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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

Elisabeth, die sie der jungen Kaiserin für ihren Betstuhl zum Geschenk machen wollten. Bald darauf sollte er für die Westbahngesellschaft das überlebensgroße Standbild der Kaiserin anfertigen, das jetzt den großen Wartesaal im Bahnhofgebäude schmückt.

Wir wußten von der Bestellung der heiligen Elisabeth und hatten den Meister lange nicht bei uns gesehen, als eines Tages sein langer Schatten in das Fenster fiel, an dem meine Mutter, immer fleißig arbeitend, zu sitzen pflegte. Wir freuten uns, ihn zu sehen, und sagten es ihm auf’s Freundlichste, merkten aber bald, daß er in sich gekehrt war.

„Ihre Gedanken sind nicht bei uns, lieber Gasser!“ bemerkte ich.

„Sind überall und nirgends,“ sagte er. „Ich suche und finde nicht!“

„Was suchen Sie?“ frug meine Mutter.

„Eine fromme Hand,“ entgegnete er.

Wir sahen ihn verwundert an.

„Wie schade, daß die Frau Mutter zu alt ist!“ sagte er, ohne unser Erstaunen zu bemerken., „Sie würden sie mir doch gewiß geben, nicht wahr?“

„Wir verstehen Sie nicht, Meister Hans,“ antwortete ich an meiner Mutter Stelle, die gar nicht begriff, um was es sich handelte.

„So? Habe ich denn nicht gesagt, daß mein Elisabethmodell fertig ist und daß die Herren nächstens kommen wollen, um es anzusehen?“

„Nein, davon haben Sie nichts gesagt. Aber was weiter?“

„Was weiter? Das Modell hat keine Hände, und die Hände sind eben hier die Hauptsache! Verstehen Sie jetzt?“

„Halb und halb,“ meinte ich. „Sie werden in Wien, wo es so viel schöne Mädchen und Frauen in allen Ständen giebt, doch zwei schöne Hände finden –“

Er ließ mich nicht ausreden.

„Schöne Hände – ja – zu schöne sogar! Aber fromme Hände! das ist selten – äußerst selten.“

Der Ausdruck war mir so neu, daß ich noch immer nicht an dessen Ernsthaftigkeit glaubte. Er merkte es und sagte:

„Die Hände haben so gut ihren Charakter wie das Gesicht. Von der üppigen Hand, welche das Auge reizt, bis zu der frommen Hand, die das Gemüth bewegt, giebt es gar viele Abstufungen, die von der Weisheit Gottes zeugen.“

„Sie sind schon ein einziger Mensch, Gasser,“ rief ich seelenvergnügt, „und dafür sollen Sie auch Ihre Hand haben. Warten Sie nur ein wenig!“

Er sah mich ungläubig an. Bald darauf hörte ich Augusten, die im anstoßenden Zimmer geruht hatte, sich bewegen. Ich rief hinein, daß Meister Gasser da sei, woraus sie auch bald eintrat. Ich hatte mich nicht geirrt: ihre Hände, diese beinahe zu schmalen, durchsichtig weißen Hände mit den feinen Fingern, die zu beben anfingen, wenn sie etwas festhalten sollten, paßten, wie der Meister es sich nicht besser wünschen konnte. Er fing gleich zu zeichnen an, und schon am nächsten Tage sollte Auguste ihm in seinem Atelier zur ersten Probe sitzen. Da mehrere Sitzungen dieser ersten folgten, begleitete ich meine liebe Freundin manchmal dahin.

An einem solchen Tage, wo er bereits im Stein arbeitete, sprach ich nach langem, unverwandtem Zusehen meine Bewunderung der Bildhauerkunst in Worten aus.

„Der Streit, welcher unter den schönen Künsten der Vorrang gebührt, wird wohl nie entschieden werden,“ sagte ich, „aber, wie ich Ihnen so bei der Arbeit zusehe, Meister Hans, scheint es mir, als ob Ihre Kunst die unbegreiflichste, die schwierigste wäre. Der Baumeister fügt Stein zum Stein, wenn er schafft; der Maler Farbe zur Farbe, der Musiker Ton zum Ton, der Dichter Wort zum Wort. Der Bildhauer aber muß zerstören, um zu schaffen! Er, von dem das, erhabenste Ebenmaß, die edelsten Linien gefordert werden, muß durch Zerstörung zum Ideal des Schönen gelangen.“

Gasser hörte ruhig zu und sagte dann, die Augen fest auf den Marmor gerichtet, aus dem er die heilige Elisabeth herausarbeitete:

„Das Bild ist ja drin, ich brauche nur die Umhüllung wegzunehmen.“

Wie wir den schlichten Mann im grauen Leinwandkittel anstaunten, wir Kinder der feinen, vornehmen Welt! Wie glücklich wir uns priesen, daß uns der Sinn für seine Höhe nicht verloren gegangen war, daß wir sein echtes Künstlerwort in unsere bewegten Herzen aufnehmen und darin bewahren konnten, gleich wie wir die Erinnerung an ihn für alle Zeit darin bewahren werden!

