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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

Universitäten Göttingen, Heidelberg und Bonn, theilweise zugleich mit seinem um ein Jahr älteren Bruder, dem Herzog von Ratibor, Mitglied des Reichstags und Zollparlaments, studirt, verließ erst, nachdem durch Erbvertrag die Standesherrschaft Schillingsfürst, nach der er sich nennt, im baierischen Regierungsbezirk Mittelfranken gelegen, an ihn gefallen war, den preußischen Staatsdienst, wandte fortan seine ganze öffentliche Thätigkeit Baiern zu und trat im Jahre 1846 als erblicher Reichsrath in die Erste baierische Kammer. Hier ist er von jeher unter denen gestanden, die sich durch wohlwollenden politischen und kirchlichen Freisinn und deutsche Gesinnung auszeichnen. Seine Berufung zum Ministerposten war die Anerkennung seines braven Charakters, seiner Grundsätze. Aber, wie gesagt, eine Aufgabe voll ernstester Größe stand vor ihm. Alle Kreise des Volkes, ja der Hof selbst waren leidenschaftlich erregt und der verschiedensten Meinung darüber, wie die Resultate des für Baiern so ruhmlosen Krieges für die Zukunft zu verwerthen seien. Armeereorganisation, Vereinfachung der Justiz und Verwaltung im Innern, die Gründung eines Südbundes oder der engere Anschluß an Preußen, das waren die Fragen und Begehren, die er am Neujahrstag 1867 unerledigt auf dem Ministertische fand. Die Gährung im Volke, unterhalten durch die herrschsüchtigen Ultramontanen und die verbissenen Particularisten, die in Hohenlohe die deutsche Gesinnung haßten, war eher im Steigen, als im Fallen. Dazu denke man sich die Person des jugendlichen, wohlwollenden, aber tausend dem Minister feindlichen Einflüsterungen ausgesetzten Königs, sowie die Unmöglichkeit, jetzt schon das Geheimniß des am 22. August 1866 geschlossenen Bündnißvertrags mit Preußen zu offenbaren, und man wird die peinliche Lage des Ministers ermessen. Aus diesen eigenthümlichen Verhältnissen ist zu erklären, wenn der Fürst Hohenlohe bald von dieser bald von jener Partei der Schwäche, der Halbheit, der Unaufrichtigkeit geziehen wird. Die Wahrheit ist aber das Gegentheil. Ein Minister von deutscher Gesinnung in einem Staate, in dem der crasseste Particularismus und der heimathlose Ultramontanismus das Ruder zu führen gewöhnt sind, kann nur durch das behutsamste Auftreten, nur durch schrittweise Vorwärtsbewegung hoffen, sich dem Lande zu erhalten. Und dies versteht Hohenlohe meisterhaft. Aber daß er unter Umständen, und wenn die Lage dazu angethan ist, auch deutsch zu reden und energisch zu handeln vermag, hat er im October 1867 bewiesen, als es galt die Schutz- und Trutzbündnisse mit Preußen und die Zollvereinsverträge bei der widerstrebenden Ersten baierischen Kammer durchzusetzen. Seit ihm dies gelungen ist durch die Beihülfe der Zweiten Kammer und die lebhafteste Unterstützung aus dem Volke, ist seine Stellung um Vieles sicherer und klarer. Daß er sorglos einen Monat lang seinen Sitz im Zollparlamente nehmen konnte, ist wohl der beste Beweis dafür.

Der Einfluß Hohenlohe’s auf die Versammlung ist bedeutend. Er erstreckt sich von der Fraction der Freiconservativen aus, bei der er und sein Bruder eingetreten sind, über die Conservativen, einen großen Theil seiner baierischen Landsleute und auf die baierische Fortschrittspartei, die in ihm den frei- und deutschsinnigsten Minister verehrt, den Baiern seit Jahrzehnten gesehen. Die äußere Erscheinung Hohenlohe’s macht einen sehr wohlthuenden Eindruck. Er ist nur mäßig groß, aber sehr proportionirt gebaut. Sein intelligentes Gesicht scheint fortwährend über Staatsgeheimnissen zu sinnen; sein Auge ist offen und frei. Die wenigen Worte, die er bei seiner Wahl zum Vicepräsidenten sprach, waren vortrefflich nach Inhalt und Form.

