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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

nicht unter den schwersten Leiden und Qualen den kranken Körper bald aufgerieben, oder gar ihren Geist mit dem Schrecken des Wahnsinns umdunkeln müssen? Der Tod, den sie gefunden hat, war eine Wohlthat für sie, er war zugleich in derselben Weise, und vielleicht noch mehr, eine Wohlthat für ihre Kinder. Und was diese Kinder ferner betrifft, dem Vater gegenüber, den übrigens zu seiner That wahrlich nicht das Bedürfniß, irgend Jemand eine Wohlthat zu erzeigen, sondern die gemeinste Gesinnung des Hasses und der Rache antrieb, so, mein Herr, bedenken Sie nur das Eine, die Kinder erführen oder erhielten auch nur eine Ahnung davon, daß ihr Vater der Mörder ihrer Mutter sei! Und wie leicht kann ein einziges unbedachtes, unvorsichtiges Wort es ihnen verrathen! Setzen Sie einmal den Fall, ich träte über kurz oder lang vor sie und sagte ihnen: ,Eure Mutter ist nicht durch einen unglücklichen Zufall um’s Leben gekommen, sondern durch die Hand eines elenden Mörders, und dieser Elende war Euer Vater!‘“

„Sie wären im Stande dazu,“ sagte der Geheimerath.

„Nein!“ versetzte der Buckelige kurz und kalt. „Aber,“ fuhr er dann fort, „Sie, Herr Geheimerath, sind ein Mann von Herz und Ehre. Gestatten beide es Ihnen, Ihre Enkel in den Händen des Mörders Ihrer Tochter zu lassen? Und unter welchem Vorwande wollen Sie dem Vater die Kinder, und gar den Kindern den Vater entziehen? Sie müßten, namentlich den Kindern gegenüber, zu einer Lüge sich hergeben.“

Der Geheimerath war unruhig geworden; er mußte aufstehen und im Zimmer umhergehen. Der Buckelige verfolgte ihn mit seinen listigen Blicken.

„Sie haben Ihre Kräfte wieder, Herr Geheimerath,“ sagte er.

„Das Sitzen ist Ihnen kein Bedürfniß mehr; so werden Sie auch die Kraft zu einem Entschlusse haben. Erlauben Sie, daß ich mich Ihnen empfehle.“

„Ein Wort noch, mein Herr,“ hielt ihn der Geheimerath zurück, „was wollen Sie thun?“

„Nichts, bis ich Ihren Entschluß kenne.“

„Und dann? Was haben Sie für den einen oder den anderen Fall vor?“

„Ich weiß es noch nicht.“

Der Geheimerath verbeugte sich und der Buckelige ging. Aber er hatte nur mit einem stillen Vorbehalt gesagt, daß er vor der Hand nichts thun wolle. Als er das Zimmer des Geheimeraths verlassen hatte, suchte er den Bedienten des Hauses auf.

„Melden Sie mich bei dem Herrn Präsidenten, gleichfalls in einer dringenden Angelegenheit.“

Der Buckelige mußte lange warten, bis der Diener zurückkam. Dieser öffnete ihm dann schweigend die Thür, und der Buckelige trat ein. Der Präsident stand in der Mitte des Zimmers und erwartete ihn, vornehm, kalt, fremd, wie ein hoher Beamter, der Audienz ertheilt.

„Du hast mich lange warten lassen,“ sagte der Advocat zu ihm. „Du warst wohl zweifelhaft, ob Du mich annehmen sollest? Die Furcht vor mir entschied; ich habe Dich in meiner Gewalt.“

Der Präsident verzog keine Miene.

„Was willst Du von mir?“ fragte er, ganz so kalt und vornehm, wie er da stand.

„Ich komme von Deinem Schwiegervater,“ antwortete der Buckelige.

Der Präsident entfärbte sich.

„Hättest Du vielleicht einen Auftrag von ihm?“ fragte er höhnisch.

„So ist es. Wir sind Beide übereingekommen, daß Deine Frau ermordet ist und daß Du ihr Mörder bist.“

„Elender!“ wollte der Präsident auffahren, aber das Wort erstarrte ihm auf den Lippen.

„Sprich es ganz aus,“ sagte der Kleine. „Es ist in diesen Tagen oft aus Deinem Munde gekommen, gegen Dein armes Opfer.“

Der Präsident suchte sich zu fassen, doch gelang ihm dies nur halb.

„Hast Du mir sonst noch etwas zu sagen?“ fragte er.

