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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

betraf eine junge Bäuerin aus dem Canton Zürich, die einige Jahre an Trübsinn gelitten hatte und die ihr Mann in die Gebetheilanstalt brachte. Auch hier bewährte sich die Gebetbehandlung nicht. Sie nahm gewissenhaft an den dreimaligen Gebetstunden des Hauses Antheil, ihr Zustand verschlimmerte sich aber so, daß ihr Mann sie nach wenigen Monaten wieder nach Hause zu nehmen für gut fand. Einige Zeit nachher schnitt sich die Unglückliche die Gurgel ab. Auf Grund dieser zwei Vorfälle hielt es der Bezirksarzt von Männedorf für seine Pflicht, eine Anzeige an die Behörden zu machen. In Folge hiervon veranlaßte das Statthalteramt Meilen eine gerichtliche Erhebung; dieser und der nachfolgenden Verhandlung vor dem Obergerichte verdanken wir eine genaue Kenntniß über das Leben und Treiben der Anstalt, die Heilmethode ihrer Vorsteherin, die erzielten Heilergebnisse, die herrschenden religiösen Anschauungen und Zahl und Charakter der behandelten Kranken.

Die Zahl der Letzteren belief sich zur Zeit der gerichtlichen Untersuchung auf ungefähr achtzig Personen. Sie waren aus der Schweiz, Würtemberg, Baden, Baiern, Preußen und Frankreich. Ihre Leiden waren theils religiöse Bedenken, theils Geisteskrankheiten. Unter den leiblichen Gebrechen spielen chirurgische Krankheiten und Augenleiden eine nicht unerhebliche Rolle. Groß ist die Zahl der Patienten, die Dorothea außer dem Hause behandelt, die nur zu flüchtigen Besuchen kommen, die Treppen und Corridore anfüllen und sich an ihrem Glaubenseifer erheben oder auch ihre Neugierde befriedigen wollen. Selbst die höchsten Stände waren unter diesen zeitweiligen Besuchern vertreten und der süddeutsche Adel glänzte nicht selten unter dem bescheidenen Dache des Landmädchens von Männedorf.

Dorothea versicherte, daß sie nie sich um Kranke beworben habe, sondern fast wider Willen zu ihrer Thätigkeit gekommen sei. Nie habe sie ihren Beruf als Gewerbe betrieben, nie sich für ihre Krankenbesuche und Gebete bezahlen lassen. „Umsonst habt ihr es empfangen, umsonst gebt es auch.“ Wohlhabende Kranke zahlten für vollständige Verpflegung mit reichlicher Nahrung im Durchschnitt wöchentlich fünf, im höchsten Falle zehn Franken.

Allen Kranken erklärte „die Magd des Herrn“ beim Eintritt in die Anstalt, daß sie dieselben nicht heilen könne und daß sie am unrechten Orte seien, wenn sie von ihr persönlich etwas erwarten. Christus sei der einzige Arzt und die Behandlung geschehe nach Gottes Willen. Nicht die Heilung des Leibes, sondern die der Seele sei der eigentliche Zweck der Anstalt. Wiederholt betheuerte sie, daß ihr keine magnetische Kraft innewohne, daß sie nicht einmal wisse, was dies bedeuten solle.[1]

An der Seite von Dorothea wirkten in der Anstalt ihre Schwester und vier Krankenwärterinnen, die früher selbst Pfleglinge der Anstalt gewesen waren und nun ohne Löhnung nur aus Begeisterung für die gute Sache neben ihr dienten. Ebenso wirkte Xaver Zeller aus dem Canton Aargau ohne Entschädigung eifrig neben ihr in dem Krankenhause. Ihn hatte sie zu ihrem Erben und Nachfolger ausersehen. Ursprünglich ein Schullehrer, war er im Jahre 1857 als leberkrank und gemüthsleidend in das „Haus des Segens“ gekommen und geheilt worden. Acht Monate nach seinem Austritt hatte ihn Jungfer Trudel wieder zurückgerufen und seit dieser Zeit diente er ohne Unterlaß in dem Hause. Er leitete die Beziehungen nach außen, führte den Briefwechsel, stand den Gebetstunden vor und begleitete die Gesänge derselben auf der Handorgel.

Ein Arzt wird grundsätzlich nur in den allerschlimmsten Fällen beigezogen in der Voraussicht des nur auf diese Weise zu beschaffenden Todtenscheines. Nie aber verweigert man einem Kranken den Arzt, wenn er dessen Hülfe verlangt.

