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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

Kerker des Spielbergs in sicherer Aussicht. Es galt also, sich gegen Beides dadurch zu schützen, daß er sich nie auf ungesetzlichem Boden finden ließ. Manin aber war dazu völlig der Mann. Niemand war in ganz Venedig dem „profunden Legisten“ (wie ihn schon damals ein Bericht der geheimen Polizei nannte) gleich in der genauesten Kenntniß aller Gesetze, aller Verheißungen, die Oesterreich jemals seinen italienischen Provinzen gemacht hatte und die Manin gleichsam das Kampfterrain seiner Agitation lieferten.

Das große Rednertalent, das seinen Vater ausgezeichnet hatte, war in noch erhöhtem Maße auf den Sohn vererbt worden. Da ihm aber zur Ausbildung und Bethätigung desselben die politische und selbst die advocatorische Tribüne fehlte – denn die österreichische Regierung hatte das öffentliche und mündliche Gerichtsverfahren abgeschafft –, so benutzte er zur Uebung seines Talentes die Versammlungen der Venetianischen Gelehrtengesellschaft, zu welcher bald der Ruf seiner ungewöhnlichen Beredsamkeit immer zahlreichere Zuhörer aus allen Ständen und Classen der Bevölkerung hinzog. Erst im Jahre 1847 aber sollte sich dem zukünftigen Tribunen die Gelegenheit bieten, zu einer großen Versammlung von Italienern aller Staaten der Halbinsel öffentlich zu sprechen. Es war dies die Versammlung jenes großen italischen Gelehrtencongresses, welche am 13. September in dem majestätischen Rathssaale des Dogenpalastes zu Venedig eröffnet ward.

Diese Versammlungen, welche seit dem Jahre 1838 in Italien aufgekommen waren, bilden überhaupt ein wichtiges Moment in der Geschichte der neueren italienischen Bewegung. Sie waren der erste gelungene Versuch, die verschiedenen getrennten Theile des Landes in der Person ihrer angesehensten und intelligentesten Vertreter einander anzunähern. Sie gaben Gelegenheit, den gegenseitigen Ideenaustausch zu befördern, Reformwünsche und Hoffnungen anzuregen und auszusprechen, die, wie sorgsam sie sich auch vor allzu offenem Hervortreten zu hüten hatten, doch der Beziehung auf staatliche Verhältnisse und politische Aussichten nicht fern bleiben konnten. Selbst Neapel – wo ich im Jahre 1845 einen solchen Congreß tagen sah – hatte diese Versammlungen, nach einigem Widerstreben, gestattet. Nur die päpstliche Regierung hatte mit dem ihr eigenen Instincte die Gefahr erkannt, welche aus solchen Versammlungen für den Status quo, für die Bewahrung des Bestehenden hervorgehen möchte, und Gregor der Sechszehnte war durch keine Vorstellungen zu bewegen gewesen, dem Gelehrtencongresse das Tagen in Rom zu gestatten.

Venedig selbst galt damals in den Augen der italienischen Patrioten für stumpf und nutzlos und durch das langgetragene österreichische Joch der Nationalsache entfremdet. Selbst die österreichische Regierung theilte die Ansicht. Während sie Mailand und die Lombarden fürchtete und deshalb schonender behandelte, glaubte sie sich gegen das anscheinend in Schlaffheit versunkene Venedig kaum irgend eine Rücksicht auferlegen zu dürfen. Nur über Manin, der ebenfalls bei den italienischen Patrioten für lau und theilnahmlos galt, war sie besser als diese unterrichtet. In einem später nach der Revolution von 1848 in den Regierungsacten aufgefundenen geheimen Berichte der k. k. Polizeibehörde hieß es von dem Agitator Venedigs: „Der Advocat Manin genießt die allgemeine Achtung seiner Mitbürger durch die Reinheit seines sittlichen Lebenswandels sowie durch die unbestreitbaren Talente, mit denen er begabt ist, und durch die Uneigennützigkeit seines Charakters. Er ist ein ebenso profunder Rechtskenner als zugleich ein höchst gewandter Redner, der seine Gedanken mit großer Klarheit auszudrücken weiß. Seine Gefährlichkeit ist um so größer, da nicht Ehrgeiz und eigennütziges Interesse, sondern ein falsches(!) Nationalgefühl ihn bei seiner agitatorischen Thätigkeit und seinen Reformumtrieben leitet.“ - - Schwerlich hat jemals eine fremdherrliche Regierungspolizei von einem ihrer Gegner eine für denselben ehrenvollere Charakteristik entworfen, der es sicherlich keinen Eintrag thut, wenn im weiteren Verlaufe derselben von Manin ausgesagt wird: daß er daneben „ein unruhiger Kopf, händelsüchtig, eitel und voll starken Selbstgefühles“ sei.

