Seite:Die Gartenlaube (1868) 427.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

,vorhandenen Werke diese aus der unnützen Verborgenheit gezogen werden könnten, daß auf diese Weise fast sämmtliche Bibliotheken, ohne einen Heller auszugeben, ihre Schätze um ein Beträchtliches vermehren würden. Die Ausführung dieses Gedankens lag mir so sehr am Herzen, daß ich seit meiner ersten Kunstreise bis auf den heutigen Tag, in Europa sowohl wie in den Vereinigten Staaten, unausgesetzt daran arbeitete. Aber gegen welche Hindernisse hatte ich nicht zu kämpfen! Nun, wenn die Trägheit oder das Mißwollen der Beamten den Reisenden Vattemare vergebens reden ließ, so stellte sich der Spaßmacher Alexander ein und erreichte seinen Zweck. Ich erinnere mich noch, daß ich mich einst in einer deutschen Residenz bei dem Minister des öffentlichen Unterrichts anmelden ließ, um ihn für meinen Lieblingsgedanken zu gewinnen. Ich wartete lange im Vorzimmer. Endlich kam der Bediente zurück und sagte mir, Seine Excellenz sei sehr beschäftigt und könne mich nicht empfangen. ,Melden Sie Seiner Excellenz,’ rief ich, „Herr Alexander wünsche ihm seine Aufwartung zu machen? Kaum hatte der Bediente sich entfernt, als die Thür sich öffnete und der Minister mir beide Hände zugleich entgegenstreckend auf mich losstürzte, mich in sein Cabinet zog und nur unter den schmeichelhaftesten Ausdrücken über mein Talent das Wort gab, meine Bestrebungen zu fördern. Ohne Alexander hätte Vattemare überall verschlossene Thüren gesunden.“

Durch diesen ersten Besuch waren meine freundlichen Beziehungen zu Vattemare eingeleitet. Wir sahen uns in der Folge häufig, und er äußerte mehrere Male den Wunsch, ich möchte seine Denkwürdigkeiten veröffentlichen. Er wollte mir zu diesem Zwecke alle geschriebenen und gedruckten Materialien ,liefern und dieselben durch mündliche Unterhaltungen ergänzen. Ich bemerkte jedoch später, als ich von der Veröffentlichung dieser Memoiren sprach, eine gewisse Verlegenheit, die ich mir nicht erklären konnte. Er wich dieser Frage aus, und wie ich sah, mit Bedauern und Verdruß. Nach seinem Tode, der vor vier Jahren erfolgte, erfuhr ich, daß sein ältester Sohn, ein Geistlicher, sich der Publicirung widersetzt hatte. Sein zweiter Sohn hingegen, Hippolyte Vattemare, ein tüchtiger Publicist, dem man eine Reihe vortrefflicher Artikel über die politischen Zustände der Vereinigten Staaten verdankt, stellte mir mit der größten Bereitwilligkeit manche schätzbare Reliquien aus der Hinterlassenschaft seines Vaters zur Verfügung und unter andern viele Originalbriefe deutscher Dichter, Gelehrten und Fürsten. Von diesen Papieren besitze ich noch das Manuscript der Autobiographie Vattemare’s. Die Bekenntnisse, welche seine erste Jugend und den Beginn seiner Kunstreifen schildern, bieten ein lebhaftes Interesse dar. Merkwürdig ist es, daß Vattemare sehr ungern vor dem Publicum erschien, ja, daß er in späteren Jahren oft unter schwer zu unterdrückenden Thränen auf die Bühne trat. Er haßte überhaupt das Theater und besuchte niemals ein Schauspielhaus. Seit er seiner Kunst den Rücken gekehrt, war er selbst in den allervertrautesten Kreisen nicht mehr zu bewegen, eine Probe seines Talentes zu zeigen. Er beschäftigte sich ausschließlich mit seinem Lieblingsgedanken, dem internationalen Bücheraustausch. War es ihm doch geglückt, zwischen Frankreich und den Vereinigten Staaten allein den Austausch von dreihunderttausend Bänden zu bewirken!

Vattemare hatte in allen Schichten der Pariser Gesellschaft viele aufrichtig ergebene Freunde, die in ihm den liebenswürdigen Gesellschafter, den geistvollen Erzähler und ganz besonders den unbescholtenen Biedermann schätzten.





Kleine amerikanische Sittenbilder.[1]

Nr. 6. Schicksale eines Eheringes.

Die Pfandhäuser in den Vereinigten Staaten sind nicht, wie in Europa, autorisirte und von der Polizei überwachte Creditanstalten, sondern Privatgeschäfte wie alle anderen, deren Vorstände jedoch nahezu alle im Geruch des Wuchers und der Diebeshehlerei stehen. Die Locale, in denen diese halb entehrenden Geschäfte betrieben werden, sind entweder zeisiggrün oder himmelblau, scharfgelb oder ziegelroth angestrichen und tragen als Abzeichen drei etwa achtzöllige vergoldete Kugeln über der Eingangsthür. Sie sind gezeichnet wie Kain; ihr bloßer Anblick ist eine genügende Warnung für Jeden, der sich ihnen naht und auf den ein Warnungszeichen noch Eindruck macht.

