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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

„Ein weißes Kleid? Bin ja kein Schneidermeister, Jungfer Cläre. Weiß nichts davon! Wie kam das Kleid hierher?“

„Das eben ist es! Ich weiß es nicht. Und weiß Er was, Mosje Preuß? – Ich denke mir so –“

„Nun, was denkst Du Dir so?“ fragte er, da sie verstummte unter seinem Blick.

„Der Vater sagt,“ murmelte sie mit niedergesenkten Augen, „es möchte wohl der Hans sein, der mir das Kleid aus Magdeburg zum Ballfest geschickt, und seht Ihr, da liegt noch der Zettel, der bei dem Kleide war.“

Sie sprang hin und hob das Papier von der Erde aus und reichte es ihm dar.

„Wißt Ihr vielleicht, wer das geschrieben hat?“

Er sah den Zettel an und lächelte. „Möglich wär’s ja, Jungfer Cläre! Der Hans ist ein gar so zärtlicher Liebhaber, und er weiß, daß die Jungfer Cläre heut’ zum Ballfest geht. Ich habe es ihm selbst geschrieben und ihn eingeladen herzukommen.“

„Das habt Ihr gethan!?“ rief sie erglühend, „habt ihn eingeladen?! Nun, dann ist es schön! Dann seid recht vergnügt heute Abend, denn ich, Mosje Ludwig Preuß, ich komme nicht, wenn der Hans da ist!“

„Und nicht wahr, Du ziehst auch das Kleid nicht an, wenn der Hans Werner es geschickt hat?“

„Nein! sicherlich nicht! Ich ziehe das Kleid nicht an!“ sagte sie stolz den Kopf erhebend. „Der Hans Werner hat gar nicht das Recht, mir ein Kleid zu schicken, und der Vater ist reich genug, daß er seiner Tochter allein ein Kleid schenken kann, und ich trage nichts, wo ich nicht weiß, von wem es ist. Und ich brauche heute Abend überhaupt gar kein Kleid, denn ich sage: ich gehe nicht zum Ballfest, wenn der Hans Werner kommt!“

„Du gehst zum Ballfest, Cläre, denn der Hans Werner kommt nicht. Und Du ziehst das Kleid nicht an, wenn es Hans Werner geschickt hat?“

„Ich ziehe es nicht an, o, ganz sicherlich nicht!

„Nun,“ flüsterte er noch leiser und legte, ohne daß sie es merkte, ganz leise den Arm um ihre schlanke Taille, „nun, holde Cläre, Hans Werner hat das Kleid nicht geschickt. Willst Du wissen, wer es gethan? – Ein fremder Mensch, ein arger übermüthiger Geselle hat es gethan! – Aber Eins kann er Dir zu seiner Entschuldigung sagen: er hat es gethan, weil er der Cläre eine Freude machen wollte!– Nicht aus Uebermuth und nicht, weil er dachte, Meister Kleemann wäre nicht reich genug, der schönen Tochter selbst ein Kleid zu kaufen; er hat es nur gethan, weil er der Cläre und sich selber eine Freude machen wollte und weil er meint, die Cläre müsse sich heute Abend schmücken mit ein paar von ihren Schwestern, mit ein paar kleinen Rosen. Und das weiße Kleid sollte ja nur ein Abbild ihrer Seele sein, die ist so weiß wie ein Lilienblatt, und in ein Lilienblatt möchte er sie hüllen, der fremde Geselle, der sie liebt und anbetet und der niemals etwas Schöneres und Köstlicheres gesehen hat, als die Jungfer Cläre.“

„O, sprecht nicht so zu mir,“ flüsterte sie ängstlich. „Ich meine, ich habe eine Todesfurcht, und es ist mir, als möchte ich jetzt so sterben.“

„Willst Du wissen, Cläre, wie der fremde Geselle heißt, der Dich so liebt und Dich so anbetet? Willst es wissen?“

„Nein, nennt ihn nicht,“ murmelte sie ganz leise in sich erschauernd, „ich bitte, nennt ihn nicht.“

„Ich nenne ihn doch,“ murmelte er ihr in’s Ohr. „Ludwig heißt er. Sprich es einmal aus, sage einmal seinen Namen, sage zu ihm Ludwig, sage Ludwig! Und sage ihm, Cläre, daß Du ihm die Freude gönnen willst, daß Du heute Abend das weiße Kleid anlegen willst, damit er Dich sieht in Deiner Schönheit und Lieblichkeit, Du holdes Lilienblatt mit dem Rosenknospenherzen.“

„Es kommt von Euch,“ flüsterte sie angstvoll, fest den Blick zu ihm erhebend, „von Euch, nicht wahr?“

Er antwortete nur mit den Augen.

