Seite:Die Gartenlaube (1868) 452.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

Sie blickte auch gar nicht auf, als sie den Schatten sah, der in die Laube fiel. Sie wußte es wohl, daß es Ludwig Preuß war, der da in der Thür stand, oder vielmehr ihr Herz seufzte auf, wie sie es dachte: der Ludwig Preuß sei der Prinz Ludwig Ferdinand.

„Guten Morgen, Cläre,“ sagte er ganz leise.

,Sie neigte sich tief auf die Arbeit und nickte: „Guten Morgen, Herr Prinz.“

„O, nenne mich nicht so,“ bat er mit schmerzlich zitternder Stimme. „Ich hab’s ja die ganze Nacht beklagt und beweint, daß ich ein Prinz bin – oder wenn Du willst, daß ich die Wahrheit sage: beklagt und beweint, daß Du nicht eine Prinzessin bist. Ach, Cläre, mein ganzes Leben möcht’ ich Dir weihen und kann’s doch nicht!“

„Und weil Ihr das wußtet, Herr,“ sagte Cläre mit sanftem Vorwurf in der Stimme, „so hättet Ihr nimmermehr herkommen sollen, das arme Bürgerkind zu verleiten, und Ihr hättet Euch nimmer so vor ihm verstellen sollen, daß es Euch glaubte und Euch ihr Herz gab und Euch liebte.“

„Du liebst mich also, Cläre?“ fragte er, ihre beiden Hände fassend.

Sie entzog sie ihm hastig. „Ja, Herr, ich liebe Euch, und das ist mein Unglück! Und darum bin ich böse und zornig auf mich selber, daß ich Euch nicht böse sein kann! Ich liebe Euch! Ich schäme mich nicht, es Euch zu sagen, aber wißt Ihr, ich bin noch nicht so schwach und so kränklich in mir selber, daß ich die Liebe zu Euch nicht unterdrücken könnte. Ich will’s Euch sagen, was ich thun werde: ich werde den Hans Werner heirathen!“

„Thu’s nicht, Cläre! Thu’s nicht, süßes, holdes Kind! Du kannst nicht glücklich mit ihm werden! Du hast ganz Recht, er paßt nicht für Dich!“

Sie schüttelte traurig das Haupt. „Es paßt jetzt Niemand mehr für mich,“ sagte sie leise. „Wer Euch gesehen, Herr, und wer Euch liebt, dem wollen wohl die andern Männer nicht mehr gefallen.“

„Weißt Du, Cläre,“ sagte er lächelnd, „daß Deine Worte mich glücklich, ja selig machen könnten, wenn –“

„Ich so schlecht wäre,“ unterbrach sie ihn, „daß ich der Liebe, die mir im Herzen steckt wie ein Dolch, jetzt folgen thät’ und die Schande annähme, die Ihr gestern so grausam gewesen seid, mir zu bieten. Nein, Herr, das thue ich nicht! Ihr habt Euern Spaß mit mir gehabt, und ich habe nun meinen Schmerz. Und getrennt sind wir fortan! Geht nur fort, – geht! Geht zurück in Euere vornehmen Verhältnisse, – ich gehe zurück in meine stillen, ehrlichen Verhältnisse. – Ich will den Hans Werner heirathen, und wißt Ihr, warum ich’s thue? Weil ich ein ehrbar’ Mädchen bin und weil ich mich retten will vor meiner Liebe zu Euch. Und nun wißt Ihr’s, warum ich den Hans Werner heirathen will. Und ich will auch den Hans Werner nicht betrügen, – vor der Hochzeit will ich’s ihm sagen, daß ich Euch liebe. O, denkt nicht, daß ich Euch etwa anklagen will! Ich werd’ ihm sagen: ich hätt’ Euch gesehen in Magdeburg, und da wäre die Liebe zu Euch in meinem Herzen erwacht und ich könnte nicht dafür, daß ich Euch liebte.“

„O Cläre,“ rief der Prinz mit Thränen in den Augen, „Du bist ein Engel! – Ein Himmel von Unschuld und Güte wohnt in Deinem Herzen!“

„Ich danke Euch, daß Ihr das meint, Herr,“ sagte sie aufstehend. „Ich meine nur, ich bin ein armes, unglückliches Ding, das lange wird mit sich selber zu thun haben, ehe es überwunden und den Stachel aus seinem Herzen gezogen hat. Versuchen will ich’s aber, und wenn’s gelingt, Herr – und wenn ich wieder gesund werde, so soll doch der Gedanke an Euch nie in mir ersterben. Und das sollt Ihr wissen, daß ich auf Erden keinen andern Mann liebe und daß ich, wenn ich einst sterbe, sagen werde: Da oben giebt es keine Prinzen und keine armen niedrigen Leute. Da oben ist Alles gleich, und da finde ich vielleicht den Ludwig Preuß wieder und nicht den Prinzen Louis Ferdinand. Und darum werde ich gern sterben. Und nun geht! Adieu! Lebt wohl, Herr!“

Und ungestüm drängte sie ihn bei Seite, sprang aus der Laube hinaus und rannte nach dem Hause hin.

