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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

Andern Morgens beim Frühstück lenkte der Wirth unsere Aufmerksamkeit auf die interessanteste Persönlichkeit im stillen Rickenbach, auf das Heidewible (Heidenweiblein). Immer bedacht, unsere Kenntnisse zu erweitern, sandten wir alsbald einen Boten mit der Bitte ab, das Weiblein möge doch gefälligst unser Frühstück mit seiner Gegenwart verschönen. Dasselbe kam auch alsbald herein und theilte unsere Geselligkeit. Es ist ein altes eingeschrumpftes Weiblein, sonst nicht auffallend, doch von großer Beweglichkeit und frischem Geiste. Der Gründlichkeit halber fragten wir zuerst, warum sie das Heidenweiblein genannt werde, worauf sie angab, vor Gott und Obrigkeit heiße sie eigentlich Magdalena Schmid, jenen andern Spitznamen aber habe sie sich dadurch erworben, daß sie nach Art der Zigeunerinnen, welche man hier zu Lande Heidinnen nenne, Tabak zu rauchen pflege. Diese Gewohnheit aber habe sie angenommen, weil sie früher sich viel mit Forellenfang beschäftigt und in dem Wasser stehend sich oft Zahnweh zugezogen, welches sie dann durch scharfe Cigarren zu lindern versucht habe. Allmählich aber habe sie in der Nicotinna nicht mehr eine Arznei, sondern einen lieblichen Genuß gefunden, den sie jetzt sehr hochschätze. Diesen Wink nicht mißverstehend boten wir Beide unsere Opfergaben an, worauf sich das Weiblein sachverständig eine Cigarre ansteckte und die kräuselnden Wölkchen derselben sich mit denen der unsrigen vereinigen ließ. (Nach andern Nachrichten soll das Heidenweiblein allerdings das hinterlassene Kind einer wandernden Zigeunerin sein, was aber hier nicht weiter untersucht, sondern den Localhistorikern zur Aufhellung überlassen werden kann.)

Aber nicht das Rauchen allein macht das Heidenweiblein zum Wunder seiner Nachbarschaft, sondern auch seine Gelehrsamkeit und seine dichterischen Schöpfungen. In der That zeigte es auch eine Belesenheit, die uns staunen machte. Es scheint in jüngern Tagen nicht blos den ganzen Hauenstein, sondern auch ein Stück des gegenüberliegenden Cantons Aargau, ja vielleicht halb Basel und Schaffhausen ausgelesen d. h. alle dort auftreibbaren Bücher in Händen gehabt zu haben. Ihre Gedichte, deren eine große Zahl sein soll, pflegt sie nicht aufzuschreiben, sondern trägt sie, wie die alten Rhapsoden, im Kopfe herum. Wir waren nur um so begieriger, eines dieser Erzeugnisse an uns vorübergehen zu lassen. Das Weiblein zeigte sich auch gleich bereit, unserm Verlangen entgegenzukommen, jedoch unter der Bedingung, daß wir sie nicht unterbrechen dürften. Gerne gingen wir diesen Pact ein, den wir aber bald zu bereuen gehabt hätten.

Das Heidenweiblein begann also eine gereimte Dichtung vorzutragen, welche den Titel führt: „Das Schloß zu Harpolingen“. Harpolingen ist eine schöne Burgruine in der Nähe von Rickenbach, welche eine alte Sage umflimmert, von einem Fräulein, glaub’ ich, das sich aus Liebesschmerz vom Thurm gestürzt. Diese Sage also hatte die Dichterin in ein poetisches Gewand gefaßt, aber eine Anzahl verschiedener Episoden und lange Betrachtungen über Gott, die Welt und das Großherzogthum Baden hineinverwoben. Als wir so eine gute Viertelstunde zwar ruhig zugehört, aber doch gemerkt hatten, daß der Knäuel der ineinander laufenden Fäden immer wirrer werde, und daß vielleicht ein halber Tag darauf gehen könnte, bis Alles wieder entwirrt und das Lied von Harpolingen zu Ende sein würde, betrachteten wir uns mit trüben Blicken und gaben uns Zeichen mit den Augen, welche die Harmonie unserer Gefühle nicht verkennen ließen. So nahm ich mir denn den Muth heraus, fiel unterbrechend in’s Gedicht hinein und sagte:

„Aber, liebes Heidewible, unseren poetischen Bedürfnissen wäre für heute bereits Genüge geschehen – könnten wir das Uebrige nicht ein ander Mal hören?“

„Nein,“ erwiderte sie dagegen mit freundlichem Ernste, „Sie haben mir versprochen, das Ende ruhig abzuwarten, und ich bitte Sie mir dieses Versprechen zu halten.“

Was war zu thun? Wir setzten uns wieder zurecht und lauschten von Neuem auf die alte Sage, glaubten aber doch zu gewahren, daß das Weiblein selbst sich einige Abkürzungen erlaube. Und in der That, nach einer weitern Viertelstunde kamen bereits Verse heran, wie diese:

Sie war so schön und war so zart,
Und hatte viel Geistesgegenwart;
Das Fräulein mußt’ aber doch aufgeben
Seine schöne Gestalt und junges Leben,

Verse, die uns mit der Hoffnung erfüllten, daß das Ende nicht mehr ferne sei. Wir bemerkten auch mit Vergnügen, daß eine der handelnden Personen nach der andern erstochen oder sonst vom Tode ereilt wurde und sich die Geschichte immer mehr vereinfachte.

