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und den wunderlichsten Vorurtheilen. Daß er in Mondscheinnächten gern einen Kiltgang unternimmt, möchte weniger zu tadeln sein, als daß dabei oft scharfe Schlägereien entstehen. Ueberhaupt ist der Wald in diesem Stücke berüchtigt, denn es vergeht selten ein Sonntag, ohne daß es da oder dort im Wirthshaus zu blutigen Treffen käme. Die geschlagenen Wunden wurden früher nach altgermanischer Weise unter den Familienvätern durch Wehrgeld ausgeglichen (componirt), was ihnen so genügend schien, daß sie nicht begreifen konnten, warum sich mitunter auch die großherzoglichen Behörden einmischten und die Helden einsperren ließen. – Sie sind, wie die Deutschen des Tacitus, verzweifelte Spieler, so daß einst Einer, der den letzten Pfennig verloren hatte, um seinen Ohrenlappen wettete, welchen dann der Sieger sofort und ohne Widerstand zu finden abschnitt und davon trug.

Der Hauensteiner ist übrigens der Einzige unter den Bewohnern des Schwarzwaldes, der den Trieb, die Welt zu sehen, kaum verspürt. Dagegen wallfahrtet er gern nach Maria Einsiedeln und nimmt dort ein Paar „Paradiesgärtlein“, einen „Himmelschlüssel“ oder neue Mähren von alten Wundern mit, um in den langen Winterabenden seinen Geist daran zu ergötzen. Ebenso ist er wenig beweglich und indolent, trinkt dagegen sehr gern Schnaps. Diese Eigenheit, der Leichtsinn der Jugend – uneheliche Kinder sind sehr häufig – und die Unfruchtbarkeit des Bodens sind Ursache, daß die Armuth immer mehr zunimmt, und diese wird begreiflicherweise nicht gehoben durchs eine andere Eigenheit, nämlich durch eine ungemeine Vorliebe für Processe, in denen manches kleine Vermögen dahingeht.

Zeit ist Geld und es ist vielleicht rathsam, einen Vorschlag zu wagen, der manchem Anderen etwas Zeit ersparen kann. Betrachtet man nämlich den geringen Reiz der Landschaft, die Dürftigkeit der Herbergen, die Verschlossenheit der Bewohner, so möcht es fast besser scheinen, wenn der Wanderer, der es nicht auf tiefere Studien abgesehen hat, den Wald und seine Schatten liegen läßt und sich damit begnügt, den Hotzen mit seinem rothen Brustlatz auf dem Wochenmarkte zu Säckingen oder zu Laufenburg in’s Auge zu fassen.

Namentlich zu Laufenburg, einem alten aber freundlichen Städtchen, am Rhein gelegen, wo er eben über mächtige Felsen wild rauschend hinabgleitet, was man den Laufen nennt. Eine schöne Brücke geht da über den Strom, links liegt die helvetische, größere, rechts die kleinere Hälfte der Stadt, beide wohlgebaut und einnehmend. Ueber der Schweizerstadt, steht noch ein brauner Thurm des alten Schlosses der Grafen von Habsburg-Laufenburg, rings herum sind hohe Hügel, schöne Wiesen, liebliche Rebengelände und dunkle Wälder. Das Städtchen ist so malerisch gelegen, wie nicht leicht ein anderes, und im badischen Posthaus waren wir vortrefflich verpflegt. Darum machen wir auch kein Geheimniß daraus, daß uns drei Wochen in Laufenburg viel lieber wären, als drei Tage im „Wald“.





Naseweisheit.

„Sagen Sie mir, wie sind Sie auf den Gedanken gekommen, so ein Werk zu schreiben?“ So fragte Kaiser Joseph den berühmten frommen Geistlichen und gesichtskundigen Schriftsteller Lavater vor beinahe hundert Jahren, als dieser seine physiognomischen Fragmente zur Beförderung der Menschenkenntniß und Menschenliebe veröffentlicht hatte. Lavater antwortete: „Ich zeichnete Portraits, bemerkte besondere treffende Ähnlichkeiten zwischen Gesichtstheilen und Gesichtszügen von verschiedenen Freunden, z. B. ähnliche Nasen. Ich richtete meine Beobachtungen auch auf andere Theile, einzelne Züge, Endungen, Umrisse der Stirn, des Schädels, der Knochen, und damit auf die Anlage, auf die Grundfähigkeit des Menschen, auf das Maß seiner Activität und Passivität, überhaupt seiner Empfänglichkeit und Kraft, welche ich in dem Gesichtsbaue ausgedrückt finde. Schwerer zu erkennen, aber viel sicherer sind die auch im ruhigen Gesicht sich zeichnenden Ausdrücke von Geistesfähigkeiten, von wirklicher und möglicher Wirksamkeit und Leidsamkeit eines Menschen.“

