Salpeterer wieder auf und auch ein Nationalheld fand sich wieder. Dieser hieß Aegidius Strittmatter und behauptete, der Geist des alten Salpeterhannes sei ihm erschienen und habe ihn zu seinem Nachfolger ernannt. Sofort wieder nächtliche Zusammenkünfte, bei welchen Aegidius, wie seine Vorfahren, von den alten Freiheitsbriefen predigte, ihren angeblichen Inhalt erklärte und auslegte. Seine Anhänger wollten keine Rekruten stellen und keine Steuern zahlen, die Kinder nicht in die Schule schicken, keine Schornsteinfeger und keine Pockenimpfung anerkennen und verlangten zuletzt ein Schiedsgericht von zwei gesalbten Häuptern, dem römischen Papst und dem Kaiser von Oesterreich, welches einen Spruch thun sollte, ob sie zum Großherzogthum Baden oder zum Reich gehören. Die badische Regierung ließ zwar einige Anführer im Arbeitshaus unterbringen, suchte jedoch sonst die Gluth milde und allmählich zu löschen.

Aber in Kirche und Schule gährte der alte Salpeter noch immer fort. Als in den dreißiger Jahren der alte „Canisius“ abgeschafft und ein neuer eingeführt werden sollte, weigerten sich die Kinder standhaft, das Christenthum nach diesem zu lernen. Und als gar ein Lehrbuch, das ein protestantischer Pastor verfaßt, verbreitet wurde, schickten die Eltern die Freiexemplare zurück und ließen ihre Kinder nicht mehr in die Schule gehen. Dazumal stellten sie die Behauptung auf: ihr rechtmäßiger Landesherr sei eigentlich der Erzherzog Ferdinand von Oesterreich! Wie sie auf diesen gekommen, ist nicht klar; wahrscheinlich führten sie seinen Stammbaum auf den alten Grafen Hans zurück.

Den Erzherzog Ferdinand konnte man ihnen zwar als Landesherrn nicht gewähren, aber sonst geschah Alles, um sie zufrieden zu stellen; nur daß sie, wenn eine Beschwerde abgethan war, gleich wieder drei in Vorrath hatten. Sie beschwerten sich namentlich über ihre Geistlichen, als wären diese alle vom wahren Glauben abgefallen, vermieden die Kirche und hielten ihren Gottesdienst in einsamen Waldcapellen oder zogen Sonntags zu diesem Zweck in die benachbarte Schweiz. Die eigentliche und wahre katholische Religion schien ihnen überhaupt nur mehr in der Schweiz zu blühen, namentlich in den Klöstern zu Muri und Einsiedeln, wohin sie häufig wallfahrteten: Man hat es damals sehr wahrscheinlich gefunden, daß sie von diesen andächtigen Wanderungen manchen Zunder mitbrachten, der zu Hause hartnäckig fortknisterte. Es ist nicht zu verwundern, daß in diesen Zeitläuften auch wieder viel von Graf Hansen und den alten Privilegien die Rede war.

Wir können aber nicht ausführlich erzählen, was im Lauf der Zeit noch für Anstände hervortraten und mit welchen Mitteln der Landesfürst und der Erzbischof die Schwachen im Geiste zu begütigen gesucht; wir wollen nur noch sagen, daß die Salpeterer sich allmählich in die neuere Zeit zu schicken schienen. Auch ihre Klagen über die Priesterschaft wurden immer leiser, je mehr die erzbischöfliche Curie, welche früher im Gerüche des Aufklärichts gestanden, selbst zu den Anschauungen der Hauensteiner herniederstieg. Gleichwohl starb noch in den letzten Zeiten hier und da ein alter Sonderling, der auch auf dem Todbette von einem badischen Geistlichen keine Tröstung annehmen wollte. Andere giebt es noch, welche sich zum Beispiel dem neuen Schulgesetze nicht unterwerfen oder trotz der Ablösung den Zehnten auf den Feldern liegen lassen. Ferner steht ein dürrer Apfelbaum bei Egg, an dem verfallenen Hause des Müllers von Haselbach, der den Hauensteinern dieselbe Bedeutung hat, wie der Birnbaum auf dem Walserfelde den übrigen Deutschen. Wenn nämlich die Zeiten ernster werden und die Völker unruhig, und im Rheinthal unten die Regimenter marschiren, dann kommen die alten Salpeterer aus her Ferne, von drei, vier Stunden weit her und lugen, ob der Apfelbaum nicht wieder grünend werde; denn dieses wäre ein Wahrzeichen, daß die Kaiserlichen kommen und den „Rechten“ bringen und mit ihm der Grafschaft alte, nie vergessene Privilegien und Freiheiten.

