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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

meist in Fangeisen habhaft zu werden. Außerordentlich gewandt im Klettern und Springen, stürzt sie sich von den höchsten Bäumen auf ihre Beute – Eichhörnchen, Wildgeflügel, Hasen, ja selbst ältere Rehe – herab, schlägt ihre Fänge dem erkorenen Opfer in’s Genick und zerbeißt ihm mit scharfem Zahne das Rückgrat. – Die Sonne ist bereits hinter dem Hügelkamm verschwunden, nur die höchsten Tannenwipfel des Kahlenberges erglühen noch im röthlichen Licht, da sehe ich drüben, jenseits der Delle, ein kleines rauchhaariges Geschöpf langsam, wie kreuzlahm, zwischen den Steinen herumkriechen, um im nächsten Augenblicke wieder zu verschwinden. Unten im Thal läßt sich das anhaltende, verrätherische Geschrei eines Hehers vernehmen, er muß ein Raubthier – wahrscheinlich die alte Wildkatze – bemerkt haben. Dann ist wieder Alles still. Vergebens spähe ich lange die ganze Fläche auf und ab, endlich zeigt sich weiter oben, außer Flintenschußweite, ein beweglicher, dunkler Klumpen. Mit Hülfe meines Fernglases erkenne ich deutlich die alte Wildkatze, welche sich mit zwei bis drei jungen Kätzchen spielend herumbalgt und ihnen den zugetragenen Raub – ein junges Eichhörnchen – scherzend vorenthält.

Wäre ich allein gewesen, so würde ich sofort versucht haben, die alte Katze durch Nachahmung des Mäusepfeifens heran zu locken. Allein der alte Curt war ein Meister im „Reizen“, und da er die Katzen von seinem Stande jedenfalls bemerkt haben mußte, so wollte ich ihm nicht vorgreifen und hoffte von Secunde zu Secunde seine berühmte „Hasenquäke“ oder das unvergleichliche „Vogelgeschwirr“ erschallen zu hören. Aber Curt rührte sich nicht, und feierliche Stille herrschte nach wie vor in der Steinwüste.

Horch! – was war das? – singt dort oben Jemand? – Ja, wahrhaftig! jetzt schallt es in leisen langgezogenen Tönen, allmählich zum Forte übergehend, von dem Kahlenberge herunter:

„Fordre Niemand mein Schicksal zu hören!“ etc.

Die ganze Katzengesellschaft war natürlich im Handumdrehen verschwunden; noch einmal tauchte die Alte für einen Moment zwischen dem Geröll lauschend hervor – da krachte des Revierförsters Büchsflinte, allein die Kugel schlug klatschend auf einen Stein. Verdrießlich brummend warf er das Gewehr über die Schulter und ging heimwärts. Ich folgte, um nicht Zeuge der Scene zu sein, welche sich alsbald zwischen dem alten Curt und seinem Sohne – denn dieser war der unglückliche Sänger – entspinnen mußte.

Ich übernachtete im Forsthause, mein Vorschlag jedoch, am nächsten Morgen den Anstand an einem andern Punkte des Kahlenberges zu wiederholen, fand keinen Anklang. Der Revierförster meinte, es sei ein halsbrechendes Unternehmen, den Berg im Dunkeln vor Sonnenaufgang hinunter zu klettern. So wanderte ich denn nach dem Frühstück, da ich eben nichts Besseres zu thun wußte, mit Curt hinaus, um nach dem Eisen zu sehen, welches er gestern Abend noch auf den Hauptpaß eines alten Fuchsbaues gelegt hatte. Er war fest überzeugt, daß die Katzen sich dorthin geflüchtet hatten und daß wenigstens eine von ihnen sich gefangen haben würde.

Der erwähnte Bau war an einem steil abfüllenden Hange belegen; Curt kletterte zuerst hinunter und verkündete bald mit triumphierender Stimme, daß das Eisen tief in die Hauptröhre hineingezogen sei und hier so fest wie eingemauert sitze. – Der unvermeidliche Heinrich eilte nun schleunigst hinzu und stellte sich nach Anweisung des alten Curt schlagfertig mit gehobenem Knittel auf, um die Wildkatze beim ersten Erscheinen sofort unschädlich zu machen.

