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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

die Colonnen lautlos da, der Dinge harrend, die da kommen sollten. Das Commando ertönte, und vorwärts ging es in den naßkalten Morgen hinein mit nüchternem Magen und seufzend über den schönen, vergeudeten Kaffee, von welchem Jeder nur noch ein Minimum in Reserve hatte, aber fröhlich und guten Muthes. So marschirten wir südwärts bis zum Dorfe Horziz. Hier wurde Halt gemacht, und abermals wurde befohlen, Kaffee zu kochen. Das Holz dazu mußten die nächsten Gehöfte hergeben, und bald kamen die zum Wasserholen commandirten Leute zurück, mit den gefüllten Kochgeschirren klappernd. Wir hatten aber heute mit dem Kaffeekochen ganz entschiedenes Unglück. Schon stieg der Duft des halbfertigen Getränkes verlockend in die Nase, schon versuchte hie und da ein lüsterner Musketier, mit aufgeblasenen Backen die Flüssigkeit kühlend, einen Schluck des siedendheißen Getränkes über die Zunge zu bringen – da erscholl wiederum das unerbittliche Commandowort: „Vorwärts!“ und wieder mußte der kostbare Stoff ungenossen aus die Erde fließen. Irre ich nicht sehr, so entlockte diese nothgedrungene Kaffeeverschwendung den Lippen mehr als eines Musketiers höchst respectwidrige Aeußerungen gegen den unbekannten Urheber derselben. Indessen „Vorwärts!“ hieß es, und vorwärts ging es trotz leerem Magen und Mangel an Allem, was mit einem Nahrungsmittel Aehnlichkeit hatte. Gott sei Dank, wir sind niemals rückwärts gegangen!

Wir marschirten in südlicher Richtung weiter bei strömendem Regen auf grundlosen Wegen, langsam vorrückend und dann und wann anhaltend. Da ertönte plötzlich in den hinter uns marschirenden Colonnen lauter, endloser Jubel, und, umgeben von seiner Stabswache, in offenem Wagen, kam unser greiser König Wilhelm daher. Bei dem jubelnden Zuruf der Truppen stimmte das ganz in unserer Nähe befindliche Musikchor des achten (Leibgrenadier-) Regimentes die Hymne an: „Heil Dir im Siegerkranz“, und des Königs Auge flog leuchtend über die jubelnden Soldaten, von denen jeder einzelne bereit war, für ihn und das ganze deutsche Vaterland in den Tod zu gehen, und von denen manch einer am heutigen Tage sein Bett in böhmischer Erde finden sollte. Welche Gedanken mochten in diesem Augenblicke, den ich nimmermehr vergessen werde, den greisen Monarchen bewegen, ihn, auf dessen Geheiß in den nächsten Stunden tausend und abertausend der kräftigsten Männer den Tod finden sollten für die große Sache, für welche sein Leben einzusetzen ein Jeder bereit war vorn Tambour bis zum commandirenden General!

Wohl hatten wir geahnt, daß etwas Großes, Gewaltiges sich vorbereite, daß die Entscheidung in die nächsten Tage fallen müsse; jetzt gab uns die Anwesenheit des Königs mitten unter den marschirenden Colonnen die Gewißheit, daß der Würfel, durch dessen Fall das Schicksal Deutschlands bestimmt werden sollte, im Begriff sei, dem Becher zu entrollen. Wer wird den höchsten Wurf thun? –

Es mochte gegen neun Uhr Morgens sein, als ein fernes, dumpfes Dröhnen an unser Ohr schlug, dessen Bedeutung uns von Gitschin her wohlbekannt war. Die Schlacht war eröffnet. War unserer Division bei Gitschin die Hauptarbeit zugefallen, so hatten wir diesmal die Bestimmung, in Gemeinschaft mit der sechsten Division – die fünfte und sechste Division bilden zusammen das dritte Armeecorps – den bereits im Gefecht befindlichen Truppen der Armee des Prinzen Friedrich Karl als Reserve zu dienen und sie, wenn nöthig, zu unterstützen. Bekanntlich griff Prinz Friedrich Karl im Centrum unserer und der feindlichen Aufstellung an. Lange schwankte der Kampf, unsere braven Truppen leisteten Unübertreffliches, indessen gelang es nicht, der gedeckten Stellung und dem überlegenen Artilleriefeuer des Feindes gegenüber, eine Entscheidung herbeizuführen. Es gab Augenblicke, in denen das Auge sehnsüchtig nach Osten spähte, von wo aus der Kronprinz, welcher mit seinen Truppen den linken Flügel der gesammten Aufstellung bildete, in den Kampf eingreifen sollte. Um für den Nothfall bei der Hand zu sein, wurde unsere Division, die neunte Brigade voran, bis in den Bereich der auf den Höhen bei Lipa aufgestellten feindlichen Batterien vorgezogen. Wir überschritten gegen zwölf Uhr die Bistritz beim Dorfe Unter-Dohalitz und gingen durch dieses Dorf hindurch bis auf die Chaussee, welche von Unter-Dohalitz nach dem bei unserer Ankunft bereits in Brand geschossenen Dohalicka führt. Zwischen diesen Dörfern, theils auf der Chaussee, theils südwestlich von Unter-Dohalitz, standen drei Batterien von der dritten und zwei Batterien von der zweiten Artilleriebrigade. Meine Compagnie wurde zunächst in einen am Auswege des Dorfes befindlichen Obstgarten postirt, woselbst ich auch einige Leute vom vierten Jägerbataillon bemerkte, welche, die Büchse unter dem Arme, gedeckt hinter den Bäumen standen. Der Feind mußte unser Vorrücken frühzeitig bemerkt haben, wenigstens schlug, sowie wir die ersten Häuser von Unter-Dohalitz erreicht hatten, eine Granate, von dem Hurrah der Soldaten begrüßt, in sehr verdächtiger Nähe in die Giebelwand eines Hauses, ohne jedoch zu crepiren, und von diesem Augenblicke an hatten wir wahrlich keine Ursache, uns darüber zu beklagen, daß der Feind uns unberücksichtigt lasse. Die Granaten fuhren in fast ununterbrochener Reihenfolge zischend und brausend, für jetzt noch unschädlich, über unsere Köpfe und fielen, meist ohne zu crepiren, in die sumpfigen Ufer der Bistritz.

