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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

geschieht solches gewöhnlich haufenweise und zwar in zwei Reihen in folgender Ordnung: in der Regel geht der größte, welches ein Rogener zu sein pflegt, voran; auf diesen folgen in einer Entfernung von einer Elle zwei andere, und in dieser Ordnung geht der Zug weiter fort, so daß, wenn er z. B. aus einunddreißig Stück bestände, sich auf jeder Seite fünfzehn befinden würden. Wenn diese Ordnung durch einen Wasserfall, eine Holzflöße oder auch nur durch ein Geräusch unterbrochen wird, so stellen sie die Ordnung, nachdem die Hindernisse aus dem Wege geräumt sind, wieder her; stoßen sie aber auf ein Netz, so machen sie sämmtlich Halt. Einige suchen dann einen Weg unterhalb oder an den Seiten dem Netze vorbei, und sobald einer die Bahn gefunden hat, folgen die übrigen nach und setzen die Reise in der erwähnten Ordnung fort. Diese Züge sind zuweilen so stark, daß sie durch vereinte Kräfte das aufgestellte Netz zerreißen und dann weitergehen. Stellt sich dem Lachs auf seinem Zuge ein Zaun entgegen, so springt er, nachdem er sich vorher ausgeruht hat, über denselben hinweg. Das aber macht er so: er beißt sich in den Schwanz[1] und bildet auf diese Weise einen Cirkel. Dann schnellt er plötzlich den Körper gewaltsam wieder in seine gerade Lage zurück und indem er mit großer Gewalt auf das Wasser schlägt, prallt er dergestalt davon ab, daß er fünf bis sechs Fuß hoch in die Höhe springt. Auch kleine Wasserfälle überspringt er auf diese Weise und ist er oben angekommen, so schlägt er mit dem Schwanz gleichsam zum Zeichen seines Vergnügens und geht dann weiter. Es trägt sich manchmal zu, daß er bei einem hohen Wasserfall wieder zurückfällt, jedoch wiederholt er nach einer kurzen Ruhepause sein Glück auf’s Neue bis er entweder seinen Endzweck erreicht hat, oder die Unmöglichkeit herüberzukommen einsieht und alsdann zurückgeht. Ist der Sprung dem Anführer geglückt, so folgen alle übrigen nach und alle Zeit fallen sie auf die Seite, indem sie den Kopf, um ihn zu schonen, in die Höhe halten.“ Auch von der mit dem Lachs zu derselben Familie gehörenden Forelle wird berichtet, daß sie mit unbegreiflicher Geschicklichkeit bei ihrer Stromaufwanderung die stärksten Stromschnellen und Stürze überwindet; ein Beobachter sah, wie dieser Fisch über ein stehendes Mühlrad von Schaufel zu Schaufel emporsprang und endlich hinauf in’s hohe Wasser kam.

Noch weil eigenthümlicher und wunderbarer aber sind die Wanderungen der Aale. Unser Flußaal, dieser allgemein bekannte Fisch, der allein in Berlin z. B. tagtäglich zu Tausenden auf den Markt kommt, ist seit Aristoteles bis auf den heutigen Tag für den Naturforscher noch in vieler Beziehung ein Räthsel geblieben. Interessant ist, was wir von ihm wissen, und noch merkwürdiger, was wir von ihm nicht wissen. Wir wissen noch heute nicht, woher er kommt und wohin er geht; man hat erst ein einziges Mal einen weiblichen Aal mit wohlentwickeltem Rogen gefunden und noch nie einen männlichen Aal entdeckt. Der Streit über die Entwickelungsgeschichte der Aale zieht sich mit allen daran geknüpften Fabeln, von denen die durch Aristoteles selbst angeregte, daß der Aal durch Urzeugung aus dem Schlamm entstünde, die bekannteste ist, wie eine Seeschlange durch die ganze Geschichte der Zoologie bis in die neueste Zeit hinein. Erst seit dem Jahre 1838 wissen wir durch die Untersuchungen von Heinrich Rathke[2] wenigstens so viel, daß die Aale gleich den übrigen Fischen wirklich Eierstöcke besitzen, aus denen sie ihre Brut erzeugen. Wie dies aber geschieht und wie das gänzliche Fehlen der Männchen damit in Einklang zu bringen ist, liegt für uns noch völlig im Dunkeln.

Was wir sonst von der Lebensgeschichte des Aales wissen, hängt mit seinen Wanderungen zusammen und ist kurz Folgendes: Während uns von sehr vielen Fischen bekannt ist, daß sie, um zu laichen, aus dem Meere die Flüsse hinaufgehen und daß alsdann später ihre junge Brut die Flüsse wieder hinab in’s Meer steigt, findet beim Aal gerade das Umgekehrte statt. Zur Herbsteszeit sieht man nämlich an den Mündungen der Ströme die großen ausgewachsenen Aale in oft ungeheuren Schaaren aus den Flüssen in’s Meer hinauswandern. Es findet diese Wanderung gewöhnlich nur bei stürmischer regnerischer Witterung und des Nachts statt; am Tage halten sich die Aale auf dem Grunde im Schlamme verborgen. Diese Auswanderung der erwachsenen Aale, von den Italienern die „Calata“ genannt, wird, da sie den Fischern bereits seit Jahrhunderten bekannt ist, überall an den Strommündungen unter besonderen Vorkehrungen zum Aalfang benutzt. Spallanzani, ein berühmter italienischer Naturforscher des vorigen Jahrhunderts, erzählt, daß in den Lagunen von Comaccio während einer einzigen solchen Wandernacht mehrere hundert Centner Aale gefangen wurden. Von demselben Beobachter wurde an dem genannten Orte während dreier aufeinander folgender Jahre diese „Calata“ benutzt, um sich über die Geschlechtsverhältnisse der Aale näheren Aufschluß zu verschaffen, ohne daß es ihm indeß gelungen wäre, den berühmten Streit über die Fortpflanzungsweise der Aale auch nur um einen Schritt der Entscheidung näher zu bringen.