Alle diese Begebenheiten sind nun dahingerauscht, ohne sichtliche Denkmäler zu hinterlassen. Es steht weder auf dem Schlachtfelde von Doggern noch auf den Hügeln von Etzwyl ein Monument; auch haben die Hauensteiner bisher weder dem Salpeterhannes noch dem Müller von Haselbach oder dem Aegidi Strittmatter eine Bildsäule errichtet, ja man sieht ihre Portraits nicht einmal an den Wänden der Wirthshäuser hängen oder auf den Pfeifenköpfen prangen. Nur Ein Erinnerungszeichen hat sich erhalten an alle diese Verschwörungen und Meutereien, die verlornen Schlachten und die mißlungenen Wiener-Reisen, die nächtlichen Zusammenkünfte und den Gottesdienst im grünen Wald, an all’ die Streitigkeiten mit weltlichen und geistlichen Herren, und dies Erinnerungszeichen ist die Tracht.

Die Hauensteiner Tracht besteht in einer langen, bis auf den Nabel reichenden Weste, dem „Brustlatz“, welcher vorne geschlossen ist, daher wie ein Panzerhemd über den Kopf geworfen und unter der Achsel eingehaftet wird. Er ist hochroth und oben mit schwarzsammtnen Streifen eingefaßt. Darüber trägt der Mann ein sammtnes Kamisol ohne Kragen und Knöpfe von dunkler Farbe, das aber früher ebenfalls roth gewesen sein soll; ferner schwarze Pluderhosen und weiße Strümpfe; endlich Schuhe mit einem gelben Lappen. Das Haupt bedeckt ein schwarzer Strohhut oder auch eine grüne Sammtmütze, welche mit Pelz verbrämt ist. Auch der Kragen des Hemdes ist zu bemerken, welcher kunstreich gefältelt und breit herausgeschlagen wird.

Diese Tracht, welche früher die allgemeine war, ist jetzt keineswegs mehr die gewöhnliche, vielmehr sind kaum noch ein paar hundert Männer zu zählen, die aus Anhänglichkeit an das alte Herkommen darin zu paradiren für gut finden. Wer sie aber trägt, der heißt „e Hotz“, und deswegen konnte der fürstliche Rath in Donaueschingen mit Grund von Hotzennestern sprechen.

(Der Name soll übrigens von Hoze herkommen, wie man ehemals für Hose sprach.) Die Frau des Hotzen heißt die Hötzin, und seine Kinder, wenn sie in seiner Tracht gekleidet gehen, die Hötzli. Es ist aber leicht zu merken, daß dieses Gewand von allen denen, die es nicht mehr tragen, gewissermaßen als eine Demonstration erachtet wird; Man glaubt, in seinen Trägern lebe noch der Geist der alten Salpeterer fort. Man betrachtet aber das Hotzenthum im Hauenstein selber heutiges Tages wenn nicht als geistige Krankheit, so doch als eine leichte Monomanie von mehr komischem als ernstem Gehalt; zugleich aber, und wohl mit Recht, als eine große, als die größte Merkwürdigkeit des Ländchens. Wenn man auf der Wanderung stellenweise nach Herrischried, nach Rickenbach fragt, so fügen selbst die Kinder ihrer Antwort mit schalkhaftem Lächeln bei, wie groß da oder dort das Corps der letzten Hotzen noch sei. Auch wird fast von jedem Hauensteiner, den man dem Fremden nennt, pflichtschuldigst erwähnt, wie er sich zum Hotzenthum verhalte. „Sî Vater isch e Hotz gsi, aber an dem isch es usgange,“ sagte die Wirthin von Rickenbach von irgend Jemand, den ich vergessen habe; aber die Phrase kam mir so bezeichnend vor, daß ich sie mir ganz haltbar einprägte.

Nachdem wir also nach Immeneich im schönen Thale der Alb hinuntergestiegen waren, fragten wir zuerst nach dem Hotzen, den wir am Schlusse des ersten Capitels erwähnt haben. „Er ist soeben dagewesen,“ sagte der Posthalter, „um ein Schöppchen zu trinken; jetzt wird er wohl auf dem Heimwege sein.“

Um in der Anrede und sonst im Gespräche nichts zu verfehlen, baten wir um einigen näheren Unterricht über Name, Stand und Herkommen des Gesuchten, worauf wir dann hörten, er nenne sich Johann Jehle, sei einst Bürgermeister gewesen, ein wohlhabender und sehr angesehener Mann. Zugleich wurde uns sein Haus bezeichnet, auf welches wir nun zugingen, doch überall spähend, ob er nicht etwa unterwegs einen Aufenthalt gefunden. Und in der

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