Indessen nahm unsere Artillerie, sowie sie aufgefahren war, das feindliche Feuer auf und lenkte dadurch einen Hagel feindlicher Granaten auf die Chaussee, auf welcher das Füsilierbataillon meines Regiments und, wenn ich nicht irre, auch mehrere Compagnien des ersten und zweiten Bataillons möglichst gedeckt im Chausseegraben lagen. Es war ein Sausen und Zischen in der Luft, ein Dröhnen und Knallen beim Platzen der Geschosse und ein markerschütterndes, gellendes Klingen beim Umhersprühen der Sprengstücke, als sei heute die ganze Hölle losgelassen. – Ich stand, wie erwähnt, in einem Obstgarten am Ausgange des Dorfes, denselben mußten die Munitionswagen passiren, die unseren Batterien von einer Colonne Munition zuführten, welche auf der Chaussee zwischen Sadowa und Unter-Dohalitz stand. Sowie ein Wagen im Galopp heranrasselte, verstärkte sich das feindliche Feuer, ein Zeichen, daß ein Theil des Terrainabschnittes, den die Wagen passiren mußten, vom Feinde übersehen werden konnte. Glücklicher Weise wurde kein Wagen getroffen; wir würden sonst wahrscheinlich mit ihm in die Luft geflogen sein. Nur ein Mal wurde, etwa dreißig Schritte von mir entfernt, ein Stangenpferd eines heranrasselnden Wagens von einer Granate ereilt und buchstäblich zerrissen. In unbegreiflich kurzer Zeit waren die Stränge durchschnitten, und der Wagen eilte von dannen seiner Bestimmung zu.

Indessen prasselte und zischte es höchst unheimlich durch die Zweige der hohen Obstbäume; mehr als ein Mal fühlte ich den warmen Luftzug eines vorübersausenden Geschosses; ein Sprengstück, handgroß, kam auf mich zugekollert, langsam übereck, wie ein Topfscherben von Knabenhand geschleudert, und blieb unschädlich einige Schritte von mir im Grase liegen. Die Krankenträger mußten ihre traurige Thätigkeit beginnen. Eine Bahre nach der andern, auf denen blutende, zerrissene Menschen stöhnend sich wanden, wurde in das Dorf getragen, woselbst in einem Bauernhause der Verbandplatz etablirt war. Der erste Verwundete, den ich sah, war ein Artillerist. Ich werde seinen Anblick nie vergessen! Der linke Unterarm war ihm zerschmettert, und das verletzte Glied in dem unterschlagenen rechten Arme tragend, schritt er schmerzverzerrten Antlitzes Lei uns vorüber, indem er uns zurief: „Kinder, haltet ihr fest, wir können fast nicht mehr!“ Hier war es auch, wo der brave, wegen seiner Bravour und wegen seiner umfassenden Kenntnisse allgemein hochgeachtete Artilleriemajor Rüstow, der Bruder des berühmten Militärschriftstellers, die Todeswunde erhielt. Unfern von mir ward ihm der rechte Unterschenkel zerschmettert. Ein Officier meines Regimentes sprang hinzu und half ihn auf die herbeigeholte Bahre legen. So ward er vorbeigetragen, regungslos, bekleidet mit seinem Regenmantel. Kurz vor seiner Verwundung hatte er, wie ein Artillerieofficier mir erzählt, auf dem rechten Flügel seiner ersten vierpfündigen Batterie gehalten und war auf die Meldung, daß die Munition anfange zu mangeln, fortgeritten, um die Zufuhr der Munition zu beschleunigen. Auf diesem Ritte traf ihn die tödtliche Kugel. Sein Tod ist ein schmerzlicher Verlust für die preußische Armee und insbesondere für die Artillerie.

Es klingt fast unglaublich, wenn ich sage, daß mitten unter den Scenen des Todes und der Verwüstung auch erheiternde Momente, Augenblicke voll Humor und Komik Platz fanden. Ein Camerad, unser guter, dicker A., sorgte dafür. Seine unverwüstliche gute Laune, sein schlagender Witz hatte oft in schwierigen Lagen mit Erfolg eine momentan um sich greifende Mißstimmung in das Gegentheil umgewandelt. Auch er befand sich in dem mehrerwähnten Obstgarten, und während Alles, so gut es gehen wollte, in Gräben und hinter kleinen Terrainerhöhungen Deckung suchte, stand er

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 422. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_422.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)