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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

Bettina’s Theetisch.

Als ich blutjung war, kaum sechszehn Sommer zählend, betrat ich zum ersten Mal das Arnim’sche Tusculum, jenes abgelegene, romantische Haus im Berliner Thiergarten, dessen Belétage die Bettina von Arnim, die bekannte Verfasserin von „Goethe’s Briefwechsel mit einem Kinde“, und ihre Töchter zu einer idealen Dichterwohnung umgestaltet hatten. – Es giebt ein Märchen von einem Studiosus, der bei einer alten Fee eingeführt wird, welche eine wunderlich phantastische Welt umgiebt; dem Alltagsleben fühlt er sich vollständig entrückt, sobald er die Schwelle überschritten hat, und zwischen den seltsamen Geräthschaften, Spiegeln und Gemälden wandelt. Die Fee, immer noch mit einem Nimbus umgeben, fordert von ihrem Adepten blinde Unterwürfigkeit und Bewunderung, obgleich ihre Locken bleichten, ihre Sprüche machtlos wurden, ihre „Gespräche mit Dämonen“ im Winde verklangen und die großen Geister, durch deren Umgang sie berühmt geworden, längst verstummten.

An dieses Märchen dacht’ ich, so oft es mich unwiderstehlich nach der Thee-Tafelrunde zog, wo berühmten und unberühmten Rittern des Geistes der chinesische Trank von den Töchtern des Hauses auf das Anmuthigste gereicht ward. Fast immer fühlte man sich in dieser Atmosphäre angenehm und angeregt berührt; die jungen Wirthinnen besaßen eine hinreißende Liebenswürdigkeit für ihre Gäste. Das anmuthig schalkhafte „Gethue“ von Marialla Fitchersvogel – wie die Jüngste auf dem Titelblatt ihrer Märchen sich nannte – sowie die Eleganz der pikanten Weltdame, der zweiten Tochter, waren Magnete seltener Art. Die älteste dieser interessanten Schwestern, schon seit mehreren Jahren verheiratet, war im Theezimmer nur im Bilde anwesend. Steinle aus Frankfurt hatte ihren ausdrucksvollen Kopf mit der Adlernase in einem Lorbeerkranz portraitirt; zuerst hielt ich das Bild für eine Leonore Sanvitale.

Dieser Cirkel, dessen Worten mein junges Ohr begierig lauschte, wußte dem Unbedeutendsten Reiz abzugewinnen, aber ebenso wurde das Bedeutendste ganz unbarmherzig aus Laune, aus Widerspruch und Willkür seines Reizes beraubt und lachend zu den Todten geworfen. Die Paradoxen waren vorherrschend; Achim von Arnim’s Wurzelmännchen, Onkel Clemens’ Kobolde schienen unsichtbar mit am Theetisch zu sitzen, und oft nach solch’ einem Abend parodirte ich lachend den Macbeth: „ich hab’ zu Tisch gesessen mit Gespenstern“ – jene waren freilich lieblicher Art.

Bettina’s leichthin ausgesprochene Verachtung gegen die meisten Kunst- und Dichterautoritäten aller Länder und aller Zeiten war beispiellos. Mit Ausnahme des Zeus-Goethe, dem sie einen Götzendienst weihte, schlau berechnend, daß sie durch ihn berühmt werden würde, sagte sie von den meisten classischen und modernen Dichtern: „Der kann mir gestohle werden.“ Nur Petöfi, dem Ungar, ließ sie Gerechtigkeit widerfahren. Die ganze Weltgeschichte galt ihr als „Plunder“, wie sie es schon im Briefwechsel mit der Günderode gesteht; eine Zeit, in der sie nicht existirt hatte, war ihr gleichgültig. Daß sie sich in so eigensinnigen Vorurtheilen verstricken konnte, ist eigentlich räthselhaft, da sie doch einen so großen Sinn für das Schöne und eine so lebhafte Anschauung hatte.

Oft schlugen auch Abneigung und Widerwille ganz plötzlich in Liebe und Versöhnung bei ihr um; dann aber auch wehe dem, der nicht mit geliebt, sich in ihren Widerspruch nicht gefunden hätte! Auf eine meiner nahen Verwandten, eine damals schöne junge Frau, war sie einst, vor langen Jahren, ganz unverhohlen eifersüchtig gewesen; weshalb? weil einer unser berühmten Gelehrten, mit welchem Bettina in einem überaus geistreichen Verkehr stand (kürzlich feierte derselbe seine goldene Hochzeit mit der Wissenschaft), jener schönen jungen Frau eine leidenschaftliche Verehrung zollte. Bettina konnte einen kleinen Aerger darüber nicht unterdrücken, und obgleich die junge Dame ihr ganz unbekannt war, so konnte sie nach gewohnter Weise doch nicht unterlassen, kleine boshafte Hiebe auszutheilen, so oft von jener die Rede war.