„Hm, ja,“ erwiderte der Buckelige. „Ich will Dein Geständniß, daß Du der Mörder bist.“

„Du hast Dich vergebens zu mir bemüht, Freund Sebastian Brand.“

„Ich denke nicht, denn ich habe Dich in meiner Gewalt.“

„Durch die jämmerlichen Drohungen mit Deiner sentimentalen Cousine? Es ist lächerlich, mehr als lächerlich. Aus Furcht vor dem Eclat einer alltäglichen Liebesgeschichte soll ich einen Mord auf mich nehmen!“

„Du bist im Irrthum, Freund Römer,“ sagte der Buckelige. „Die Drohungen mit meiner Cousine waren nur Scherz. Sie ist längst eine glücklich verheirathete Frau. Solche weiche Herzen sind wie knarrende Wagen: sie halten sich am längsten; zerbrechen ist ihre Sache nicht. Ich würde nur ihr Glück zerbrechen, wenn ich Deine Niederträchtigkeit gegen sie proclamirte.“

Der Präsident hatte seine Fassung wiedergewonnen; er konnte wenigstens die Miene annehmen, als sei es so.

„Ich denke,“ sagte er, „Du verlässest jetzt mein Haus, damit ich nicht gezwungen werde, Dich durch die Domestiken hinauswerfen zu lassen.“

„Alle Wetter,“ lachte der Kleine, „ich würde mit Polizei und Gensd’armen zurückkommen, um Dich zum Criminalgefängniß abführen zu lassen.“

Der Präsident mußte zum zweiten Male erblassen, trotz des Lachens des Kleinen, vielleicht gerade deshalb; er kannte ja seinen buckeligen Freund, den sie schon auf der Universität den Teufel geheißen und der ihm geschworen hatte, sein Teufel zu werden.

„Versuche es,“ nahm er sich zusammen.

„Ich sehe noch keine Domestiken hier,“ versetzte der Buckelige ruhig, „und so kann ich ja auf meine Bitte, oder eigentlich auf mein Verlangen, zurückkommen. Nun, wirst Du mir eingestehen, daß Du Deine Frau ermordet hast?“

„Du bist ein Narr, – ein Schurke, – ein Satan, – ein Wahnsinniger!“ rief in steigender Wuth der Präsident.

Es giebt auch eine Wuth der Angst, sie steigt und wächst mit dieser eine Zeit lang.

„Sprechen wir vernünftig, Freund Römer,“ sagte der Buckelige.

„Dein Geständniß muß ich haben, darum bin ich hergekommen, und kommst Du nicht willig damit heraus, so brauch’ ich Gewalt – ich gehe zum Criminalgericht. Aber damit Du hinterher nicht sagen kannst, Du seiest überrumpelt, so erkläre ich Dir, daß, wenn ich Dein Geständniß habe, mir der Weg zum Gericht auch noch offen steht. Also, wirst Du bekennen, daß Du der Mörder Deiner Frau bist?“

„Willst Du mich zwingen, Dich hinauswerfen zu lassen?“ fragte der Präsident zurück.

„Nicht sogleich,“ sagte der Buckelige. „Du warst sonst für Gründe empfänglich, höre sie auch heute an.“

Der Präsident besann sich.

„Sprich!“ sagte er.

„Setzen wir uns,“ sagte mit seinem listigen Blick der Kleine.

„Nimm Dir einen Stuhl.“

„Ah, Dir fehlt wohl die Ruhe zum Sitzen? Ja, das Gewissen! Nun, ich kann stehen, und an Dich wird das Sitzen schon kommen, wenn auch ohne die Ruhe. So höre mir zu. Deine Frau ist am Dienstag Abend plötzlich gestorben, durch einen Fall, oder durch einen Sturz von dem Nadelfelsen in der Sebastiansschlucht. Du hast gesagt, durch einen Fall, Du hast keine weiteren Beweise dafür, als eben Deine nackte Behauptung. Dafür aber, daß sie von Dir, und zwar vorsätzlich und gar mit Vorbedacht, hinuntergestürzt ist, sprechen folgende Beweise. Ich hatte Dich am Montag, am Abend vor der That, an jenes Sterbelager geführt und Dich zum Augenzeugen gemacht von dem Abschiede, den Deine Frau von dem sterbenden Geliebten nahm. Du hattest so die erforderliche Portion von Eifersucht, Haß, Rache, Zorn und Wuth in Dich aufgenommen, um den Mord zu begehen. Ich bezeuge damit das Motiv zur That. Du lachst höhnisch dazu? Darüber, daß ich als Zeuge gegen Dich auftreten werde? Es sind noch andere Zeugen da.“

Der Präsident konnte in der That noch einmal lachen.

„Deine Anwesenheit am Orte der That,“ fuhr der Buckelige fort, „hast Du eingeräumt; sie verdächtigt Dich in sofern nicht. Um so mehr verdächtig wird sie dadurch, daß Du sie hattest verbergen wollen, und erst, als Dir dies mißglückte, gezwungen sie zugestandest. Du warst Deiner Frau heimlich gefolgt und hattest Wege eingeschlagen, die damals menschenleer waren. Nur ein einziger Mensch begegnete Dir. Du suchtest Dich vor ihm zu verbergen, doch es war zu spät. Als Du gewahrtest, daß er Dich gesehen hatte,

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 558. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_558.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)