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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

ihm, dem Geliebten, nicht ihrem Manne. Hast Du kein Messer bei Dir?“

„Nein.“

„So habe ich einen Dolch. Ich steckte ihn aus Vorsorge zu mir, für Dich, wenn Du kein Messer hättest. Ein Dolch ist zudem poetischer, romantischer. Hier, nimm!“

Der Buckelige zog in der That einen Dolch hervor, den er Herrn von Römer hinhielt, welcher ihn jedoch nicht nahm.

„Ah, hast Du keine Ehre, keine Galle, keinen Muth mehr? Sie soll leben? Zum Teufel, Du verdirbst mir eine große Freude. Ich bin eine poetische Natur. Wir hätten die Beiden zusammen begraben, die beiden Särge in Ein Grab gelegt, die beiden treuen Herzen – Da kommen sie, Du willst also nicht? Noch ist es Zeit. Die Welt meint, sie habe sich selbst den Todesstoß gegeben, um den Geliebten nicht zu überleben. Auf Dich fiele kein Verdacht. Nun?“

„Satan!“ knirschte Herr von Römer.

„Treten wir zurück,“ sagte der Buckelige.

Mau hörte vom Hause ein Geräusch. Sebastian Brand und sein Begleiter traten zurück, hinter Bäume, die zur Seite standen. Die Thür des kleinen Hauses öffnete sich, und ein alter Diener mit einer Laterne schritt heraus; ihm folgten zwei tief verschleierte Damen. Alle drei gingen in die Schlucht hinein, der Stadt zu.

„Gute Nacht, Freund Römer,“ sagte der Buckelige zu seinem Begleiter. „Ich halte Wache bei dem armen Todten, der seliger entschlafen ist, als er es sich in seinem Leben wohl hätte träumen lassen.“


2.

Das Leichenbegängniß war vorüber. Es war ein doppeltes gewesen, freilich nicht ganz so, wie der buckelige Advocat Sebastian Brand es sich gedacht, oder wie er doch davon zu seinem Freunde, dem Consistorialpräsidenten von Römer, gesprochen hatte. Wohl waren zwei Särge zu gleicher Zeit zum Kirchhofe gebracht, auch zu dem nämlichen Kirchhofe; sie waren zwar nicht in das nämliche Grab gelegt, aber die armen müden Entschlafenen fanden doch ihre letzte Ruhestätte nahe beisammen.

Der Buckelige hatte für das Alles so gesorgt. Er war ein alter Freund des verstorbenen Lieutenants gewesen; sie hatten sich in der Garnisonsstadt des Lieutenants kennen gelernt, als der Buckelige dort bei einem Gericht gearbeitet hatte, und waren, wie verschieden in so Manchem ihre Naturen sein mochten, innige Freunde geworden. Als der Lieutenant später seinen Abschied nahm, lud der Advocat ihn ein, zu ihm in seine Vaterstadt zu kommen; der Buckelige hatte hier eine hübsche ländliche Besitzung, nahe bei der Stadt, es gehörte dazu jenes reizende kleine Schweizerhaus am Ende der schmalen Schlucht, an größere Gartenanlagen dort sich anschließend. Die Schlucht hieß die Sebastiansschlucht, schon seit alter Zeit, da ein Vorfahr des Advocaten, der gleichfalls den Vornamen Sebastian führte, die Anlagen am Ende der Schlucht geschaffen hatte.

Das Häuschen räumte der Buckelige dem Freunde ein, und sie verlebten darin und in den schönen Anlagen daneben manche stille, das Herz des so schwer geprüften Officiers tröstende Stunde, bis dieser darin starb. Der Advocat hatte für das Begräbniß seines Freundes schon die Vorbereitungen getroffen, als auch die Präsidentin von Römer starb. Jetzt hob er alle seine Veranstaltungen wieder auf.

Erst als das Begräbniß der Frau von Römer angeordnet war, nahm er die Sorge für das des Freundes wieder auf. Er kaufte mit theuerem Gelde eine Begräbnißstätte neben dem Grabe der Präsidentin und ließ den Leichenzug aus dem Sterbehause zu einer Stunde abgehen, daß beide Züge zu gleicher Zeit auf dem Kirchhofe eintreffen mußten. Sie trafen auch zu gleicher Zeit ein, der der Präsidentin, welcher aus einem glänzenden Gefolge bestand, wenige Minuten früher. Hinter dem hohen, reich und schwer mit weißen und grünen Kränzen geschmückten, von vier Pferden gezogenen Trauerwagen mit dem Sarge der Präsidentin gingen der Präsident von Römer und in seiner tiefen Trauer der greise, gebeugte Vater der Verstorbenen, der Geheimrath von Wangen; in ihrer Mitte führten sie den sechsjährigen Knaben der Verblichenen. Hinter ihnen kam, gleichfalls zu Fuße, Alles, was an höheren Beamten in der Stadt und an Adel in der Stadt und Umgegend war; auch die Generalität der Hauptstadt der Provinz und die höheren Officiere der darin garnisonirenden Regimenter fehlten nicht, und eine Anzahl von Trauerwagen schloß sich an.

