Seite:Die Gartenlaube (1868) 373.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

sehr Wichtiges vorhabe. Und so verhielt er sich auch dem Wirth gegenüber schweigsam, ließ sich ein Zimmer über einer Stiege anweisen, nahm sein Abendessen ein und legte sich in tiefe Gedanken versunken, die zuweilen zu abgerissenen Selbstgesprächen wurden, in welchen sich die Aufgeregtheit seines Gemüths kund gab, frühzeitig nieder.

Eben in Begriff sein Abendgebet zu sprechen, vernimmt er durch die dünne Bretterwand, die ihn vom benachbarten Erkerzimmer trennt, den kräftigen Gesang einer schönen, volltönenden Baritonstimme, die ein geistliches Abendlied anstimmt. Der Schenk versteht jedes Wort des Liedes und der fromme, gottbegeisterte Inhalt desselben, die schöne Melodie, der ausdrucksvolle Vortrag und die meisterhafte Begleitung auf der Laute entzücken den odenwälder Ritter mit jeder Minute mehr. Er bekreuzt sich, faltet die Hände, und wenn der fromme Sänger eine Strophe beendigt hat, so fällt er leise mit einem gottergebenen, herzlichen „Amen!“ ein.

Gasthof „Zum Riesen“ in Miltenberg.

Als der kunstbegabte Nachbar den Gesang beendigt hat, fügt er ein kurzes, kräftiges Gebet hinzu, worin er sich und alle guten Menschen der heiligen Dreifaltigkeit empfiehlt und mit der Bitte schließt, das Herz der verstockten Sünder und Irrenden den Strahlen der göttlichen Barmherzigkeit zu öffnen. Der Schenk flüstert sein Amen! Amen! und fühlt sich so erhoben und erbaut, wie seit langer Zeit nicht, so daß er mit den seligsten Gefühlen einschläft.

Mit dem Frühstrahl des Morgens wird er von denselben Lautenklängen und einem Morgenliede seines Nachbars erweckt. O, wie ist das dem Schöpfer des All’s dargebrachte Danklied durchweht vom Hauche wahrer Gottesliebe und Frömmigkeit! Der Schenk hat unwillkürlich die Hände gefaltet, eine unendliche Rührung überkömmt ihn und seine Lippen flüstern nach jeder Strophe Amen! Amen! Und als der Sänger endlich schweigt, bekreuzt sich der Ritter fromm und erhebt sich, um den Wirth zu befragen.

„Wer ist mein Nachbar droben in der Erkerstube, der mich mit seinem Gesang, so schön wie ich noch keinen gehört, baß erquickt hat?“

„Es ist ein geistlicher Herr, den ich nicht kenne, von mittleren Jahren und ehrwürdigem Ansehen; ist gestern Abend knapp vor Euch, Herr Ritter, in einem bescheidenen Wäglein angefahren und gedenkt heute bald seine Reise fortzusetzen; hat schon seine Zeche bezahlt und das Gefährt anzuschirren befohlen.“

„Geh’ zu ihm und sag’ ihm, daß ich mich gedrungen fühle, ihm mündlich für seine köstlichen Lieder gestern Abend und diesen Morgen zu danken; ich laß ihn bitten, mir eine Viertelstunde zu schenken; denn auch ich eile mit der Abreise. Aber ich muß ihm die Hand drücken und in’s Auge sehen.“

Der Schenk folgte dem Wirthe auf dem Fuße und nahn ihm die Thürklinke der Erkerstube aus der Hand. Der fromme Sänger stand vor dem frommen Ritter und erwiderte dessen freundlichen Gruß mit gleicher Herzlichkeit.

Er war ein Mann in der ersten Hälfte der dreißiger Jahre, von mittler Größe und gedrungenem Körperbau; seine zwar nicht schöne aber imponirende Gesichtsbildung zeugte von Milde und Charakterfestigkeit. Sehr lebhaft und geistreich blickte sein großes blaues Auge, sein dunkelbraunes Haar bekränzte schlicht die hochgewölbte Stirn und den starken, kräftigen Nacken. Sein Mund war beredt, ehe er ihn nur öffnete. Die ganze Gestalt erhöhte im Ritter von Erbach den Eindruck, welchen er bereits durch den Gesang empfangen hatte, so daß er sogleich für den geistlichen Herrn eingenommen war.