Daß die so in’s Meer gewanderten Aale wirklich im Meere laichen, darüber kann kein Zweifel sein, da ihr Fortpflanzungsproduct, die junge Aalbrut, in dem darauf folgenden Frühjahr zu Milliarden aus dem Meere hinaus- und in die Mündungen der süßen Gewässer eintritt. Diese Wanderung der jungen Aale nun, deren Größe um diese Zeit etwa der eines zwei Zoll langen dünnen Bindfadens gleichkommt, die Flüsse hinauf, bis in die vom Meere oft Hunderte von Meilen entfernten Bäche, Seen und Teiche hinein, bildet eine der wunderbarsten Erscheinungen, die man in dem Leben der Fische und der Thiere überhaupt kennt.

Karl Vogt erzählt, daß in Frankreich diese jungen Aale bei ihrer Wanderung in den Flüssen oft compacte Massen bilden, die man mit Sieben und Bottichen ausschöpft und gewöhnlich, so wie sie sind, mit Eiern als Pfannkuchen gebacken verspeist. Ein französischer Beobachter berichtet, daß ein solcher Zug oft fünfzehn Tage lang, ohne eine Unterbrechung zu zeigen, die Rhone hinaufgezogen sei. Diese kleinen unscheinbaren Thierchen überwinden bei dieser Wanderung die erstaunlichsten Hindernisse. Der Engländer Davy meldet von einer in Irland beobachteten Aalbrutwanderung Folgendes: „Ich befand mich gegen Ende Juli zu Ballyshannon an der Mündung des Flusses, der die ganzen vorigen Monate her hohes Wasser gehabt hatte. Da, wo er seinen Fall macht, war er ganz schwarz von Millionen kleiner, etwa fingerlanger Aale, die fortwährend den nassen Felsen an den Ufern des Wasserfalls zu erklimmen suchten. Sie kamen dabei zu Tausenden um, aber die feuchten, schlüpfrigen Körper der Todten dienten den übrigen gleichsam zur Leiter, um ihren Weg fortzusetzen; ich sah sie sogar senkrechte Felsen erklimmen; sie wanden sich durch das feuchte Moos oder hielten sich an die Körper anderer an, die bei dem Versuche ihren Tod gefunden hatten. Ihre Ausdauer war so groß, daß sie in ungeheuren Mengen ihren Weg bis zum Loch Erne erzwangen.“

Bemerken wir zu diesem wunderbaren Wanderungstrieb noch, daß auf dieselbe Weise diese jungen Aale bei ihrer Flußaufwanderung sogar den mächtigen Rheinfall bei Schaffhausen zu überwinden vermögen und so in den Bodensee gelangen; ferner, daß die alten in’s Meer gewanderten Aale niemals in die Flüsse zurückkehren und es gleichwohl noch nicht gelungen ist, einen derselben im Meere wieder aufzufangen, so daß wir gar nicht wissen, was aus ihnen wird, und fügen wir endlich noch die Thatsache hinzu, daß in dem ganzen Gebiet der Donau mit allen ihren Nebenflüssen kein einziger Aal angetroffen wird,[3] während in allen, oft ganz dicht benachbarten Seen und Flüssen, die mit den Strömen der Nord- und Ostsee in Verbindung stehen, Aale zu Tausenden gefangen werden: so sind das gewiß eine solche Menge von Räthseln in der Lebensgeschichte eines einzigen und noch dazu so bekannten Thieres, daß ihre endgültige Lösung mehr als einen Naturforscher glücklich machen könnte.



  1. Diese Angabe wird von anderen Beobachtern als Erfindung verworfen. Das bloße Schnellen ihres musculösen Schwanzes, wobei die Fische sonst in ihrer Lage bleiben, muß dieselbe Wirkung hervorbringen.
  2. Rathke bestätigte nämlich durch seine Entdeckung die schon früher behauptete, aber nicht bewiesene Thatsache, daß die beiden manschettenförmigen Blätter, welche sich am ganzen Rücken der Leibeshöhle des Aales herabziehen, und bis dahin für bloße Fettschichten gehalten worden waren, die Eierstöcke dieses räthselhaften Fisches seien, indem es ihm gelang, zwischen den Fettzellen dieser Organe die eigentlichen Eier, obgleich von außerordentlicher Kleinheit, nachzuweisen.
  3. Auch der dreistachlige Stichling fehlt übrigens im Flußgebiet der Donau gänzlich.
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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 524. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_524.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)