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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)


„Der Tatzelwurm“, oder „Das Wichtel“ zu schaffen wußte, der mußte schwankend werden, ob der Vorzug den ernsten oder den heitern oder den gemüthvollen Gebilden einzuräumen sei.

Als in dem Leben des Münchner Actien-Volkstheaters der Wendepunkt eingetreten war, in welchem, um es vielleicht financiell zu retten, der Versuch gemacht werden wollte, es artistisch preiszugeben, in der nackt ausgesprochenen Absicht, lediglich Geld zu machen, das Wort „Volk“ auszustreichen und nur die „Actie“ stehen zu lassen; als das bisher gepflegte Schau- und Lustspiel vor den Offenbachiaden verschwinden mußte: da war für Clara Ziegler weder Raum noch Beschäftigung weiter gegeben und unter mehreren vortheilhaften Anerbietungen entschied sie sich für eine Stellung in Leipzig, wo der Geschmack und die rege Theilnahme eines gebildeten Publicums eifrig bestrebt sind, die Kunst nicht verwildern und zur bloßen Speculation werden zu lassen, sondern in einer Weise zu hegen, welche des neuerbauten prachtvollen Theaters – unstreitig eines der schönsten und zweckmäßigsten Deutschlands – würdig ist. Der Erfolg für Clara Ziegler war ebenso rasch wie entschieden, und hatte man vielleicht noch denken wollen, es möchte in den Münchner Beifall sich etwas von landsmannschaftlicher Vorliebe eingeschlichen haben, so war jeder Zweifel beseitigt, als sie schon in ihren Gastrollen und noch mehr bei Eröffnung des neuen Hauses als Iphigenia von dem kunstsinnigen Publicum in einer Weise begrüßt und gewürdigt wurde, welche sie ebenbürtig neben eine Janauschek und jede andere Tragödin stellte, die auf den in der deutschen Theatergeschichte von jeher so bedeutsamen Brettern von Leipzig geglänzt haben. So sehr sie sich aber mit jeder Leistung (namentlich auch als Frau von Straß in Laube’s „Böse Zungen“ und neuerdings durch den allerdings gewagten Versuch, den Romeo in Shakespeares Tragödie zu geben) in der Gunst des Publicums befestigte, so daß sie unbedingt auch in Leipzig der allgemeine Liebling geworden ist, ward doch immer klarer, daß ihre eigentliche Stellung an einem großen Hoftheater sei, wo das höhere Drama den Gegenstand einer besonderen Kunstpflege bildet. Solche boten sich ihr in Berlin und München; sie entschied für letzteres, wohl aus heimischer Anhänglichkeit, wohl aber auch, weil es zu den Lieblingsplänen des jungen, kunstbegeisterten Königs gehört, das Schauspiel auf die möglichste Kunsthöhe gebracht zu wissen.

Eine ihrer glänzendsten Leistungen ist die Rolle der Brunhilde im ersten Theile von Hebbel’s „Nibelungen“-Tragödie; in ihr ist sie dem Leser bildlich vorgeführt.

Es war der dritte Abend bedeutsamer Begegnung, als der Erzähler auf der Reise das neue Leipziger Theater besuchte, die Künstlerin nach längerem Zwischenraum als Brunhilde wieder spielen sah und sich überzeugte, wie sehr und glänzend sie fortgeschritten ist. Die äußere Mittelerscheinung und das Organ scheinen sich vervollkommnet, Auffassung und Wiedergabe vertieft zu haben; – hält der Feuereifer der Begeisterung, welcher eine so rasche Entwickelung allein erklärt, auch fürder nach, so mögen die deutschen Tragöden immerhin nach den höchsten Entwürfen greifen: an einer würdigen Darstellerin dafür fehlt es nicht mehr.

N. D.



Der Teufel.
(Fortsetzung.)


„Stehen wir auf, Freund Römer, und gehen wir zu Deiner Frau,“ sagte der kleine Buckelige, nachdem sie eine Zeit lang auf dem umgehauenen Baumstamms ausgeruht hatten.

„Zu meiner Frau willst Du mich führen?“ rief der Herr von Römer.

