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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

That, als wir beim Wagner des Dorfes vorüberkamen, sahen wir ihn in dessen Werkstatt stehen, wie er mit dem Meister freundlich plauderte, Der erste Eindruck des Hotzen war ein sehr bedeutender, zumal derselbe ein großer schöner Mann ist, dem die Tracht, die wir oben beschrieben, vortrefflich zu Gesichte steht. Nur hatte er dieses Mal das schwarze Camisol nicht übergezogen, vielmehr ging er, als auf Arbeit bedacht, in weißen Hemdärmeln einher und hatte auch eine weiße Schürze vorgebunden. Die Sorgen des Werktags dämpften jedoch seine Heiterkeit nicht, vielmehr schien er in bester Laune und das ganze gutgefärbte Antlitz, von den kurzen blonden Löckchen, welche die Stirn umwehten, bis herunter zum fleischigen Kinn, lachte freundlich und friedlich in die Welt hinaus. Wir begrüßten ihn also sehr achtungsvoll und er, dem solche Besuche nicht ungewohnt schienen, erwiderte unsere Ansprache mit offenen, herzlichen Worten. Er schien wohl zu wissen, daß uns Alles, was an ihm war, interessant sein müsse – wie hätten wir sonst den weiten Weg gemacht? – und er gab uns daher alle Raritäten entgegenkommend preis.

Mit gespannter Neugierde untersuchte auch der Herr Maler den Bau seiner rothen Jacke, die Haften unter der Achsel, die schwarze Hotzenhose vom dicksten Tuche, die aber bei ihm eigentlich nicht gefältelt, sondern mit scharfem Messer von oben bis unten dich aneinander eingekerbt ist, so daß sie allerdings den Anschein gewinnt, als wäre sie in hundert kleine Fältchen gelegt.

Waren wir schon sehr zufrieden gestellt durch diesen heitern Anfang, so wurden wir noch freundlicher angesprochen, als uns der Hotze einlud, mit ihm unter sein Dach zu kommen. Wir betraten eine große Bauernstube, welche von der Gasse her durch eine lange ununterbrochene Fensterreihe erhellt war. Dieser Breitseite gegenüber trat in die Stube wie ein Thurm ein mächtiger Ofen herein, dessen Kacheln in ihrer grünen Farbe an die smaragdenen Seen des Hochgebirgs erinnerten. Neben dem Ofen und in Verbindung mit demselben war aber auch die ganze Wand tapetenartig mit solchen Kacheln verkleidet, deren Farbe von dem tiefen Dunkel des Gebälkes anmuthig abstach. Ueber sie herunter hingen allerlei Kleidungsstücke in bunter Reihe, auch mehrere Laternen für Haus und Stall. An den beiden Wänden, die noch übrig blieben, prangten etliche Tafeln mit frommen Bildern, auch zwei sehenswerthe Uhren, und in den schwarzen Balken, welche die Decke trugen, waren zahlreiche Schriften, Kalender und Zeitungen eingesteckt.

Es konnte unsere Achtung vor dem Gastfreunde nur erhöhen, als dieser auch noch eine Halbe Wein aufstellen ließ und fröhlich Bescheid that. Was wir aber damals gesprochen, wer kann es jetzt noch wissen, da es doch schon einige Zeit her ist und Niemand anwesend war, der sich unsere Reden aufschrieb? Nur so viel vermögen wir noch zu sagen, daß der Altbürgermeister sich scherzend selbst für einen Hotzen ausgab und der Meinung war, man dürfe sich dieses Namens nicht schämen, da er nichts Unrechtes bedeute. Was die alten Salpeterergeschichten betrifft, so meinte er, man habe sie mehrentheils vergessen, und wenn die Herren Geistlichen und Beamten brav und tüchtig seien, so habe man sie im Hauenstein eben so lieb, als anderswo. Gern sprach er auch von seiner einzigen Tochter; welche glücklich verheirathet ist und in acht Jahren ihren Gatten mit fünf frischen Kindern beschenkt hat. „Eine rasche Zunahme des Hausstandes,“ meinten wir.

„Ei,“ sagte der Hotz dagegen, „so lange die Kinder so gut gerathen, sollen sie nur so fortmachen.“

Unser Herr Reisegefährte war tief erregt durch diese neue und anziehende Erscheinung. Und wenn ein Hotze schon so mächtig wirken konnte, welcher Eindruck mußte erst entstehen, wenn ihrer gleich ein halb Dutzend nebst Hötzinnen und Hötzli vor den trunkenen Blick treten würden? „Ach, laßt uns hinaufziehen,“ rief er sehnsüchtig aus, „nach Herrischried und Rickenbach, den Hotzennestern. Mich befällt ein wunderlich Verlangen, Mehrere der Edlen in ihren Wohnungen, am häuslichen Heerde zu beschauen. Laßt uns hinaufgehen in jene magischen Landschaften, wo die rothen Jacken glühen und die schwarzen Hosen dunkeln!“

Also zogen wir hinaus in die Höhe, wo sie liegen, jene mehrgenannten Stätten seiner Sehnsucht. Von der Gegend wollen wir nicht viel sagen. Sie bestand aus Wiesen, Kornfeldern, Tannenwäldern und tiefeingerissenen Tobeln. Auch Häuser stehen darin und Dörfer mit verschiedenen Kirchen. Das Schönste auf diesen Wegen durch den „Wald“ ist aber die großartige Aussicht auf die Schweizer Alpen, die freilich an keinem anderen Ort so ausgedehnt und umfassend ist, als zu Höhenschwand.

