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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

Ein wahres deutsches Nationalfest,

gefeiert zu Worms am 24., 25. und 26. Juni 1868.
Von Arthur Müller.

Jedes Jahr, wenn die Sonne in ihrem Laufe auf dem Höhenpunkte angelangt war, wenn der Wald in seinem saftigsten Grün stand, die Flur ihren üppigsten Blüthenschmuck angelegt hatte und die wogenden Felder einer hoffnungsreichen Ernte entgegenreiften, feierten unsere Altvordern das Sommersonnenwendfest, indem sie dem Gott des Lichts zu Ehren auf allen Bergen unseres Vaterlandes weithin leuchtende Feuer, die Sonnenwendfeuer, anzündeten. Unsere Ahnen liebten das Licht, das goldene, freudige, herrliche Licht!

Aber es giebt nicht blos Sonnenwenden, die sich nach den ewigen Gesetzen des Planetenlaufs regeln. Es giebt auch Sonnenwenden in dem Leben und Schicksale der Nationen. Solch’ eine Zeit der Sonnenwende für unser Volk war es, als Luther von Papst und Kaiser die Freiheit des Geistes für unsere Nation zurückforderte, und eine hocherhabene Sonnenwendfeier war es, als am 25. Juni 1526 auf dem Reichstage zu Speier die lutherischen Stände des Reichs unter dem Zuruf alles Volks ihren Protest einlegten gegen jede Vergewaltigung ihres Glaubens und Gewissens. Eine verhängnißvolle Sonnenwende war es ferner, als in den Junitagen 1815 das deutsche Volk auf den niederländischen Schlachtgefilden von dem fremden Tyrannen die Freiheit endgültig sich zurück erkämpfte. Unsere Väter wissen noch von ihrer Feier zu erzählen. Die letzte und folgenschwerste Sonnenwende in dem Leben unserer Nation aber haben wir alle selbst mit erlebt in jenen schlachtgewittertobenden Junitagen des Jahres 1866, aus deren wildem Sturm und Drange die zwiegespaltene deutsche Nation sich näher zur Einheit hinüberrettete. Das Nationalfest zu Worms ist die jüngste Feier der Sonnenwende, und unsere ganze Nation hat Amen dazu gesagt. Zwar wurden dem Gotte des Lichts keine wirklichen Feuer angezündet, dafür aber loderten sie in den Herzen des deutschen Volks auf mit einem Flammenschein, der nicht vergehen wird bis an’s Ende der Welt.

Schon am Abend des 23. Juni war unter viel tausend Festgästen auch ich unter Donner und Blitz in Worms eingerückt. Unter Donner und Blitz, als wollte Gott der Herr selbst in der Sprache, die er redet, dem bevorstehenden Feste seine Nähe, seine Gnade und seinen Segen vorher verkünden.

Worms, welche Erinnerungen knüpfen sich an diesen Namen! Sage und Poesie vereinigen sich, ihn mit einem Glorienschein der goldensten Strahlen zu umweben, und in der Geschichte unseres Volkes steht er auf vielen Seilen mit unvergänglichen Lettern eingeschrieben. Die Treue, der heiligste Zug des deutschen Volkscharakters, ist es, die diese „wünnesame“ Stadt vor allen Städten Deutschlands verklärt hat. Die Treue, die Mannentreue ist das Band, welches die Gesänge des Nibelungenliedes zu einem Ganzen zusammenschließt, so herrlich, wie es nur noch einmal die Dichtung der Griechen der Menschheit geboten hat. Die Treue, die Treue zu ihren Kaisern in dem wilden, Jahrhunderte langen Kampfgewühl des Streites, welchen diese mit den Päpsten um die Herrschaft der Welt führten, ist es, die ihr zu ewigem Lob und Ruhm die Devise eingebracht hat:

„Worms, in Treue sonder Wank,
Aller Städte Preis und Dank,“

Die Treue, die Treue zu Gott endlich war es, die hier zu Worms ihren mächtigsten Ausdruck in dem Worte Luther’s gefunden hat, welches ebenfalls wie Blitz und Donner in die Herzen der Menschheit eingeschlagen hat, das hohe Wort: „Hier stehe ich, ich kann nicht anders, Gott helfe mir! Amen!“

Es ist doppelt und dreifach geweihter Boden, den wir treten!

Und wie sie sich rührte und regte, die wackere Bevölkerung von Worms, um die letzte Hand an den Festschmuck ihrer Stadt zu legen! Kränze, Guirlanden, ganze Alleen von jungen Bäumen, Flaggenmaste, bunte Ballons, sinnige Sprüche, in Nahmen von Kränzen an Laubgewinden aufgehangen, und Fahnen, Fahnen nicht zu zählen, darunter aller Welt zum Staunen am zahlreichsten und hervorragendsten vertreten schwarz-weiß-roth, die Fahne des norddeutschen Bundes! „Quod felix faustumque sit!!“ (Was Glück bedeuten möge!) dachte ich bei mir, und gleich bei meinem Eintritt wurde es mir zur freudigsten Gewißheit, daß das Fest der Enthüllung des großen Luthermonumentes, welches die Gartenlaube in Nr. 27[WS 1] ihren Lesern in gelungenem Bilde vorgeführt hat, eine weit tiefere und umfangreichere Bedeutung gewinnen würde, als es anfangs den Anschein hatte.