Es überraschte uns aber nicht wenig, als das Gedicht am Schluß plötzlich in eine Parabase überging, welche die Hauensteiner dringend ermahnt, sich mit den neuen Zeiten zu versöhnen. Vieles Gute hätten diese schon zu Tage gefördert, wie z. B.

Die Eisenbahn – die frißt kein Heu,
Bringt Korn aus Rußland und Aegypten herbei.

Auch der Gensd’armerie sei ein rechtlicher Mensch vielen Dank schuldig; sie sorge für Schutz der Person und des Eigenthums – endlich aber vor Allen solle hoch leben Seine königliche Hoheit der Großherzog von Baden!

So waren wir denn uns selbst wieder gegeben, nahmen Abschied von den Wirthsleuten und wollten unsers Weges gehen, konnten aber nicht umhin auf eindringliches Bitten auch das Haus des Heidenweibleins zu besuchen, welches ohnedem an dem Sträßlein lag. Was nun dieses und einige andere Hotzenhäuser, in die wir unterwegs einen Blick gethan, betrifft, so habe ich allerdings da und dort schon viel hübschere gesehen.

Das Hotzenhaus steckt nämlich unter einem Strohdach, welches aber unten nicht regelmäßig abgeschnitten ist, sondern sich flügelartig über verschiedene Ausladungen erstreckt, die im Laufe der Zeiten dem ersten Bau hinzugewachsen und verschiedenen ökonomischen Zwecken gewidmet sind. An der vorderen Breitseite ist das Strohdach etwas höher abgenommen, um der großen Stube mehr Licht zu lassen. Hier stehen dann drei oder vier Fenster nebeneinander, nur durch schmale Leisten getrennt, und vor diesen findet sich ein gebohlter Platz, mit Bänken und Stühlen besetzt, der gegen außen hin durch eine niedrige Bretterwand eingefriedigt ist. Hier unter dem schützenden Vordach sitzen an heiteren Tagen die Leute, namentlich des Abends, und Pflegen der Arbeit oder der Kurzweil.

Im Stüblein des Heidenweibleins, welches aber trotz der eben beschriebenen drei Fenster etwas dämmerig war, zeigte sich das hölzerne Getäfel ganz schwarz vor Alter. An den Wänden hingen etliche papiere Bilder, welche Heilige, andere, welche französische Soldaten darstellten, einige Photographien von lieben Verwandten und Freunden, endlich auch zwei hochbejahrte Schwarzwälder Uhren. Auf dem großen Ofen lagen Kleider, welche getrocknet werden sollten, auf den Simsen standen Blumenstöcke; neben diesen deutlichen und nennbaren Gegenständen fand sich aber auf den Tischen und Bänken, den Simsen, den Kästen und dem Ofen allerlei unnennbares Geraffel verschiedenster Art, Alles durchschnittlich von eingealterter, dunkler Farbe, wild durcheinander, so daß die dämmerige Stube unleugbar etwas Alchymistisches oder Hexenartiges an sich trug.

Auch die Küche ist dunkel und fast nur von dem glänzenden Ruß der Wände erhellt. Schornsteine sind in Hauenstein noch nicht beliebt; es gilt für patriarchalischer, den Rauch durch’s Gebälk und durch die Dachfenster abziehen zu lassen. Man rühmt ihm nach, daß er auf diesem Wege die Früchte im Speicher trockne, und gleichwohl nicht feuergefährlich werde. Der vorherrschende Charakter in diesem Hause, wie in diesen anderen, die wir unterwegs besuchten, ist übrigens ein schmutziger.

Dies wären denn ungefähr unsere Erlebnisse im Hauenstein. Zu mehreren Erfahrungen und tieferen Kenntnissen haben wir’s in diesen zwei Wandertagen nicht bringen können. Wir geben auch gern zu, daß unsere Schilderung ziemlich lückenhaft und unzulänglich ausgefallen sei, aber um sie zu ergänzen und zu bereichern, haben wir ein einfaches Mittel im Vorrath. Wir dürfen nämlich nur auf J. V. Scheffel’s, des landeskundigen Meisters, einst (1853) im Morgenblatte erschienene Abhandlungen über den Hauensteiner Schwarzwald zurückgehen und denselben das Beste entnehmen. Nicht als ob wir die schönen Schilderungen ausschreiben wollten, dessen uns Niemand für fähig halten wird, sondern wir gedenken nur in einzelnen Punkten und in gedrängter Kürze herauszuziehen, was der Verfasser über den Charakter, die Tugenden und Fehler der Hauensteiner dort niedergelegt hat. Die Abschätzung ist gewiß sehr wahr und richtig, aber, wie man sehen wird, keineswegs sehr günstig.

Rühmlich ist es, daß der Hauensteiner noch manche alte Sagen, Lieder und viele uralte Bräuche aufbewahrt hat, aber es fehlt ihm andererseits auch nicht an halsstarrigem Aberglauben

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 375. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_375.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)