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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

bequem zum Schlafen, aber man kommt nicht bequem hinein, und Damen können sie überhaupt nicht benutzen.

Jetzt bricht der Abend an, der Salonbeamte meldet, daß der Zug alsbald auf zwanzig Minuten an der nächsten Station halten werde, um den Reisenden Gelegenheit zu geben, dort ihr Abendbrod zu verzehren. Jetzt pfeift die Locomotive, die Wagen werden eingebremst, und gleich darauf erhebt sich dicht davor ein Heidenlärm. Es befinden sich dort nämlich zwei Oppositions-Restaurationen dicht nebeneinander, und während der Besitzer der einen einen großen chinesischen Gong aus Leibeskräften bearbeitet, daß die ganze Luft von den Schlägen dröhnt, bläst sein Nachbar mit kaum geringerer Kraft ein altes Horn, welche Musik dann andeuten soll, daß eine vortreffliche Mahlzeit in den geöffneten und erleuchteten Räumen für die Reisenden bereit steht.

Hat man nun, gewöhnlich ziemlich mittelmäßig und je nach der Gegend, in der man sich befindet, manchmal für drei Viertel, manchmal bis fünf Viertel Dollar, zu Nacht gegessen, so steht der Wirth an der Thür, kleine Papierscheine zum Wechseln schon in der Hand, und Jeder, der das Zimmer verläßt, muß seine Mahlzeit zahlen. Wie viel oder wie wenig er von den auf dem Tisch befindlichen Speisen benutzt, wie viel Tassen Kaffee er dazu getrunken hat, bleibt sich völlig gleich.

Sowie wir aber den Waggon wieder besteigen, sehen wir schon, daß indessen eine Aenderung damit vorgegangen ist. Der Aufseher ist allerdings ebenfalls drüben zum Essen gewesen, allein er macht das sehr rasch ab, denn er benutzt gern die Zeit, wo sich die Passagiere entfernt haben, um wenigstens einige Betten herzurichten und so einen Anfang damit zu haben. Die Besitzer derselben bekommt er jedenfalls aus dem Wege.

Jetzt enthüllen sich uns auch die Geheimnisse des Schlafwagens, und ich muß gestehen, daß es kaum etwas Einfacheres und doch diesem Zweck besser Entsprechendes auf der Welt geben kann.

Die gewöhnlichen sich gegenüber stehenden Sitze, die so weit von einander entfernt angebracht sind, daß sich ein ziemlich großer Mann bequem zwischen ihnen ausstrecken kann, werden emporgehoben, einige Stützen ausgeschoben und dann andere ähnliche Sitzkissen derart dazwischen geschoben, daß sie jetzt eine vollständige Matratze bilden. Aber das ist nur die Unterlage. Nun öffnet der Mann oben über den Sitzen das, was wir für die schräg zulaufende Wand hielten und was sich jetzt als ein großer, wenigstens langer Bettschrank zeigt, der breite Matratzen, Kopfkissen, Decken und frisches Leinenzeug für zwei große Doppelbetten enthält. Diese werden zuerst auf das untere Bett gelegt, und die Klappe schließt sich dann wieder; zugleich entwickeln sich aus der Seitenwand bis dahin vollkommen verdeckte Stützen, die das obere Bett halten sollen, eine kurze Brettwand wird vorgezogen – man begreift gar nicht recht, woher sie kommt – damit die Fuß an Fuß stehenden Betten ebenfalls von einander geschieden werden, und jetzt sind im Handumdrehen zwei so bequeme und reinlich überzogene Lagerstätten hergerichtet, wie sie sich selbst der verwöhnteste Mensch nur wünschen kann.

Das genügt aber noch nicht. Der Waggon, der eine ganze Menge geheimer Schubfächer haben muß, denn er ist völlig unabhängig von den übrigen, bringt auch noch große Messingstangen mit schweren rothwollenen und eleganten Gardinen zum Vorschein, die so geschickt geordnet werden, daß sie immer eine Abtheilung, oberes und unteres Belt, von den anderen scheiden und dadurch einen verhangenen Gang in der Mitte herstellen, von dem man weder nach rechts noch links in eines der Betten hineinsehen kann.

Amerikanische Ladies sind gewöhnlich etwas überprüde, und es mag vielleicht auch anfangs Mühe gekostet haben, sie in einen solchen doch immer allgemeinen Schlafsalon zu bringen. Es ist aber hier wahrlich jede Rücksicht genommen, die sich in dem engen Raume eines Eisenbahnwaggons nur möglicherweise nehmen läßt, und nach und nach scheinen sie sich doch der Nothwendigkeit gefügt zu haben, denn jetzt benutzen sie diese große Annehmlichkeit für eine längere Tour fast so zahlreich, wie die Herren selber.

Diese Betten bleiben aufgeschlagen, bis die Passagiere Morgens zum Frühstück gehen, was gewöhnlich etwa zwischen sechs und sieben Uhr geschieht; dann wird rasch Alles wieder fortgepackt.

