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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

Wieder Einer voll der „eisernen Jugend“.

August Daniel Freiherr von Binzer.

Nicht blos Bücher, auch Lieder haben ihre Schicksale, oft gewaltigere, als viele bändereiche Werke, und um so tiefer in das Leben ihrer Gegenwart und Zukunft eingreifende, je höher die Zeitwoge ging, auf welcher sie als Signal einer Strömung der Geister, als Leuchte oder Fahne, im rechten Augenblick auftauchten. Die zwei mächtigsten Lieder Europas, welche für „ihre Sache“ Tausende und Millionen zur Begeisterung und zu Thaten erhoben und noch heute in Ehren stehen, sind Luther’s „Eine feste Burg“ und die „Marseillaise“ des Rouget de Lisle. Ihnen gehört noch die Zukunft. Andere solcher Lieder beschränken sich auf engere Kreise, wie das nur den Deutschen eigene Vaterlandslied des alten Arndt, das, wenn Deutschland sein Ziel erreicht haben wird, an seinem Ende steht. Die sogenannten Nationalhymnen können wir, soweit sie vorzugsweise der Dynastenverherrlichung dienen, nicht hierher ziehen. Bereits der Geschichte verfallen sind das „Schleswig-Holstein stammverwandt“ und Becker’s „Rheinlied“. Dagegen lebt August Binzer, den wir unsern Lesern im Bilde vorführen, mit seinem „Stoßt an!“ in der glücklichsten Jugend fort, und sie wird, bis das freie Bürgerthum den Stolz ihrer Bevorzugung grundlos gemacht hat, mit keckem Humor fortsingen:

„Die Philister sind uns gewogen meist:
Sie ahnen im Burschen, was Freiheit heißt!“

Zuerst und in weitesten Kreisen bekannt ist er aber geworden durch den Ausdruck des Schmerzes, den er der Burschenschaft in den Mund legte, als sie ihre Auflösung durch den deutschen Bund zu beklagen hatte. Sein tief ergreifendes Lied: „Wir hatten gebauet etc.“ war das letzte gemeinsame, das die edlen Jünglünge und jungen Männer, zum Theil mit den Ehrenzeichen des Befreiungskrieges auf der Brust, sangen, ehe sie damals für immer von einander schieden. Diese beiden Lieder, der Grabgesang der Burschenschaft und jenes Triumphlied des freien und frohen Studentenlebens, haben Binzer’s Namen weiter getragen, als alle die Schriften, mit welchen der stille, einem inneren Leben mit Vorliebe zugewandte Mann in späteren Jahren vor sein Volk trat. Mit beneidenswerthem Hochgefühl spricht über die Ehre des Namens, den er mit diesem Dichterglorienschein vom Vater geerbt, sein Sohn Karl, der als Maler und Schriftsteller in Paris lebt. „Seit fünfundzwanzig Jahren,“ sagt er, „durchstreife ich alle deutschen Gaue, dringe in die entlegensten Thäler, spreche bei Pastoren und Schullehrern der kleinsten Dörfer ein, strauchle auf den schlüpfrigen Parquets vornehmer Paläste, füge mich an die zufällige Gruppe lustiger Reisender, feiere Feste mit Künstlern und Dichtern, berühre die trauten Kreise gebildeter Männer und Stätten wahrer Cultur, begegne dem Jäger auf hoher Alp, finde deutsche Colonien in Rom, Neapel, Venedig, in der Schweiz, Belgien, Lyon und Paris, und überall empfängt mich dasselbe tieffreundliche Lächeln, wenn ich meinen Namen nenne, überall wirft es einen Sonnenglanz über die erste Begegnung.“ Wir glauben ihm dies und wissen sogar,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 389. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_389.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)