Jener Gelehrtencongreß zu Venedig rückte Manin mit einem Schlage in den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses. Ungeschreckt durch die Maßregelung des Prinzen Lucian Bonaparte, der gleich nach seiner ersten Rede von dem Gouvernement aus Venedig ausgewiesen wurde, benutzte er die ihm eröffnete Tribüne zur offenen Darlegung seiner Reformwünsche. In Gegenwart des Gouverneurs von Venedig, Grasen Palffy, der den Sitzungen regelmäßig beiwohnte, sprach er das schneidend sarkastische Wort aus: „Venedig bedürfe keiner großen Reformen, weil es ja die von anderen italienischen Staaten erstrebten Institutionen bereits lange und besser besitze – nämlich auf dem Papiere!“ In allen Fragen, bei denen er das Wort nahm, entwickelte er eine Kenntniß der Zustände und Verhältnisse, der früheren Verheißungen und Zusagen der Regierung, der bestehenden, zum Theil unausgeführten, theils in der Praxis wesentlich alterirten Gesetze und Verordnungen und daneben eine Sicherheit und Mäßigung seiner stets legalen Taktik, deren Uebergewicht bald allgemein anerkannt ward. „Ihr werdet der Erlöser Venedigs sein!“ rief ihm am Schlusse einer solchen Sitzung der Lombarde Terzaghi, Rath des Appellhofes von Venedig, beim Herausgehen zu. „Mit oder ohne Kreuzigung?“ erwiderte lächelnd Manin. „Ich hoffe das Letztere,“ versetzte der Lombarde, „aber ich verbürge es nicht!“

Seitdem war Manin der populärste Mann in Venedig. Als Cobden die Lagunenstadt besuchte und ihm zu Ehren ein Banket veranstaltet wurde, gab das Gouvernement seine Erlaubniß dazu nur unter der ausdrücklichen Bedingung: daß Manin sich bei demselben alles Redens enthalte! Da ihm öffentlich zu reden versagt war, griff er zur Feder, um bei jeder Gelegenheit seine Mitbürger über ihre Zustände aufzuklären. Sein Stil, ausgezeichnet durch einfache Klarheit, bei knapper phrasenloser Kürze und schlagender Treffkraft, bald scharf sarkastisch, bald humoristisch in den Wendungen, entsprach dem kernigen Gedankengehalte. Bei Gelegenheit des Gelehrtencongresses mit der Abfassung eines Führers für die Fremden beauftragt, benutzte er diesen Anlaß, um in demselben die altvenetianischen mit den neuen österreichischen Einrichtungen und Gesetzen zu vergleichen und unter Anderm zu zeigen: daß das österreichische Criminalverfahren an Härte dasjenige des verrufenen Raths der Zehn in der republikanischen Zeit übertreffe. – Ein Hauptgesichtspunkt seiner Taktik war: den Beweis zu führen, daß Oesterreich nicht im Stande sei’, die versprochenen oder verliehenen nationalen Institutionen zu verwirklichen, weil es dadurch seine Herrschaft in Italien gefährden würde. Er wußte nur allzu wohl, daß eine Befreiung Venedigs und Italiens nicht möglich sei, ohne die Gunst eines großen revolutionären Umschwunges in Europa überhaupt, und es war daher sein Bestreben, die Geister auf die Benutzung einer solchen Gunst, wenn sie sich zeige, vorzubereiten, zugleich aber auch sie von unreifen Erhebungen zurückzuhalten. Aber im Gegensatze zu dem populärsten Dichter Italiens, zu Silvio Pellico, der, gebrochen durch die grausame Kerkerhaft des Spielberg, die resignirende Unterwerfung predigte, erhob er seine Stimme, um sein Volk zu belehren über die wahre männliche Resignation, die sich nur beuge gegenüber der Einsicht in die Unmöglichkeit des Erfolges, nicht vor der Gefahr des Mißlingens. „Die Resignation des Einzelnen,“ so rief er seiner Nation zu, „kann eine Tugend sein; bei einem Volke ist sie es niemals. Denn das Unglück eines Volkes ist nie hoffnungslos, so lange dasselbe das Gefühl seines Unglücks bewahrt. Daher müssen zur Bekämpfung des Unglücks einer Nation alle geistigen, sittlichen und physischen Kräfte aller ihrer Mitglieder angewendet werden. Eine Generation, welche dies thut, darf hoffen, daß eine zweite erreicht, was ihr selber durchzusetzen versagt ist; denn die Nationen sterben nicht. Wer daher einer Nation als solcher absolute Resignation predigt, der predigt ihr als ein Feiger die Feigheit, und die Nation, die solcher Lehre folgt, drückt sich selbst das Brandmal der Feigheit auf!“

Die offene Reformbewegung des österreichischen Italiens begann bekanntlich in Mailand, wo der Deputirte Nazari (am 9. December) seinen Reformantrag durchgesetzt hatte. Schon vierzehn Tage darauf folgte Manin in Venedig nach. Ohne Mitglied der dort zusammenberufenen Centralcongregation zu sein, übergab er derselben einen ähnlichen energisch abgefaßten Antrag auf Reformen in der Regierung zum Schutze der Nationalität und der öffentlichen Interessen. Eine andere Petition betraf die ungesetzliche und willkürliche Handhabung des – seinem Wortlaute nach sehr liberalen – Censurgesetzes. Bei dieser Gelegenheit sprach er es als das Recht und die Pflicht jedes Staatsbürgers aus: allen nicht öffentlich bekannt gemachten Gesetzen den Gehorsam zu verweigern. Die Aufregung, welche diese in ganz Venedig durch

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 490. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_490.jpg&oldid=- (Version vom 12.9.2023)