Indessen auch die offenen und geheimen Gegner des Fürsten Hohenlohe haben aus Baiern ein ansehnliches Contingent zum Zollparlament gestellt. Als officieller Führer der vereinigten particularistisch-baierischen und ultramontanen Opposition gegen das Ministerium Hohenlohe gilt den Baiern der Freiherr v. Thüngen. Zu diesem Titel berechtigt ihn seine hervorragend aristokratische Stellung als Senior seiner Familie, Erbküchenmeister des Herzogthums Franken, baierischer Kämmerer, lebenslänglicher Reichsrath und zweiter Präsident der Ersten Kammer. Nicht minder wohl sein vornehmes, den Feinheiten parlamentarischer Feldzüge durchaus gewachsenes Benehmen, sein imponirendes Aeußere – er ist der zweitgrößte aller Süddeutschen – sein kräftiges Alter, seine Redegabe, die die alte Kunst österreichischer Erzherzöge, die Kunst des Anbiederns, in reichem Maße an den Mann zu bringen weiß. Indessen gerade weil man ihm diese Kunst Seiten seiner eigenen Landsleute erfahrungsmäßig zutraut, ist sein Auftreten im Zollparlament, namentlich bei der Adreßdebatte, von der baierischen Fortschrittspartei am meisten mit überwiegendem Mißtrauen aufgenommen worden.[1] Seine Versicherungen deutschester Gesinnung, seine Erklärung, auch er sehe den Eintritt Baierns in den Norddeutschen Bund mit Wohlbehagen, harmonirten wenig mit seiner Opposition gegen seinen deutschgesinnten Minister, seine Begeisterung für den Zollvereinsvertrag wenig mit der Thatsache, daß er an der Spitze der baierischen Reichsräthe bis zum letzten Augenblick im vorigen Herbst Alles aufbot, die Annahme des Vertrages in Baiern zu hintertreiben. Indessen die leitenden Köpfe dieser particularistisch-ultramontanen baierischen Coalition sind in den Herren v. Schrenck und v. Neumayr zu suchen. Beiden steht eine außerordentlich viel größere parlamentarische und diplomatisch-regierungsgeübte Erfahrung zur Seite. Beide sind zudem nach wie vor die Muster gutösterreichischer Gesinnung in Baiern. Beide leisteten der Reaction ihre Dienste nach ihrer Weise, v. Schrenck als Alterego des Herrn v. d. Pfordten bald in Frankfurt a. M. am Bundestag, bald als baierischer Premier, v. Neumayr als ordentlicher und außerordentlicher Diplomat am Stuttgarter Hofe und bei anderen Höfen. Aber doch trägt ein glückliches Blatt baierischer Geschichte den Namen Neumayr. Die wichtigen inneren Reformen, die sich in Baiern vom Jahre 1859 an vollzogen: Trennung der Rechtspflege von der Verwaltung, Aemterreorganisation, Judenemancipation, sind unter Neumayr’s Ministerium des Innern (von 1859–1865) angebahnt und durchgesetzt worden.

Der beste, ehrwürdigste Name, den diese Partei zum Zollparlament sandte, gehört jetzt einem Todten an. Freiherr Carl Maria v. Aretin, der langjährige Vorstand des baierischen National-Museums, ist in den ersten Tagen des Zollparlaments vom Schlage gerührt worden. Nur wenig geistiges Interesse bietet die lange Reihe altbaierischer Adelsgeschlechter der Grafen v. Arco-Steppberg und Arco-Valley, Aretin, der Freiherren v. Eichthal, v. Ow, und zu Rhein, die unter v. Thüngen’s Führung im Zollparlament tagen, wenig auch die bürgerlichen Anhänger dieser Richtung, die Diepolder, Edel, Hafenbrädl, Miller. Wohl aber gesellen sich ihnen zu äußerst interessante Köpfe aus dem streitbaren Lager der katholischen Kirche. Da ist der baierische Militairprediger Lukas mit seinem scharfgeschnittenen Pfaffengesicht, so charakteristisch, als habe man es aus jenen alten deutschen Holzschnitten genommen, die das Lied vom großen Papst Hildebrand illustriren, mit seinem langen Talar, und dem unheimlichen Wechsel zwischen jesuitischer Ruhe und Tücke in den Augen. Es ist in der That ein streitbarer Pfaff, wie in Hutten’s Tagen, wo sie bald die Feder führten, bald das Schwert um die Lenden gürteten. Er hat beides gethan. Er hat über die Geschichte der Stadt und Pfarrei Cham, über Schiller’s religiösen Fortschritt und Tod geschrieben, er hat sich auch in Broschüren versucht, die sich schon durch den Titel als wilde Pamphlete bekunden, wie: „Der Schulzwang, ein Stück moderner Tyrannei“, „Die Presse, ein Stück moderner Versimpelung“. Dann im Jahre 1866 ist er mit in den Krieg gezogen. Jetzt brütet er in Berlin über Tabak, Roheisen und Petroleum – scheinbar – denn so oft er spricht, sprühen die Funken unversöhnlichen Hasses gegen den großen protestantischen Staat im Norden, der dem Evangelium Lukä und der „modernen Versimpelung“, die von den Römlingen so gern in die Volksschule als „ein Stück moderner Tyrannei“ getragen würde, die eherne Stirn seiner Bildung, seiner Sittlichkeit und seiner Macht entgegenstellt.

(Schluß folgt.)


  1. Sollte unser geehrter Berichterstatter bei Beurtheilung dieses Mannes nicht durch die gefärbte Brille der Partei gesehen haben? D. Red.      


Inhalt: Im Hause der Bonaparte. Historische Erzählung von Max Ring. (Fortsetzung.) – Land und Leute. Nr. 27. Bilder aus dem Schwarzwald. Von Ludwig Steub. II. Das Hotzenland. Mit Abbildung. – Dorothea Trudel, die Heilige von Männedorf. – Die Achtundzwanzig von Rochdale. – Frei vom Türkenjoch! Ein Zukunftsstaat an der unteren Donau. Mit Abbildungen. – Skizzen aus dem Zollparlament. 2. Süddeutsche Charakterköpfe.



Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 368. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_368.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)