Lavater hatte es in dieser Erkenntniß bis zu einer wahren Meisterschaft gebracht. „Seine Einsicht,“ sagt Goethe, „in die einzelnen Menschen ging über alle Begriffe; man erstaunte, ihn zu hören, wenn man über Diesen oder Jenen vertraulich sprach, ja, es war furchtbar, in der Nähe des Mannes zu leben, dem jede Grenze deutlich erschien, in welche die Natur uns Menschen einzuschränken beliebt hat. So erkannte er z. B. in einem Fremden, der ihn eines Tages besuchte, auf der Stelle einen Mörder, obgleich er ein Mann von Bildung und gewandtem Benehmen war.“ Diese Erkenntniß wollte er auch zur Beförderung der Menschenliebe als Wissenschaft begründen und verbreiten und deutete damit schon auf eine später sich entwickelnde Menschenkunde hin, welche von wohlmeinenden Socialisten dazu benutzt ward, in dem Verbrecher theils des Staates eigenstes Verbrechen, wie Bettina sagt, theils von der Natur mißgebildete Kranke nachzuweisen, die man nicht bestrafen, sondern zu heilen versuchen müsse. Jedenfalls werden einst Physiognomik, Kranioskopie oder rationellere Phrenologie als die jetzige und sonstige richtige Erkenntniß und Beurtheilung der einzelnen Gestaltungsformen des Menschen, zur wahren Wissenschaft vereinigt, viel dazu beitragen, in Beurtheilung unserer Mitmenschen klarer und humaner zu verfahren und auch Verbrecher je nach ihrer Natur und deren Schuld richtiger und milder zu behandeln. Jedenfalls aber gehört dazu mehr, als das Gesicht, der Schädel und die Nase. Man darf auch die Hände und selbst die Füße bei einer solchen Wissenschaft nicht unbeachtet lassen. Die sogenannte Chiromantie oder das zigeunerische Wahrsagen aus den Linien der inneren Handfläche deutet schon seit undenklichen Zeiten darauf hin, daß auch die Hand zur Physiognomik gehöre. Carus in Dresden gab eine sehr interessante Abhandlung über die Form der Hand heraus, und ein Engländer hat neuerdings sogar ein dickes Buch über den Daumen geschrieben und nachzuweisen gesucht, daß aus den drei Gliedern desselben und deren Verhältnissen zu einander alle Charaktereigenthümlichkeiten eines Menschen zu erkennen seien. Ja, wir müssen vielleicht sogar bis zu den Füßen und Zehen herabsteigen. Haben doch bereits Ethnologen die Plattfüße der Neger zu einem Grunde für deren Bildungsunfähigkeit erhoben. Auch schrieb Burmeister eine lesenswerthe Physiognomik des Fußes. – Da nun diese Wissenschaft vom Kopfe bis zum Fuße geht und bereits Hand und Fuß hat, dürfen wir dabei wahrscheinlich auch nicht übersehen, ob ein Mensch kurz oder lang, dünn oder dick etc. sei. Kurz, wir müssen alle die Weisheit, die wir Jemandem schon an der Nase ansehen, durch alle Gesichts- und Körpertheile verfolgen, um ein richtiges Urtheil zu gewinnen, und uns nicht blos mit Naseweisheit lächerlich und unangenehm zu machen. Aber gut wird es doch sein, zunächst einigermaßen zu lernen, was und wie viel man dem Menschen gleich an der Nase ansehen kann. Lavater, die berühmteste Autorität in dieser Wissenschaft, fing ja auch damit an und gab viel darauf. Sicherlich verräth auch dieser Gesichtsvorsprung, den man nicht so leicht verstecken, und mit welchem auch der beste Verstellungskünstler nicht heucheln kann, mehr von den inneren Eigenthümlichkeiten des Menschen, als die Meisten vermuthen, und viele leichtsinnige Menschen, besonders auch Damen, sollen sich gern mit der Nase begnügen, um daraus naseweis ein Urtheil über den Träger derselben hervorzuziehen.

Die auf den ersten Anblick in ihren merkwürdigen Verschiedenheiten auffallenden Nasen fordern auch gar zu verführerisch dazu auf. Es gibt römische, griechische, jüdische, Neger-, Frosch-, Rams-, Adler- oder Habichts-, Stumpf-, Stülp- und Plattnasen, furchtbare Schnüffelzinken und unförmliche Knuppen, die theils zwergenhaft über der Oberlippe kleben, theils riesig wie Samengurken hervorstarren oder schippenartig wie die Schnäbel gewisser Sumpfvögel sich oft so weit aufwärts krümmen, daß es bei nassem Wetter hineinregnet. Andere Nasen erinnern an Meißel oder Stemmeisen, und manche Säufer verwandeln dieselbe in ein Kupferbergwerk. Da man nun auch Nasen machen, Anderen Nasen drehen oder sie ihnen wenigstens geben und sie mit langer Nase abziehen lassen kann, wir sie auch gelegentlich rümpfen oder blähen oder gar in eine Menge Dinge hineinstecken können, die uns nichts angehen, finden wir schon in dem gewöhnlichen Sprachgebrauch und der alltäglichen Anschauungsweise einen großen Reichthum von Naseweisheit, die sich ohne große Schwierigkeiten zu einer besondern

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 376. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_376.jpg&oldid=- (Version vom 4.6.2023)