Ludwig blieb stehen und schaute ihr nach, und dunkel ward’s vor seinen Augen und schmerzlich klagte es in seinem Herzen: „Ich habe Unrecht gethan! schweres Unrecht! Meine Seele klagt mich an! Möge sie mir vergeben und möge sie mich vergessen! – Werd’ ich sie je vergessen?“ fragte er dann sich selber, während zwei Thränen langsam über seine Wangen niederrollten. „Einen Spaß wollte ich mir machen, als Handwerksbursche wollte, ich fröhlich ein paar Tage durch die Welt ziehen, das dachte ich nur und dachte nicht, daß oft der Spaß, den wir uns selbst bereiten, den Andern zum schmerzlich bittern Ernste wird. Ich habe Unrecht gethan!“

Und lange noch stand er, an die Laube gelehnt, und sah mit einem tief schmerzlichen Abschiedsblick auf das kleine Gärtchen. Die Blumen nickten und bewegten sich im Winde und sandten ihm ihre Düfte zu, die Schmetterlinge flogen wieder lustig hin und her, wie sie es gethan in jener Sonntagsfrühe.

Ein paar Tage waren nur vergangen seit jenem glücklichen Morgen. Kaum eine Woche – und wie viel hatte sich verändert! Wie hatten sich so schnell zwei Menschenherzen umgewandelt, hatten sich Augen mit Thränen gefüllt, die sonst nimmer geweint!

Die Schmiede war heute geschlossen. Kein lustiges Hämmern, kein Funkensprühen, es war Alles verändert, Alles traurig und still. – Ludwig senkte das Haupt auf seine Brust, und wie ein Leidtragender, der hinter dem Sarg herschreitet, so ging er dahin, – den einsamen Steg im Garten hinab, und sah nicht ein einziges Mal zum kleinen Häuschen hin, wo doch eben an dem Fenster schön Clärchen hinter der Gardine auf ihren Knieen lag und weinend zu ihm hinunter schaute und ihm die Grüße ihrer Liebe sandte, – stieg ein in den Wagen und fort ging’s, hinaus aus dem Thor, hinaus die staubige Landstraße nach Brandenburg.

Da entließ er das Fuhrwerk und begab sich nach dem Posthaus und fuhr mit Extrapost nach Magdeburg.

Lustig schmetternd fuhr der Postillon durch die Straßen, als wollte er es allen Leuten verkünden: ich bringe Euch Euern Liebling heim, – ich bringe Euch den Prinzen Louis Ferdinand!

Und mit freudestrahlendem Angesicht trat der Haushofmeister an den Wagen, und die Lakaien stürzten herbei und öffneten dem Prinzen den Wagenschlag. Und wie ein Lauffeuer ging es durch die ganze Stadt: „Prinz Louis Ferdinand ist wieder da, ist heimgekehrt von Berlin!“ –

„Und sind Eure königliche Hoheit wirklich in Berlin gewesen?“ fragte sein Adjutant, als am Abend die Officiere und Vertrauten wieder um den Prinzen versammelt waren, der sie zum Abendessen zu sich geladen hatte. „Waren Eure königliche Hoheit wirklich in Berlin? Es gingen die abenteuerlichsten Gerüchte hier in der Stadt um. Eure königliche Hoheit sind eben der Ritter und der Held aller möglichen Aventüren. Die Damen erzählten, Ihr hättet Euch verliebt in eine schöne Dame und wäret heimlich zu ihr gegangen. Andere sprachen davon, ein armes Bürgermädchen sei Eure Geliebte, und Ihr wäret verkleidet zu ihr gegangen.“

„Es singen und sagen die Leute gar viel,“ sagte der Prinz, lächelnd das Haupt wiegend. „Ihr seid Alle recht neugierig. Nicht wahr? Möchtet’s Alle gern wissen, wo ich gewesen bin?“

„Ja, in der That, königliche Hoheit, wir sind neugierig,“ lachten die Officiere.

„Eure königliche Hoheit werden die Gnade haben, uns wenigstens zu sagen, ob Sie in Berlin waren?“ fragte der Adjutant. „Man tödtet uns mit Fragen, und wir müssen doch Antwort geben.“

„Nun, ich will Euch etwas sagen!“ rief Prinz Louis Ferdinand. „Ich war nicht in Berlin, ich war auch nicht in einer andern Stadt; hört, ich will Euch ein großes Geheimniß künden: Ich war einen Augenblick im Paradiese, doch hoffe ich, es wird nicht wie bei Schiller weiter heißen. Faltet Eure Hände, Ihr tollen Menschenkinder, faltet Eure Hände und betet mit mir, daß mein Augenblick im Paradiese nicht mit dem Tode bezahlt werden muß. Und nun nehmt die Gläser und laßt uns anstoßen und anklingen: Es lebe das Paradies, es lebe mein Augenblick im Paradiese!“

Sie stießen an und jubelten und tranken, und es schien wohl, als ob Prinz Louis Ferdinand der Heiterste und Fröhlichste von ihnen Allen sei. Und doch bemerkten sie, daß er mitten im lustigen Gespräch oft sinnend vor sich niederschaute und daß die Hand, die eben noch das Glas emporgehoben, dann matt herab sank und daß der Prinz gedankenvoll und schweigsam war trotz seiner Lustigkeit. –

Und gedankenvoll und ernst war er auch in der nächsten Zeit

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 452. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_452.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)