Denn schon lange vorher hatte sich das Gerücht verbreitet, daß die streng kirchliche Partei in der lutherischen Kirche Alles daran setzen wolle, die Leitung des ganzen Festes in ihrem Sinne in der Hand zu behalten. Unterstützt wurde dieses Gerücht noch durch den Umstand, daß das Festcomité in der That für die verschiedenen Redefeierlichkeiten ausschließlich Persönlichkeiten gewählt hatte, deren exclusiv orthodoxe Stellung über jeden Zweifel erhaben war. Zu gleicher Zeit theilte man sich mit, daß die betreffenden Herren sogar die bei dem Festbanket auszubringenden Toaste schon längst unter sich vertheilt mit einer Engherzigkeit, die sogar dem Heidelberger [ADB:Schenkel, Daniel|Schenkel]], welcher sich zu einer Banketrede angemeldet, die Erlaubniß dazu versagt habe. Wie viel an diesen Gerüchten authentisch war, mag füglich dahingestellt bleiben. Nur so viel steht fest, daß, wenn die Herren wirklich diesen Plan hatten, sie damit gründlich in’s Wasser gefallen sind. Denn der gesunde Sinn des in Worms versammelten Volkes nahm gleich von vornherein die Führung und behielt sie auch, der Feier das Gepräge echt deutsch-nationalen Geistes aufdrückend, bis an’s Ende.

Und was war dies für ein Fest! Noch jetzt, indem ich dieses niederschreibe, treten mir in der Erinnerung daran – ich kann und will sie nicht zurückhalten – die Thränen in die Augen. Bei aller Begeisterung welches Maß, bei allem Jubel welche Reife, bei aller Berührung so vieler Gegensätze welcher Friede, bei aller Verschiedenheit der Bekenntnißformen welche Liebe, bei aller Bewegung welche Ruhe, bei allen Handlungen welche Weihe! Kein einziger Mißton, so gewaltige Dimensionen das Fest auch annahm! Ein Zusammenklingen und Zusammenrauschen der Herzen und Geister, wie es in so imposanter Majestät vielleicht noch bei keinem Fest, so lange die Erde steht, erlebt worden!

Erwarten Sie von nur keine chronistische Behandlung der ganzen großen, herzerhebenden nationalen Feier. Denn einmal würde, da die Gartenlaube nur wöchentlich erscheint und fast Monatsfrist für Druckherstellung jeder Nummer braucht, meine Beschreibung von den täglich erscheinenden Blättern schon längst überholt sein. Dann aber läßt sich aus dem Zusammenstellen des Nacheinander und Nebeneinander doch niemals das eigentliche Wesen eines Ereignisses, sein gewissermaßen organischer Charakter zur unmittelbaren Anschauung und Empfindung bringen. Auch von der Beschreibung und ästhetischen Würdigung des Denkmals nehme ich geflissentlich Abstand, denn es ist eine alte Erfahrung, daß der sinnliche Eindruck eines Bildes für das Verständniß eines Kunstwerks viel mehr leistet, als der durch das Wort vermittelte. Für die Gartenlaube kann es sich nur um das Festhalten lebensvoller, bleibender, individueller, dem Organismus des Festes selbst entwachsener Züge handeln, die ihre Leser den Geist und den Herzschlag, welche das Fest bewegten, doch wenigstens annähernd mit durchleben und nachempfinden lassen.

Daß das Fest nicht den Charakter eines gemachten, sondern eines sich wirklich und lebendig aus dem tiefsten, inneren Kern deutscher Volksthümlichkeit entwickelnden gewann, ist wohl zumeist dem Auftreten Schenkel’s am Abende der Vorfeier in der Festhalle zu verdanken. An seinem Erfolge, an der jauchzenden Zustimmung des massenhaft versammelten Festpublicums zu der durchaus freisinnigen Auffassung des zu feiernden Ereignisses, wie sie der begeisterte und begeisternde Redner niederlegte, konnte die Partei der Dunkelmänner gleich von vornherein die eng gesteckten Grenzen ermessen für ihre Hoffnung, auf den Gang des Festes maßgebend und führend einzuwirken. Ich hatte an dem Nachmittage desselben Tages den Superintendenten Gerock aus Stuttgart in der Dreifaltigkeitskirche predigen gehört. Man hatte mir diesen Geistlichen als denjenigen bezeichnet, der unter allen von dem leitenden Festausschuß designirten Festpredigern trotz des positiven Standpunktes,

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Nr. 28
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 459. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_459.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)