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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

des Mordes zurück. Ich kümmerte mich nicht ferner um ihn, denn ich hatte das Meinige gethan, und er mußte das Weitere thun, um sein Schicksal zu vollenden.

Die arme Franziska war durch das erschütternde Ereigniß krankhaft aufgeregt. Sie war ja nicht mehr gesund gewesen seit jenem anderen Ereignisse in dem Garten des Gasthofs zum Bären, da sie, halb schon betrogen, ganz sich selbst betrog. Ihr Nervensystem war seitdem unheilbar zerrüttet; die Scene in der Sebastiansschlucht führte nur früher eine Krisis herbei, die unausbleiblich war, und verkürzte somit die Leiden der Unglücklichen.“

„Sie wollen,“ bemerkte der Geheimerath, „auf solche Weise Ihr Gewissen beschwichtigen?“

„Hm,“ versetzte der buckelige Advocat, „wenn ich ein Gewissen hätte, es bedürfte solcher Beruhigungsmittel nicht. Ich hatte mich indeß unrichtig ausgedrückt. Nicht so sehr das Ereigniß in der Schlucht selbst hatte die Krisis herbeigeführt, als vielmehr deren unmittelbare Folge. Herr von Römer, in der Wuth seiner Eifersucht, seines tödtlich gekränkten Hochmuths, seines elenden, schwachen Charakters, hatte seine Frau, als sie nach Hause zurückkehrte, brutal empfangen, gemein behandelt; in welcher Art, kann ich Ihnen nicht sagen, sie selbst hat sich nicht überwinden können, es Frau von Hake mitzutheilen. Aber die arme Frau muß eine furchtbare Nacht durchlebt haben, die ihr den Todesstoß gab, geben mußte!“

„Hatten Sie nicht auch die ihr bereitet?“ fragte der Geheimerath.

„Lassen Sie mich fortfahren, Herr Geheimerath. Am anderen Morgen ging sie zu ihrer Freundin. Frau von Hake entsetzte sich über ihren Anblick. Leichenblaß, ermüdet zum Umsinken, mit fliegenden Haaren, mit keuchendem Athem, mit fast irrem Geiste, hatte sie nur einen Gedanken, nur eine Bitte: die Freundin solle am Abend wieder mit ihr in die Sebastiansschlucht gehen; sie wolle dort auf den Sarg des Todten einen Lorbeerkranz legen, sie selbst, sie müsse es; sie müsse noch einmal Abschied nehmen von dem Manne ihres Herzens, ihrer Liebe. Die Freundin suchte es ihr auszureden. Die Unglückliche hatte ihr zugleich erzählt, daß ihr Mann bereits Verdacht gehabt habe, ihr schon am gestrigen Abende nachgegangen und Zeuge ihres letzten Beisammenseins mit dem Todten geworden, daß die fürchterliche Nacht darauf gefolgt sei. Die Frau von Hake stellte ihr vor, wie ihr Mann auch heute Abend, wenn er sie vermisse, ihr von Neuem folgen werde, wie dann nothwendig ein Unglück entstehen müsse, zu welchem sie in keiner Weise in irgend eine Beziehung treten könne. Sie redete vergebens.

,Ich habe lange genug meinen Mann gefürchtet,‘ entgegnete ihr Frau von Römer, ,jetzt habe ich nur noch Verachtung für ihn.‘

Frau von Hake erinnerte sie an das Urtheil der Welt, an ihre Kinder.

Krank an Körper, krank an Geist, war die Arme für keine Vorstellungen, für keine Bitten empfänglich.

,Ich muß hin. Begleitest Du mich nicht, so gehe ich allein.‘

Frau von Hake blieb fest; sie war es der Freundin wie ihrer eigenen Ehre schuldig. So trennten sie sich. Franziska hatte von der Stunde gesprochen, in der sie gehen werde. Als die Stunde kam, wurde es der Freundin doch angst. Sie kannte den festen Willen Franziska’s, der jetzt zudem krankhaft zähe war, und es schien ihr unrecht, die Unglückliche auf ihrem schweren Gange allein, ohne Schutz gegen einen etwaigen Unfall oder gar Ueberfall zu lassen. Berathen konnte sie sich mit Niemanden, da ihr Mann verreist war. Sie schwankte lange; zuletzt entschloß sie sich zu gehen. Freilich zu spät, denn Franziska war früher gegangen, als sie gesagt hatte.

Als Frau von Hake die Mitte der Schlucht erreicht hatte, hörte sie durch die Stille des Abends leises Sprechen einer gewaltsam unterdrückten Stimme. Es war vor ihr, oben an einer der Wände, welche die Schlucht einschließen. Sie beschleunigte ihre Schritte. Auf einer vorspringenden Felsenplatte sah sie zwei menschliche Gestalten, einen Mann und eine Frau, wie sie meinte; sie konnte sie in der Dunkelheit nicht näher unterscheiden. Eine Ahnung, ein Schreck durchfuhr sie. In dem nächsten Augenblicke vernimmt sie die unterdrückte Stimme des Herrn von Römer.