Und sie seufzte tief auf und legte die Hand auf das Herz, das so stürmisch pochte.

„Cläre, willst Du mir zu lieb heut’ Abend das Kleid tragen?“

„Ja, ich will’s. Aber bitte, sagt’s nicht zu Vater und Mutter, daß das Kleid von Euch ist. Möcht’s um Alles in der Welt nicht, daß irgend Jemand wüßte, Ihr hättet es mir gegeben.“

„Niemand soll es wissen, Cläre, Niemand außer Dir. Wir wollen lieber sagen, daß es der Hans geschickt hat.“

„Nein, nein! Das wollen wir nicht!“ rief sie. „Kann nimmer etwas tragen, was Hans Werner mir geschickt hat, und wenn er kommt –“

„Er kommt nicht, Cläre. Er ist krank geworden. Ich hatte an ihn geschrieben, er kann nicht kommen.“

„Cläre!“ rief es vom Hause her. „Es ist die höchste Zeit zur Kirche. Cläre, komm’!“

Da zuckte sie zusammen. „O lieber Gott im Himmel, verzeihe, daß ich dich vergessen konnte!“ Und ohne Ludwig Preuß noch einmal anzusehen, schlüpfte sie an ihm vorüber und aus dem Garten hinaus.

Er schaute ihr nach mit einem langen seligen Blick und stand unbeweglich noch lange auf derselben Stelle, hörte auf das Rauschen des Windes, sah auf die nickenden Blumen hin, hörte auf das ferne Läuten der Glocken, und friedlich und still ward’s in seiner Seele und Sonnenschein leuchtete in seinem Herzen.

„Ja, Schiller hat wohl Recht:

Ein Augenblick gelebt im Paradiese
Ist nicht zu theuer mit dem Tod bezahlt!

Aber nein, so schlimm soll es nicht kommen, mit dem Tode soll es Niemand bezahlen. Einen Augenblick will ich wohl leben im Paradiese, aber will doch auch Sorge tragen, daß kein Menschenherz darüber bricht. Es wäre schlecht, zu schlecht!“

Er bückte sich und pflückte eins der Stiefmütterchen, steckte es in sein Knopfloch und ging langsam aus dem Garten hinaus. –


(Fortsetzung folgt.)


Vier Stunden in Reserve bei Königgrätz.

Eine Erinnerung zum Jahrestage der Schlacht von, 3. Juli 1866.

Die fünfte preußische Division, bestehend aus dem achten, zwölften, achtzehnten und achtundvierzigsten Infanterieregiment nebst der dazu gehörigen Cavalerie und Artillerie, bezog nach einem sehr anstrengenden Marsche am 2. Juli 1866, also am Tage vor der Schlacht bei Königgrätz, Bivouac beim Dorfe Dobes. Der unvermeidliche Ochs, welcher unserem Bataillon für heute das Leben fristen sollte und den Tag über der marschirenden Colonne nachgeführt worden war, wurde geschlachtet und zerlegt. Er verschwand in unglaublich kurzer Zeit in unseren hungrigen Magen, obwohl dieselben nur noch widerwillig diese täglich wiederkehrende Nahrung annahmen. Brod war ein seltener Leckerbissen geworden. Allmählich verstummte der Lärm des Lagers; Jeder richtete sich in dem nassen Getreidefelde so gut ein, wie es eben gehen wollte; die Feuer erloschen nach und nach, und bald senkte sich die tiefste Stille auf die eben noch so laute und trotz aller Strapazen und Entbehrungen fröhliche Menge herab. Aber wir sollten uns nicht lange der uns sehr nothwendigen Ruhe erfreuen. Plötzlich rasselte die Trommel durch das Lager. Ich fuhr empor, und da noch Alles um mich her dunkel und still war, glaubte ich geträumt zu haben; indessen belehrten mich das anhaltende Wirbeln der Trommeln und ein lauter Zuruf, der sich hie und da vernehmen ließ, bald eines Anderen. Ein Blick auf die Uhr, welche eben eine halbe Stunde nach Mitternacht zeigte, und der Umstand, daß für morgen ein Ruhetag angesagt war, gaben mir die Ueberzeugung, daß etwas Ungewöhnliches vorgehen müsse. Niemand hatte auch nur eine Ahnung davon, daß uns die große Entscheidungsschlacht so nahe bevorstehe.

Bald traf der Befehl ein, Alles zum Abmarsch vorzubereiten. Vorher sollte Kaffee gekocht werden. Als wir jedoch das brodelnde Wasser geschüttet hatten, erhielten wir Ordre, sofort aufzubrechen. Was half es? Unsere braven Musketiere gossen brummend die schwarze Flüssigkeit in das Feuer, und in kürzester Zeit standen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 420. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_420.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)