Reisenden in einem solchen Waggon möchte ich aber die wohlmeinende Warnung geben, daß sie sich, ehe sie Morgens den Waggon verlassen, genau erkundigen, ob der Schlafwagen mitgeht oder an der Frühstückstation abgehangen wird. Gewöhnlich ist das Letztere der Fall, und dann kann es geschehen daß die Reisenden, wenn sie, vom Frühstück wieder herauskommen, den Schlafwaggon weit ab vom Zug geschoben und noch dazu verschlossen finden, so daß sie ihr Handgepäck gar nicht bekommen können, während der Aufseher des Waggons, der in dem Falle mit dem Zug nicht weiter geht, irgendwo hinaus in die Stadt, vielleicht zu seiner eigenen Wohnung geschlendert ist und den Schlüssel natürlich mitgenommen hat. Er ist ja für das Inventar verantwortlich. Sehr häufig kommt es vor, daß Reisende in einem solchen Fall, wenn sie nicht Handgepäck zurücklassen wollen, den gleich darauf ohne den Schlafwagen abgehenden Zug versäumen müssen.

Einen sehr komischen Zwischenfall hatte ich in einem solchen Waggon. Da ich die Bahn von früh Morgens benutzt, sicherte ich mir gleich eines der unteren Betten und konnte nun mit Ruhe zusehen, wie sich der Salonwagen allmählich füllte. Unmittelbar nach dem Abendessen, wo der Zug an einem kleinen Städtchen gehalten, kam aber der Conducteur oder mayor domo, wie er, glaub’ ich, genannt wird, zu mir und bat mich, ob ich nicht mein unteres Bett einer Lady abtreten wolle, die eben mit ihrem Gemahl und einem kleinen Kind „an Bord“ gekommen sei. Ich könne ja dann das obere nehmen, das letzte, was unbesetzt war.

Gern that ich’s nicht, aber was wollte ich machen? In das obere konnte eine Dame allerdings nicht gut hineinklettern, und so gab ich achselzuckend meine Einwilligung und trat dann noch etwa eine Stunde hinaus auf den Vorbau des Waggons, um dort in freier Luft – im Inneren war es natürlich nicht gestattet – eine Cigarre oder auch zwei zu rauchen, denn der scharfe Luftzug bläst sie zu schnell weg.

Es mochte halb zehn Uhr sein, als ich endlich zu Bett ging; der Raum war durch verschiedene Lampen genügend erhellt, und ich suchte auch so wenig als möglich den unteren Theil der Gardinen zu öffnen, obgleich dies mit einiger Schwierigkeit verbunden war, da ich oben dazwischen durch mußte.

Meine Einquartierung, die ich aber noch gar nicht zu Gesicht bekommen, hatte es sich schon bequem gemacht. Oben an der Messingquerstange, vor meinem Bett, hing erstlich ein grauer, niedriger Männerhut, ein Kinderhut mit einem ganzen Gewächshaus darauf und ein runder, einfacher Damenstrohhut, nur mit einer einzelnen rothen Rose und zwei sehr langen, blauseidenen Bändern geschmückt, die gerade an der Coje herunterhingen.

Da war nicht viel zu machen; ich arbeitete mich, so gut es gehen wollte, an dem Hutlager vorüber, auf meinen Platz und war nur froh, daß der mayor domo die oberen Fenster geöffnet und dadurch eine angenehme und frische Zugluft erzeugt hatte, ich würde es sonst in der Hitze gar nicht ausgehalten haben. Ich schlief auch bald sanft und süß ein. Da wurde ich plötzlich – wie ich später erfuhr, schon dicht vor Tagesanbruch, wie ich aber damals glaubte, noch mitten in der Nacht – geweckt, und als ich erstaunt aufsah – denn ich war natürlich noch halb im Schlaf – erblickte ich bei der ziemlich hellen Beleuchtung der uns nächsten Lampe einen wildfremden Menschen, der mit den Augen gerade über den Bettrand guckte, und eine tiefe Stimme frug mich:

„Wissen Sie nicht, wo meiner Frau ihr Hut ist?“

„Meiner Frau ihr Hut –?“ Ich muß ein furchtbar dummes Gesicht gemacht haben, denn der Mann wartete einen Augenblick, und als er keine Antwort bekam, änderte er seine Frage und sagte:

„Haben Sie hier, als Sie zu Bett gingen, keinen Damenhut hängen sehen?“

Ich erinnerte mich jetzt, denn ich wußte im ersten Moment gar nicht, wo ich war, noch viel weniger, was man von mir wolle.

„Ja wohl,“ sagte ich, „ich glaube, es hing einer da draußen mit langen blauen Bändern.“

„Aber er hängt nicht mehr hier –“

Ich wurde jetzt ordentlich wach und damit ärgerlich. Was zum Henker ging mich denn der Hut an, daß ich deshalb aus dem besten Schlaf geweckt wurde?

„Mir hat Niemand ’was zum Aufheben gegeben, er wird hinunter gefallen sein,“ sagte ich mürrisch.

Der Mann hatte bis dahin gerade bis zur Nasenspitze an das Bettbrett gereicht. Jetzt hob er sich plötzlich mit den Händen höher empor und rief entsetzt aus:

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 520. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_520.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)