Die obenerwähnte Landsmännin Hans Gasser’s, welche unser erstes Bekanntwerden mit ihm vermittelte, ist unzertrennlich mit unserer Erinnerung an ihn verflochten. Wir wollen sie in diesen kleinen Mittheilungen als Caroline B. bezeichnen. Immer eifrig bemüht, ihren hilfsbedürftigen Mitmenschen, insonders ihren Landsleuten, wo und wie es ging, durch Rath und That beizustehen, interessirte sich Caroline auch für Hans Gasser zu einer Zeit, wo noch Berge von Hindernissen in seinem Wege lagen, wo er als unbekannter Handlanger eines nicht minder unbekannten Grabsteinschneiders noch keinen Maßstab für die Kunst, noch keinen für das eigene können hatte, wo dem den lieben langen Tag um Brod und Obdach Ringenden bei Nacht zu Muthe war, „als ob ihm die Welt den Brustkasten eindrückte“.

Caroline B. benutzte ihre ausgebreiteten Bekanntschaften in den verschiedensten Gesellschaftskreisen, um den armen Burschen in aller Stille unausgesetzt zu fördern, bis er endlich nach München gehen und dort noch tüchtig darben – aber auch tüchtig lernen konnte. Als er nach Wien zurückkehrte, war wieder sie es, die ihm die ersten Bestellungen zu verschaffen wußte, an die sich nach und nach mehrere reihten, bis endlich die Werke für den Meister sprachen und er des Anpreisens nicht mehr bedurfte. Dann freute sich die Edle wie eine Mutter über den Sohn, wie eine ältere Schwester über den Bruder, wenn sie das Gedeihen sah, an dem sie so unablässig mitgearbeitet hatte; es ängstigte sie aber auch Alles, was das Emporkommen des Meisters in materieller Beziehung gefährden konnte. –

Hans Gasser hatte keine Zeit und keinen Hang, sich irgend einer anderen Leidenschaft, als der für seine Kunst, hinzugeben.

An die weiten, kellerartig kühlen Räume seines Ateliers stieß eine Kammer, in der zwischen altem Gerümpel ein Feldbett, ein Stuhl und ein Tisch standen. Eine grobe Wolldecke verhüllte das Bett, eine Waschschüssel stand auf dem Stuhle, Zeichnungen, Bleistifte, Meißel, Grabstichel und das Nibelungenlied lagen auf dem Tische. Ein kleiner Mauerschrank enthielt nebst dem ganzen Toilettebedarf des Meisters ein Brod, von dem er hastig ein Stück abschnitt, um seinen Hunger zu stillen, wenn er die Mittagsstunde in dem nächsten Speisehause versäumt hatte, und eine Flasche Lacrimä Christi, aus der er einen raschen Zug that, um sich zu erwärmen, wenn seine Hände so kalt waren, daß er sein Werkzeug nicht mehr halten konnte. Ein Eichhörnchen, das er einmal aus dem Walde heimgebracht hatte, wo er es halb erstarrt vorgefunden, und die Milchschüssel des niedlichen Thierchens, das bald zwischen den Büsten und Statuen an den Wänden, bald auf der Achsel seines Retters Quartier nahm und sich dann allerlei Freiheiten mit seinem Bart erlaubte, vervollständigten den Hausrath des originellen Mannes. Der dicke, rothwangige Geselle, der einzige, den er damals hatte und der unter seiner – ich glaube, sehr nachsichtigen – Aufsicht aus dem Groben herausarbeitete, lebte ohne Zweifel besser, als sein Herr. Der gutmüthige Bursche erzählte uns manchmal, „daß er den Herrn heut’ wieder vergeblich daran erinnert habe, zum Mittagessen zu gehen.“

„Er gönnt seinem eigenen Leibe nichts, sieht aus wie die sieben mageren Jahre’ und steckt das Geld in den alten Moder,“ jammerte die gute Caroline B., als Gasser uns zum ersten Male in diese Kammer, „in seine Schatzkammer“ führte und mit unsäglichem, sein ernstes Gesicht verklärendem Behagen die Gegenstände vor uns ausbreitete, die ich weiter oben - o Schatten des edlen Meisters, verzeih’ mir! – in den schnöden Ausdruck „altes Gerümpel“ zusammengefaßt habe.

Größere und kleinere, von Motten und Mäusen zernagte Stücke uralter Gobelins, altdeutscher Kirchenteppiche, vergilbte Altarspitzen, vom Zahn der Zeit und von Holzwürmern halb zerfressene Holzstücke, die einst Pulte, Kelche, Schemel und dergleichen vorstellten, lieferten das zahlreichste Contingent zu dem Steckenpferde unseres Freundes. Auf dieses bezieht sich ausschließlich mein obiges schnödes Wort. Denn, obgleich wir im Princip gegen alle derartigen Ankäufe stimmten, konnten wir doch nicht umhin, den wundersam anziehenden Altarstücken und Holzbasreliefs, Scenen der Anbetung und der Leidensgeschichte Christi darstellend, unseren Tribut an Lob, ja an Ekstase darzubringen. Das bei weitem

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 441. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_441.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)