Seite:Die Gartenlaube (1868) 517.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

auf einige Stunden zu entfliehen und seinen Lungen frische Luft zuzuführen. Treten wir ihm näher, so sagt uns wohl der gelblich-braune Fleischton seines Gesichts – das Kennzeichen von Leberleiden – das Warum dieser zähen Wanderungen. Auch die Vermuthung lassen wir fallen, die zuerst in uns aufstieg, als wir zwei englische Vorstehhunde in der Begleitung des Mannes erblickten, die Vermuthung, einen Forstmann des großen Praterreviers vor uns zu haben. Denn der Blick in dieses Antlitz zeigt uns auf der Stelle den Mann des Denkens, der geistigen Arbeit. Ein nicht schöner, aber interessanter, geistig ausgearbeiteter Kopf thront auf dem gedrungenen Rumpfe. Eine mächtige Stirn, der Wohnsitz des geistigen Vermögens, wölbt sich über der etwas platten, doch in den Nüstern kräftig geschwungenen Nase, das blaue Auge glänzt geistvoll und mit gutem Ausdruck unter buschiger Braue hervor, der von kräftigem, leicht angegrautem Schnurr- und Kinnbart umrahmte Mund hat die volle, nach vorn gewölbte Unterlippe, in welcher wir das äußere Merkzeichen der beredten Seele sehen. Das kräftige Knochengerüst der Wange und des Kinns deutet auf energischen Willen und männliche Festigkeit.

Heinrich Laube.

Der Mann ist populär in Wien, alle Welt kennt ihn, das sehen wir an dem achtungsvollen Gruß der Begegnenden, und so wird es uns leicht, von einem Spaziergänger seinen Namen zu erfahren. Der Mann heißt Heinrich Laube und ist der abgesetzte Director des altberühmten Hofburgtheaters in Wien und hoffentlich demnächst der artistische Leiter der Leipziger Stadtbühne.

Der abgesetzte Director? Wörtlich genommen ist Laube eigentlich nicht abgesetzt worden. Er hat seine Entlassung gegeben, weil man ihm die Vollmachten beschränken wollte, welche er als Leiter dieses deutschen Mustertheaters durch achtzehn Jahre besessen hatte.

Das Burgtheater war immer eine Specialität in dem Wiener Leben, es war während der vergangenen achtzehn Jahre eine Specialität im österreichischen Staatswesen. Auf die Reaction war dieses Staatswesen gestellt, auf die gründlichste Reaction durch Adels-, Priester- und Soldatenwirthschaft. Und neben dieser Reaction, nein, mitten darin, umtost von ihren Wogen, stand das Burgtheater kräftig und blühend aufrecht, eine Burg des freien deutschen Geistes in Oesterreich, die einzige öffentliche Anstalt, welcher die Leidensjahre der Reaction in ihrem Kern und Wesen keine Todeswunde versetzen konnten. Während die öffentliche Meinung von All’ und Jedem abfiel, was mit dem Staat und seiner Regierung zusammenhing, war das Burgtheater geehrt und geliebt von Alt und Jung. Das dankte man der Umsicht, der Energie seines Directors Heinrich Laube, der immer bestrebt war, die geistige Fühlung zu erhalten mit den freiheitlichen Strebungen der Zeit, der das Burgtheater immer gehütet hat als Pflegstätte deutschen Wesens in Oesterreich. Es wäre undankbar, wenn wir bei diesem Lobe vergäßen, daß ihm das nur ermöglicht wurde durch die allgemeine Beistimmung der gebildeten und geistig erhobenen Elemente in der Wiener Gesellschaft und durch die Geradheit seines unmittelbaren Chefs, des Oberstkämmerers Grafen Lançkoronzki. Wenn auch ein stolzer und starrer Aristokrat, war dieser Pole doch ein echter Edelmann, der nie den Wirkungskreis zu schmälern trachtete, welchen er dem artistischen Director angewiesen hatte, der das Andenken seines Schwagers, des liberalen

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 517. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_517.jpg&oldid=- (Version vom 21.8.2021)