„Ja.“

„Du sprachst von einer Leiche!“

„Auch davon.“

Sie erhoben sich und schritten auf das Licht zu, das noch immer seinen trüben Schein durch die Zweige und Blätter der Bäume und Sträuche der Schlucht warf. Sie gingen schweigend neben einander, langsam, vorsichtig, mit leisem Schritt. Der Buckelige hatte es so von dem Präsidenten verlangt, damit sie keine vorzeitige Störung verursachten, dem Herrn von Römer aber schien hieran noch mehr gelegen zu sein, als seinem Führer; er sollte ja seine Frau finden. Sie waren noch wenige Schritte von dem Lichte entfernt und standen vor einem kleinen niedrigen Hause. Soviel man in der Dunkelheit erkennen konnte, schien es leicht und freundlich wie ein Schweizerhäuschen gebaut zu sein; an den Mauern rankten Weinreben hinauf, und die Fenster waren mit Jalousieen verschlossen, die man an einem der ersteren, an dem, durch welches der Lichtschein drang, zurückgelegt hatte. Man vernahm in dem ganzen Hause keinen Laut; auch in dem Gemache, in dem das Licht war, schien sich nichts zu bewegen.

„Treten wir näher hin,“ flüsterte der Buckelige dem Präsidenten zu. „Aber verräthst Du durch irgend einen Ton unsere Anwesenheit, es wäre ein Verrath, den jene Strafe treffen würde, die Du kennst.“

Auch diese Mahnung des Buckeligen war unnöthig. Sie schlichen auf den Fußspitzen an das zu ebener Erde gelegene, erleuchtete niedrige Fenster.

„Blicken wir hindurch, doch vorsichtig, damit wir nicht gesehen werden können.“

Sie blickten durch die Scheiben und sahen in ein freundliches Stübchen. Eine helle Tapete bedeckte die Wände, auf Consolen standen weiße Büsten, und in der Mitte befand sich ein runder Mahagonytisch. An der inneren Wand stand ein Sopha, nur vor dem einen Ende des Sopha ein Fauteuil, neben welchem eine Frau an der Erde kniete. Auf dem Sopha lag ein Mann in der Uniform der Officiere der braunen Husaren, und vor diesem lag die Frau auf ihren Knieen. Sie hielt seine beiden Hände in den ihrigen. Ihr Gesicht ruhte auf seinem Gesichte. Das Alles beschien eine Lampe, die auf dem runden Tische stand, aber die Lampe beschien keine Bewegung. Der Officier auf dem Sopha lag regungslos da, wie ein Todter; die knieende Frau vor ihm schien völlig leblos zu sein.

„Sind sie Beide todt?“ fragten die Augen des Herrn von Römer seinen Begleiter.

Der Buckelige hatte von einer Leiche gesprochen. Waren zwei da? Sebastian Brand antwortete auf die Frage nicht, sondern fragte seinerseits:

„Kennst Du die Frau?“

Auch der Präsident antwortete nicht.

„Es ist die Deinige,“ sagte der Buckelige. „Auch über den Officier kannst Du nicht in Zweifel sein.“

„Sind sie todt?“ fragten jetzt die Lippen des Herrn von Römer.

„Hm,“ erwiderte der kleine Buckelige, „eine gemeinschaftliche Vergiftung? Aber still, es regt sich etwas.“

Es regte sich in der That etwas, aber nicht in dem Gemach, es schien vielmehr an eine Thür geklopft zu werden. Man mußte es auch in dem Gemache hören, wenn dort Jemand war, der hören konnte. Der Officier und die Frau rührten sich nicht; da wurde noch einmal geklopft, und jetzt an die Thür des Gemachs. Die Frau bewegte sich; sie erhob das Haupt, das auf dem des Officiers geruht hatte. Das Gesicht des Officiers wurde frei, es war das bleiche Gesicht eines Todten. Die Augen waren ihm geschlossen. Die Frau beugte sich noch einmal darüber hin und drückte Küsse auf die Lippen des Todten. Dann erhob sie ihre ganze hohe, edle Gestalt, und, wie sie sich wandte, sah man in ihr schönes, edles Gesicht, das bleich war, wie das des Todten. Zu diesem mußte sie sich noch einmal wenden, noch einmal mußte sie sich zu ihm niederbeugen, ihre Lippen auf die seinigen pressen. Eine Thür in dem Gemache öffnete sich, und eine verschleierte Dame erschien darin.

„Franziska!“ sprach sie bittend.

Die edle Frauengestalt erhob sich noch ein Mal von dem Todten und schwankte zu der verschleierten Dame. Diese zog sie sachte aus dem Gemache. Der Todte war jetzt allein.

„Hast Du ein Messer bei Dir?“ fragte Sebastian Brand Herrn von Römer.

„Wozu die Frage?“

„Teufel, Mensch! Sie war treu bis in den Tod. Aber


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