Seit Jahren führt mich mein Weg alltäglich durch eine Straße, in welcher vier dieser abschreckenden Gaunerbuden nebeneinander belegen sind. Als ich jüngst rasch an der letzten vorübergehen wollte, trat eine junge Dame mit den Worten auf mich zu:

„Ich bitte Sie um einen kleinen Dienst.“

„Und womit kann ich Ihnen gefällig sein?“ fragte ich.

„Sie wissen, daß eine junge Dame nicht wohl allein in ein solches Haus gehen kann. Ich habe keinen Begleiter und bitte Sie daher, mit mir einzutreten.“

„Und was dann?“ fragte ich.

„Sie sehen hier im Schaufenster eine Menge goldener Ringe auf einem schwarzen Sammetpolster. Bitte, gehen Sie mit mir in den Laden, begehren Sie diesen mit A. von L. gravirten Ring und kaufen Sie ihn für mich um jeden Preis. Es schaudert mich, ihn hier unter all dem infamen Gerümpel liegen zu sehen. Er gehört einem Manne, der –“

Sie konnte nicht weiter sprechen, aber sie hielt mir ihr Portemonnaie entgegen, und ohne es ihr abzunehmen, ging ich ihr voraus in den Laden, verlangte den bezeichneten Ring, erhandelte ihn um zwei Dollars wohlfeiler, als der Pfandverleiher ihn möglicher Weise verkaufen zu können behauptete, bezahlte ihn aus dem Portemonnaie, welches die junge Dame in den zitternden Händen hielt, und wollte sie eben wieder auf die Straße geleiten, als sie sich an den Kaufmann wendete und ihn fragte, ob er den Namen des Herrn kenne, der ihm den Ring verkauft habe.

„Des Herrn? Es war gar kein Herr. Ein altes Weib, das mir schon öfter solche Waare gebracht, hat ihn mir verkauft. Doch muß der Ring seiner Größe nach für einen ziemlich starken Mann gemacht worden sein.“

Meine neue Bekannte oder besser Unbekannte stammelte einige Dankesworte und dann trennten wir uns auf Nimmerwiedersehen. Denn hier endet der kurze Roman, den ich zu erzählen hatte, und es steht meinen Leserinnen frei, ihn nach Belieben fortzuspinnen oder ihn rückwärts verfolgend auf seine ersten Anfänge je nach der Stärke ihrer Einbildungskraft zurückzuführen. Ich selbst kenne weder Anfang noch Ende davon. So viel aber weiß ich, daß, wenn ein scharfblickender Fremder durch die Straßen einer großen amerikanischen Stadt geht und in den Schaufenstern unserer Pfandverleiher Hunderte von Braut- und Eheringen mit den verschlungenen Anfangsbuchstaben der Namen der früheren Besitzer und dem Datum der glücklichsten Stunde im Leben so vieler Liebenden liegen sieht, er bei einigem Nachdenken eine gewisse Sittenrichtung besser beurtheilen kann, als aus langem Umgang mit gewöhnlichen Gesellschaftsmenschen, die ja die Sprache so oft benutzen, um ihre Denkungsart, und ihr süßestes Lächeln, um ihres Herzens Bosheit oder Schwächen zu verbergen. Diese Ringe lügen nicht, der Platz, an dem sie ausgestellt sind, verräth den Weg, auf dem sie dahin gelangten. Könnten sie sprechen, sie erzählten von Elend und Verzweiflung, aber mehr noch von schmählichem Leichtsinn, von Treulosigkeit und Heuchelei, von Tücke und frohlockendem Verrath. Ein solcher Ring, zwei, sechs, ein Dutzend möchten in einer volkreichen Stadt auf mit edler Sitte verträgliche Weise ihren Weg zu Pfandleihern gefunden haben, – beim Anblick von langen Reihen solcher Liebespfänder will es selbst dem wohlmeinendsten Sinn nicht gelingen, sich schwerer Anklagen gegen eine Gesellschaft zu enthalten, in der eine solche Barbarei zur alltäglichen Uebung zu gehören scheint.

So ungefähr erzählte und commentirte ich im Freundeskreise den mir jüngst begegneten Vorfall, als ein norddeutscher Gutsbesitzer, der schon seit zwanzig Jahren in St. Clair County, im Staate Illinois, lebte, die Bemerkung machte, daß ihm vor nahe achtzehn Jahren ein junger Mann in den Weg gekommen wäre, dem es schwerer geworden sei, seinen Trauring loszuwerden. Voll allen Seiten gebeten, die Geschichte zu erzählen, ließ sich der alte Pionier also vernehmen:

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 427. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_427.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)