„Ich komme, Euch meinen Dank abzustatten für die Erbauung, die Ihr mir bereitet habt, ehrwürdiger Vater,“ sagte der Ritter, „und obgleich ich vom Wirthe vernommen habe, daß Ihr’s mit der Weiterreise eilig habt und schon auf dem Sprunge steht, und obgleich ich selbst zum Aufbruch haste, so richte ich doch die herzliche Bitte an Euch, mir noch ein solches Lied zu singen. Meine Seele dürstet nach dem lebendigen Quell, der aus der Enerigen fließt.“

„Solchen Durst mit dem lebendigen Wasser zu stillen, gebietet mir schon die Pflicht meines Standes. Die Musica ist dazu erschaffen, das Menschenherz zu erbauen und zu läutern.“

Er nahm die Laute und begleitete sich ein Lied. Es war eine tiefsinnige, gottbegeisterte Anrufung des heiligen Geistes um die Gnade der Wiedergeburt und daß aus ihr der beseligende Glaube an das Verdienst Christi in der Erlösung von Sünde und Tod emporblühen möge. Es war ein Hymnus von ergreifender Glaubensschönheit, der seine Wirkung auf das schon so mächtig erregte Gemüth des frommen Schenken nicht verfehlte. Mit gefalteten Händen saß er da und seine Lippen flüsterten zuweilen „Amen! Amen!“ während er tieferschüttert sich die Augen wischte.

Als der fremde Gast mit leuchtenden Blicken den Gesang schloß, streckte ihm der Ritter dankend die Hände entgegen, und die beiden Männer sahen sich mit verschlungenen Händen durch die Augen in die Seele und schlossen ohne Worte einen hehren Bund miteinander. Dann nahm der Schenk das Wort: „Euer herrliches Lied legt mir eine Frage in den Mund: Was haltet Ihr von der Lehre des heiligen Augustin, daß wir durch Buße und Werke nicht können unserer Sünden ledig werden, sondern allein durch das Sühnopfer Jesu Christi, weil die menschliche Natur durch den Sündenfall verderbt und zum Guten gänzlich unfähig sei?“ Der geistliche Herr horchte auf und erwiderte sanft lächelnd: „Es will mich baß bedünken, Ihr habt außer dem frommen Glauben auch ein gut Stück Theologie im Leibe und ich kann mit Euch reden, wie mit meines Gleichen.“ Der Schenk nickte beistimmend und der Priester begann mit bewundernswürdiger Beredsamkeit von den Kirchenvätern zu reden und hob die Verdienste Augustin’s in großen flammenden Zügen hervor. Dabei würdigte er die Meinungen und Ansichten der Gegner, entschied sich aber für Augustin, den er nächst dem heiligen Paulus den größten Kirchenfürsten und die stärkste Säule des reinen Glaubens nannte.

Der Schenk machte zuweilen einen Einwand oder that eine weitere Frage, die den Sprecher zu immer neuen Erörterungen veranlaßte. Darüber verstrich Beiden unvermerkt die Zeit – es waren wohl Stunden vergangen – bis der Wirth verwundert hereintrat und fragte, ob er das Wäglein wieder abschirren und die Pferde absatteln lassen solle; der Fuhrknecht des geistlichen Herrn und der Knappe des Ritters seien gleich besorgt und ungeduldig, da sie wüßten, wie sehr die Herren auf baldige Abreise gedrungen.

„Hilf Jesus und Maria!“ rief der Schenk auffahrend. „Ihr habt mir mein vorsätzliches Werk vergessen gemacht mit dem Fluß

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 373. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_373.jpg&oldid=- (Version vom 25.3.2023)