Was nun die Heilergebnisse der Anstalt betrifft, so liegen mehr als neunzig schriftliche und eine Menge mündlicher Zeugnisse vor, aus denen wir nur das Augenfälligere hervorheben. Eine Frau G. aus Uster will im Jahre 1858 durch das Gebet der Trudel von einer langwierigen Unterleibskrankheit, eine junge Dame aus Stuttgart von einem Rückenmarksleiden befreit worden sein. Dem Jakob Dändliker hatten die Aerzte erklärt, daß sein brandiger Fuß abgesetzt werden müsse, sonst werde der Tod erfolgen; in der Trudl’schen Anstalt wurde er ohne Messer geheilt. Ein Herr W., der durch die Angeklagte in ihrem Hause „den Heiland fand“, wurde auf der Reise von einer heftigen Unterleibsentzündung befallen. Dorothea, brieflich befragt, rieth ihm, im Blick auf den Heiland sich selbst die heilende Hand aufzulegen. Er wurde dadurch hergestellt. Ein erfolglos vom Staar operirter und zur ewigen Blindheit verurtheilter Mann wurde zwar auch bei Dorothea nicht geheilt, aber „sein seelisches Auge wurde geöffnet und ersetzte ihm das Licht des leiblichen Auges“. Ein I. D. litt an Altersbrand der Zehen, war lange von den Aerzten erfolglos behandelt worden und litt furchtbare Schmerzen. Jungfer Trudel legte ihm öfters die Hand auf den kranken Fuß, salbte ihn mit Oel, die Schmerzen ließen nach, die eingetrockneten Zehen fielen ab und das Glied heilte. Einem anderen Manne wurde auf gleiche Art seine kranke Hand geheilt, Unzähligen durch Auflegen der Hand auf die Stirn ein quälendes Kopfweh, das ihnen das Leben zur Last gemacht hatte, beseitigt, oft wie weggeblasen. Ein Mädchen, das ein Knöchelchen verschluckt hatte und am Ersticken war, wurde durch Jungfer Trudel’s Gebet rasch hergestellt. Baron B. aus Baden-Baden bezeugt, daß er nicht mehr gehen gekonnt und in drei Monaten in der Anstalt geheilt worden sei; die Frau eines würtembergischen Fabrikanten, daß sie ebendaselbst von einer hartnäckigen Darmkrankheit befreit worden sei, die der Kunst der Aerzte getrotzt hatte.

Die „wunderbare Gebetkraft der Mutterli“ hatte ein Mädchen aus Aarau von unheilbar erachteten Nervenzufällen curirt. Unendlich mannigfaltig ist die Zahl der Krankheiten, die in der Anstalt behandelt und geheilt wurden, die berühmtesten Mineralquellen können den Vergleich nicht aushalten. Rheumatische und gichtische Schmerzen, Bleichsucht, Entzündungen, Schwermuth, in die der Teufel versetzt hatte, Selbstmordsgedanken, ja selbst Schönheitsfehler, wie z. B. Leberflecken, fanden rasch ihre Erledigung. Nur ein eingeklemmter Bruch erwies sich als störrisch und ungefällig; Dorothea hatte aber gleich beim Eintreten dieses Falles wenig Hoffnung auf das Gelingen der Cur. „Bei einem Bruche könne sie nicht helfen, wären es Drüsen, dann eher.“ Die betreffende Kranke wurde auch bald ungebessert entlassen.

Neben diesen glänzenden Ergebnissen der Heilanstalt liegen nicht minder günstige Zeugnisse über Charakter und Persönlichkeit der Vorsteherin vor. Ihr kindlicher Glaube, ihre Hingebung und Aufopferung für die Kranken, ihre Geduld mit Geisteskranken, die sich selbst persönlich an ihr vergriffen, der Geist der Liebe, der in dem Segenshause herrsche, wird von verschiedenen Zeugen hervorgehoben. Nur deutet sowohl das Zeugniß des Statthalteramts als der bezirksärztliche Bericht an, daß ein etwas süßlicher Zärtlichkeitston in der Anstalt herrsche, daß viel brüderlich und schwesterlich geküßt und umarmt werde etc.

Obwohl somit die Ergebnisse der Untersuchung zugunsten der Angeklagten ausfielen, so fand doch sowohl der Vorstand der öffentlichen Gesundheitspflege des Cantons Zürich, als das Statthalteramt und das Bezirksgericht Meilen, daß Dorothea Trudel strafbar sei. Das Medicinalgesetz des Cantons erlaubt Niemandem, sich mit der Heilung von Kranken zu befassen, der nicht die gehörige gesetzliche Berechtigung dazu erlangt hat (§. 1), und die Einrichtung von Privatkrankenhäusern und namentlich Irrenanstalten ist der Erlaubniß und Genehmigung der Medicinaldirectoren (§, 40) unterstellt. Das Statthalteramt verurtheilte aus diesem Gründe die Angeklagte zu einer Geldstrafe von einhundertundfünfzig Franken, befahl ihr binnen Monatsfrist die Anstalt zu schließen und untersagte ihr, unter Androhung neuer gerichtlicher Schritte, die Aufnahme neuer Kranken. Gegen dieses Urtheil erklärte Dorothea Berufung an die Criminalkammer des Zürcherischen Obergerichtes, welche die Verhandlung über den Trudelproeeß auf die Sitzung vom 13. November 1861 ansetzte.

In der Anstalt zu Männedorf herrschte in der Zwischenzeit eine bange, gedrückte Stimmung. „Jungfer Trudel aber,“ sagt Herr Zeller in seinem genannten Tractat, „ging in ihr Kämmerlein und sagte zum Herrn: ,Siehe, das Medicinalgericht und H. Statthalter befehlen mir, die Kranken fortzuschicken; ich aber weiß, daß nur das gilt, was Du befiehlst; sage mir aus Deinem Wort, was Du befiehlst? Sie zog im Glauben ein Loos: Daniel 6, 26 und 27.“ Herr Advocat Spöndlin in Zürich hatte freiwillig die Vertheidigung

der Angeklagten vor dem Obergericht übernommen und sein

  1. In seiner Schrift „Leben und Heimgang der Dorothea Trudel von Männedorf“ führt Herr Zeller auch folgenden baroken Beweis hierfür an: „Ein Magnetiseur, der mit seiner Ruthe Wasser gesucht hatte, veranlaßte die Jungfer Trudel, dieselbe auch in die Hand zu nehmen. Wie erstaunt er aber, als er sah, daß die Ruthe, statt sich abwärts zu beugen, wie bei ihm, sich in entgegengesetzter Richtung bewegte!!“
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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 361. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_361.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)