So bewegte der lange Zug sich glänzend und stolz auf den Kirchhof, hinter dem Sarge einer unglücklichen Frau, die ein paar Jahre glücklicher, stiller Liebe genossen hatte, um dann das Leben an der Seite eines Elenden zu vertrauern, bis ein entsetzlicher Tod – Aber bleiben wir bei den Leichenbegängnissen.

Dem glänzenden und stolzen Zuge folgte ein einfacher, bescheidener; der schwarze Sarg war nur mit einem alten Husarensäbel geschmückt und wurde nicht gefahren, sondern sechs Männer trugen ihn; als erste Leidtragende folgte ihm eine Bäuerin an der Seite des kleinen, buckeligen Advocaten.

Es war wohl ein sonderbares Paar, aber wer die Beiden sah, dem wollte das Herz doch recht schwer werden. Die Bäuerin war eine so schöne stattliche Frau, und ihre schwarze, eng anliegende, einfache Trauerhaube umschloß einen so tiefen Schmerz, dem die Ehre, die dem verstorbenen Bruder erwiesen wurde, nur neue Thränen der Rührung verleihen konnte. Und das Gesicht des kleinen Advocaten blickte mit einem so finstern, fast wilden Schmerz drein, daß die, welche es sahen, ein Grausen überlaufen wollte.

Den Beiden folgte ein langer Zug, ein längerer, als der war, der zuerst den Kirchhof beschritten hatte. Es waren Alles einfach und meist altmodisch gekleidete Männer, wie auch jene Sechs, die den Sarg trugen. Alle zeigten den stillen, den ruhigen, aber desto innigeren Schmerz braver muthiger Cameraden, die den Bravsten und Muthigsten von ihnen zum Grabe geleiten. Drei alte Invaliden und drei junge Landwehrleute trugen den Sarg, Invaliden und Landwehrleute folgten ihm in unabsehbarer Reihe. Die Invaliden sämmtlich in ihren alten, abgeschabten und längst aus der Armeemode gekommenen Uniformen, die Landwehrleute in ihren einfachen, unscheinbaren Litewken. Wie stachen jene glänzenden Uniformen der Generäle und Obersten in dem andern Zuge dagegen ab! Aber jene alten, abgeschabten und einfachen Röcke waren in der Feldschlacht gewesen, im Pulverdampf, im Kugelregen, im wilden, heißen Schwerterkampfe; und die neuen glänzenden, mit Gold und Silber betreßten Uniformen hatten nur Paraden und andere Hoffeste und Bälle und Soiréen gesehen.

Der doppelte Leichenzug hatte Tausende von Neugierigen aus der großen Stadt zu dem Kirchhofe gezogen. Den Glanz und Stolz des ersten hatte die Menge mit einer Neugierde angestarrt, von welcher eben Glanz und Stolz jede Theilnahme zurückhielten. Dem Sarge und Gefolge des Lieutenants wandte sich eine mehr als gewöhnliche Theilnahme, vielmehr jene innige, herzliche, zahlreich anerkennende und bewundernde Trauer zu, die das Volk den Männern widmet, welche ihm durch ihr Leben, durch ihre Thaten angehören. Es gab sich diese Theilnahme namentlich auch in den Gesprächen der vielen Zuschauer kund, die wieder und immer wieder die Verdienste des braven Officiers hervorhoben. Hinsichtlich des anderen Leichenzuges war es dagegen hauptsächlich das Plötzliche des Todes selbst, worauf sich das allgemeine Interesse lenkte. Die Einen wollten wissen, die Präsidentin sei in Folge eines Schlaganfalles so jäh aus dem Leben gerufen worden, Andere sprachen gar von einem Selbstmorde, der hier vorliege. –

Das doppelte Leichenbegängniß war vorüber: die Invaliden und Landwehrmänner, die dem Lieutenant Hille das letzte Geleite gegeben hatten, verließen paarweise still den Kirchhof; die vornehmen Herren, welche der Leiche der Frau von Römer gefolgt waren, bestiegen die Trauerwagen, und der Advocat Sebastian Brand führte die Schwester des begrabenen Officiers zu seiner Wohnung in der Stadt.

„Sie bleiben bis morgen hier, liebe Frau Schulze Mersmann, ich führe Sie nachher in die Sebastiansschlucht und zeige Ihnen die Plätze, an denen unser verstorbener Freund in Liebe gelitten und in seinem Schmerze sich wieder erhoben hat. Ich zeige Ihnen auch einen anderen Platz, an dem jene andere Verstorbene, an deren Seite unser Freund ruht, von allen ihren Leiden erlöst wurde, und erzähle Ihnen dabei, wie Ihr Bruder um diese Frau und die Frau wieder um Ihren Bruder starb.“

Die Frau Schulze Mersmann sah ihn verwundert, fragend an, er aber hatte keine Antwort für sie. Die Trauerwagen fuhren an ihm und der Bäuerin vorüber, er hatte in einen von

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 510. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_510.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)