‚Elende!‘ ruft er.

In dem nämlichen Momente hört sie einen Angstschrei der Frau von Römer und zugleich sieht sie die Unglückliche oben von der Platte des zackigen Felsen niederstürzen, von Zacke zu Zacke. Der Frau von Hake vergehen die Sinne. Als sie wieder zu sich kommt, vernimmt sie unten an dem Felsen eine Bewegung; sie überzeugt sich, daß Herr von Römer dort ist. Sprechen hört sie nicht. Der Präsident muß bei der Leiche seiner Frau sein. Sie entflieht mit unhörbarem Schritt.

Ich bin mit meiner Erzählung zu Ende, Herr Geheimrath, und Sie haben die Wahl: Zufall, Selbstmord, Mord? Sie haben die Wahl! Doch bevor Sie diese treffen, noch Eins. Herr von Römer war seiner Frau nachgegangen. Auf dem Wege war ihm ein glaubhafter Mann begegnet, der Regierungsrath Amberg. Dem Mann war aufgefallen, daß der Präsident ihm anfangs hatte aus dem Wege gehen wollen, dann aber, als er sich erkannt gesehen, auf ihn zugetreten war und ihn gefragt hatte, ob er nicht seine Frau gesehen. Herr von Amberg hatte ihm gesagt, die Frau Präsidentin sei nach der Sebastiansschlucht zu gegangen. Jetzt, mein Herr Geheimrath, entscheiden Sie.“

Der alte Geheimrath versenkte sich in tiefes, schweres Nachdenken.

„Was es auch sei,“ sagte er dann, „Sie, mein Herr, tragen die schwerste Mitschuld, Sie sind der erste Schuldige. Sie wollten Herrn von Römer zum Mörder machen.“

„So denunciren Sie mich,“ rief der Buckelige. „Ja, ich wollte ihn zum Mörder machen. Es war sein Schicksal, er hatte es verdient; es mußte sich erfüllen.“

„Sie sind ein fürchterlicher Mensch!“

„Bah! Ich war nur ein Stück Repräsentation der göttlichen Gerechtigkeit hier auf Erden.“

„Durch einen Mord an meiner unschuldigen Tochter?“

„Zum –! Herr Geheimrath, macht es die göttliche Gerechtigkeit anders, besser? Werden denn nur Verbrecher gemordet? Und glauben Sie nicht an eine göttliche Vorsehung, ohne deren Willen kein Haar von unserem Haupte fallen kann? – Aber sprechen wir ernsthaft. Entschieden haben Sie sich. An einem Morde können Sie nicht mehr zweifeln, zweifeln Sie nicht mehr. Wozu haben Sie sich entschlossen?“

Der Geheimrath hatte keine Antwort.

(Fortsetzung folgt.)



Die Arbeiter der ersten deutschen Nordpolexpedition.
Von Otto Ule.

Vor einigen Wochen ging dem deutschen Volke ein Gruß vom hohen Norden mitten aus dem Eise des Grönländischen Meeres zu. Er kam von den heldenmüthigen Führern der ersten deutschen Nordpolexpedition, die im Kampfe mit den mächtigen Eismassen, durch welche sie sich Bahn zur Ostküste Grönlands zu brechen suchen, unter der hohen Breite von dreiundsiebenzig Grad durch einen englischen Walfischfänger Gelegenheit erhielten, eine Kunde an ihre Landsleute gelangen zu lassen. Es ist ein kleines, gebrechliches Fahrzeug, das diese Männer trägt, weit eher geeignet, an die Fahrzeuge zu erinnern, welche die Entdecker des fünfzehnten und sechzehnten Jahrhunderts trugen, als an die stahlgegürteten Riesenschiffe der heutigen Marinen. Und es ist eine große, eine gewaltige Aufgabe, welche dieses Fahrzeug lösen soll, wenn auch nicht geradezu den Weg zum Pole zu finden, so doch in jenes innerste Heiligthum des arktischen Nordens einzudringen, das bisher nur der ahnungsvollen Phantasie freies Spiel gewährte, in jenes geheimnißvolle Meeresbecken, welches noch immer krystallenen Mauern die wichtigsten naturwissenschaftlichen Räthsel umschließt, den astronomischen und den magnetischen Pol, die Pole der Winde und der Kälte, die Grenzen des menschlichen, thierischen und pflanzlichen Lebens.

Als dieses kleine Schiff am 24. Mai bei Bergen die Anker lichtete, da folgte wohl mancher sorgenvolle Blick seinem Kiele, und noch Mancher sieht heute in banger Spannung dem Ausgange dieses kühnen Unternehmens entgegen, dessen kleine Mittel so gar nicht im Verhältniß zur Größe seiner Aufgabe zu stehen scheinen. Die Wenigsten konnten


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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 539. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_539.jpg&oldid=- (Version vom 30.7.2017)