Also erreichten wir Herrischried, ein ziemlich großes, weit ausgebreitetes und hoch angesehenes, fast als Metropole betrachtetes Dorf, welches zwar Hebel als „Herrischried im Wald“ ansingt, das aber zu unserer Zeit schon lange nicht mehr im Gehölz liegt, sondern in einem sonnigen, wohlbebauten, mit Kornfeldern durchschachten Thalgelände. Auf einer Anhöhe steht eine neue, ansehnliche, zweithürmige Kirche, die wir den Hotzendom nannten. Da es Sonntag war, so mußten wir die bedeutenderen Männer der Gemeinde natürlicherweise im Wirthshause suchen. Hie und da hatten wir auf dem Wege schon manchen fernen Hotzen entdeckt, dessen rother Brustfleck in dem schwarzen Camisol aufleuchtete wie ein brennender Dornbusch im dunklen Fichtenwalde, aber in die Nähe war uns keiner der Trefflichen mehr gekommen. Im Wirthshause dagegen fanden wir deren ein halb Dutzend am langen Tische sitzen und zur Vesper einen Schoppen Hauensteiner Bieres trinken. Sie saßen steif und aufrecht nebeneinander und rauchten aus großen Porcellanköpfen, welche eine billige Malerei verzierte. Als fromme und andächtige Tabakraucher wollen die Hotzen auf ihren Pfeifen nur ungern weltliche Bilder dulden und lassen sich lieber Christus mit dem Kreuze, Maria mit den sieben Schmerzen und Aehnliches darauf malen.

Es ist leicht möglich, daß die Männer schon vorher nichts Erhebliches disentirt hatten, aber als wir uns zu ihnen setzten, gaben sie die Unterhaltung gänzlich auf. Obgleich wir uns auf verschiedenen Gängen durch die Welt ziemliche Fähigkeit erworben, mit den Helden der Dorfgeschichten umzugehen und ihre schwere Zunge beweglich zu machen, so wollten unsere Versuche hier doch nicht recht gelingen.

Die Enkel jener großen Bauernkönige, Steuerverweigerer und Waldbeter gaben auf unverfängliche Fragen allerdings eine Antwort, aber sie war immer sehr kurz gefaßt und schien eher anzudeuten, daß sie nicht behelligt, als daß sie von uns unterhalten sein wollten. Die älteren Hotzen mit dem Bewußtsein, daß sie der Mitwelt unverständlich geworden, und nicht im Stande, ihre Stellung so heiter aufzufassen wie der Urhotz zu Immeneich, sind nämlich, wie wir oben schon bemerkt, sehr mißtrauisch und haben an fremden Leuten nur wenig Gefallen.

Die offene Gesprächigkeit der übrigen Schwarzwälder sucht man in diesen Kreisen vergebens. Daß wir unter solchen Umständen damals nicht von den alten Salpeterern zu reden anhoben, versteht sich wohl von selbst. Um ein Gutes fröhlicher ging es dagegen in der nächsten Stube her, wo mehrere junge Krieger, die eben von den Heldenthaten am Maine zurückgekehrt waren, mit Freunden und Freundinnen die ersten Freuden des Wiedersehens feierten. Unter den Leutchen dieses Alters war nichts zu merken von dem trüben Frust der monumentalen Hauensteiner, die schweigsam an dem langen Tische in der vordern Stube saßen; vielmehr konnte man sich leicht überzeugen, daß das Hotzenthum bereits an ihren Vätern „usgange“ war. In dieser Gesellschaft brach nämlich eine derbe, etwas bäuerische Fröhlichkeit ganz unumwunden durch; sie sprachen sehr laut und kräftig, suchten auch ohne Unterschied des Geschlechts von Zeit zu Zeit zu singen und zu johlen, so gut sie’s eben verstanden. Nebenbei konnten wir auch beobachten, wie sich hier zu Lande die Tracht der Weiber und Jungfrauen ausnehme. Ehedem hatte sie auch ihre hötzlichen Besonderheiten, namentlich war der Kopfputz sehr eigenthümlich, jetzt aber gleicht sie ziemlich der durchschnittlichen Landestracht der Schwarzwälderinnen. Die Farben sind meist dunkel; von der Haube flattern zwei lange seidene Bänder herab, die fast bis an den Boden reichen, und über den Rücken weit hinunter wallt der Zöpfe blondes Zwiegespann.

Zur ethnographischen Erinnerung an das Hotzenthum stellt sich hier noch ein Bildchen ein, welches der Maler ebenfalls im Hauenstein aufgenommen. Es ist der feierliche Moment erfaßt, wo die Seelen am Sonntag nach Predigt und Amt aus dem Gottesdienste kommen. Das alte Dorfkirchlein, der Friedhof, das Hirschenwirthshaus, die Hotzen, die Hötzinnen und die Hötzli bilden zusammen ein Ganzes, das der Beschauer gewiß mit eben so viel Vergnügen betrachten wird, als der Maler empfunden hat, da er es schuf.



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