Eines Abends aber trat die Dame bei Rahel Varnhagen ein, um deren Theetisch sich der interessanteste Kreis, darunter Bettina und jener junge Professor, versammelt hatte. Ganz überrascht von der Anmuth ihrer Rivalin, betrachtete Bettina sie ein Weilchen und rief ihr dann zu: „Also, so sehe Sie aus, kleine G…le? Na, da kann ich’s dem verfluchte Kerl, dem R., nicht verdenke, daß er von mir fortgelaufe ist, wie die Laus vom todte Jude.“

Seitdem blieb sie ihr gewogen. Lange nach diesem Begegnen – Bettina war indeß fünfzig Jahre alt geworden – trifft sie die frühere Nebenbuhlerin einmal unter den Linden und redet sie mit den Worten an: „Sehe Sie mir nichts an? Ich hab’ mich soeben in eine Studente verliebt.“ Sie sprach von Philipp Nathusius, der in der Begeisterung über den „Briefwechsel mit einem Kinde“ an sie geschrieben und dann ihre Bekanntschaft gemacht hatte. An jenen Brief reihte sich die „Correspondenz zwischen Ilius Pamphilius und der Ambrosia“.

Sehr ergötzlich ist ihr erstes Begegnen mit Leopold Ranke. Der Rahel’sche Salon führte gleichfalls diese beiden Feuergeister zusammen. „Sie sind der Ranke?“ fragte Bettina, indem sie gerade anfing eine Weintraube zu essen; „komme Sie und essen’s mit mir die Traub,“ worauf Ranke die „Traub“ mit aufessen half. Nach beendeter Soirée begleitete der neue Bekannte die berühmte Frau nach Hause, alsdann brachte sie ihn wieder den ganzen Weg zurück, darauf wiederum er die Bettina bis zu ihrer Wohnung, sie wieder den Ranke bis zu der seinigen, und so bis zur Morgendämmerung. „Dabei haben wir die schönsten Dinge gesprochen, die uns je die Begeisterung eingegeben,“ gestanden Beide in Rückerinnerung der originellen Nachtpromenade.

Auch mit Fürst Pückler-Muskau traf Bettina bei Rahel zusammen. Wir wissen, daß diese beiden außergewöhnlichen Persönlichkeiten viel miteinander verkehrten, correspondirten, sich gegenseitig anzogen und ebenso oft abstießen, mit ihren Gedanken ein kühnes Federballspiel trieben, oft Jahre lang sich ignorirten, dann wieder den alten Ton neckischen Humors, dithyrambischer Ergüsse anstimmten und somit trotz alledem befreundet blieben. Der scharfsinnige, geistreiche „Verstorbene“ nannte sie Orlanda und verstand darunter „rasende Orlanda“, da sie rastlos, immer athemlos, immer stürmisch aufgeregt war. Sie beklagte sich anfangs fortwährend über den undankbaren Pückler, der selbstständiger blieb, als sie es gewöhnt war, „er glitte ihr unter den Händen fort, es wäre kein Verlaß auf ihn“. Nach dem lebendigsten Verkehr, den Beide während ihrer ersten Bekanntschaft gehabt, verließ Fürst Pückler Berlin, und Bettina erzählt von dem Abschied: „Gestern Abend kommt der verfluchte Kerl, der Pückler, und macht mir weis, er würde bis ein Uhr bleibe, dann habe er den Wagen bestellt; gleich darauf aber fährt die Kutsch vor, und er sagt, er müsse abreisen. Und ich hatte ihm eben nur noch die schönste Anekdote von Goethe erzählt und ihm zwölf nackte Figure von meine Zeichnunge geschenkt! Da lacht’ ich ihm denn in’s Gesicht und sagte ihm, sonst würde ich bei seinem Abschied geweint haben.“

Beide zusammen zu sehen, war ebenso interessant, als sie zu hören. Glich sie in ihrem nachlässigen schwarzen Gewande einer nordischen Sibylle, so war er immer noch der vollendete Salonherr, der sich, wie sonst, mit feiner Koketterie zu kleiden verstand und dessen graciös ungezwungene Bewegungen ihn bedeutend jünger erscheinen ließen, als er war. Noch war er nicht, wie jetzt, seinem Aeußern nach, ein schöner orientalischer Magier mit silberweißem Bart, doch viel milder war er bereits geworden, der sonst gefürchtete, sarkastische Grandseigneur; von seinen Lippen floß echte, humane Weisheit bei jovialster Lebensanschauung, während Bettina launischer, unnahbarer, wortkarger geworden war. Der Maler Wilhelm Hensel, der sich seiner höchst interessanten Albums wegen scherzhaft den Albummler nannte, zeichnete damals den Fürsten und seine Gönnerin. Beide Portraits sind ganz vortrefflich, besonders charakteristisch die nornenhafte Bettina. Sie schrieb unter ihre Zeichnung: „Anführer sei mir stets ein Gott und nie ein Mensch.“ Pückler unterzeichnete mit den Worten: „Vorwärts durch das Leben, vorwärts durch den Tod, und daher Beides jederzeit willkommen.“ Glücklicher Weise zog bis jetzt Asrael, der Todesengel, an dem vierundachtzigjährigen merkwürdigen Manne vorüber. Einst erzählte er, Graf Saint Germain habe ihn als ganz kleinen Knaben in Muskau gesehen und ihm ein sehr langes Leben prophezeit.

Welch’ eine Meinung Bettina selbst und auch die Ihrigen von der Weltberühmtheit und dem politischen Einfluß der Mutter hatten, beweist folgendes Geschichtchen.

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 552. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_552.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)