Der Alte zog aus Leibeskräften, endlich konnte er die Schlagfeder des Eisens ergreifen – noch ein Ruck – da fuhr neben dem Eisen die zornige Katze hervor – nieder sauste Heinrich’s Knittel und quetschte – die beiden Fäuste des alten Curt! Das Eisen loslassend, schlug dieser mit einem unterdrückten Schmerzensschrei hintenüber und kollerte, Eisen und Katze hinterdrein, den abschüssigen Hang hinunter. Alle Drei verschwanden unten im dichten Erlengebüsche. Als ich, mühsam von Stamm zu Stamm kletternd und rutschend, endlich unten angelangt war, fand ich zunächst das leere Tellereisen! Es war zwischen zwei Erlenstämmchen hängen geblieben, und die Wildkatze hatte sich aus der Klemme gerissen, ehe Curt sich wieder aufraffen konnte. Vergebens suchte ich das nächste Terrain ab – die Katze war verschwunden. Als ich zurückkehrte, saß der alte Curt noch immer am Graben und kühlte seine zerschundenen Hände im Wasser. Neben ihm lag der Jagdranzen, aus welchem er in regelmäßigen Pausen eine Branntweinflasche hervor langte und nebenbei seinen „Heinrich“ verfluchte. Dieser hatte es für’s Gerathenste gehalten, mit dem Alten heut’ gar nicht in nähere Berührung zu kommen, und war still nach Hause gewandert.

Die Katzen mußten diese unfreundliche Behandlung ebenfalls übel aufgenommen haben, sie wurden nicht wieder am Kahlenberge gesehen und waren jedenfalls über die Grenze in ein benachbartes Revier gewechselt. In späterer Zeit meldete mir indeß der Revierförster beiläufig, daß im Laufe des folgenden Winters nach und nach vier Katzen im Revier geschossen und gefangen seien, darunter ein kolossales weibliches Exemplar mit Spuren einer früheren Verletzung am linken Hinterlauf. Curt habe dieselbe sofort als „die Seinige“ angesprochen.




Der Reformator der Erziehungslehre.

Von Gustav Steinacker.
(Schluß.)

Im Jahre 1800 wurde Pestalozzi von der helvetischen Regierung das damals freistehende Schloß zu Burgdorf am Eingang des Emmenthals eingeräumt; hier begründete er mit mehreren jungen Lehrern zunächst seine Erziehungsanstalt, der bald von allen Seiten Zöglinge zuflössen. Mit seinen Gehülfen lehrte hier Pestalozzi nicht aus Büchern, sondern aus den in ihnen selbst erzeugten Bildungs- und Lehrmitteln. Ihr großes, immer offenes Buch war die sie umgebende Natur und der im Menschen waltende, in Sprache, Zahl und Form sich offenbarende Geist. Später erst entstanden aus den durch solchen Unterricht gesammelten Grundsätzen und Erfahrungen die ersten Versuche einer Anschauungslehre der Sprache, der Zahl und des Raumes (der Form und Größe) in den ersten Pestalozzi’schen Anschauungstabellen und Elementarbüchern.

Ueber die Anwendung dieser Grundsätze giebt ein mit eines Lehrers Hülfe auf dem Schlosse zu Burgdorf geschriebenes Buch Pestalozzi’s „Wie Gertrud ihre Kinder lehrt“ nähere Auskunft, sowie das 1803 erschienene „Buch der Mütter“. Das erstere namentlich ist ein Geisteskind, welches, obwohl ganz anders geartet, als das Buch „Lienhard und Gertrud“, doch als Volksbuch in gewisser Hinsicht ein Seitenstück zu diesem bildet. Es enthält eine am Neujahrstag 1801 begonnene Reihe von Briefen an seinen Freund Geßner in Bern, in denen er die Kunst der Veredlung des Volkes in die Hand der Mütter legen und den Versuch machen wollte, diesen Anleitung zu geben, wie sie ihre Kinder selber lehren könnten. Denn in der That galt ihm sein jetziges Erziehungshaus, wie alle Erziehungsanstalten überhaupt, nur als Nothbehelf für die mangelnde Erziehung des Elternhauses.

In seinem Hause war auch wirklich Pestalozzi die belebende Seele. Alle Glieder desselben standen ihm gleich nahe. Nicht blos die Kinder, auch die Lehrer nannten ihn Vater und hörten aus seinem Munde das trauliche Du. Mit frohem Gesicht und offenster Freundlichkeit gegen Jeden wandelte er in seinen guten Stunden im Hause, in den Lehrzimmern unter der fröhlich thätigen Jugend umher, mit Diesem oder Jenem ein paar Blicke oder Worte wechselnd. Er trat während der Unterrichtszeit bald in die eine, bald in die andere Classe auf einige Augenblicke ein, ohne sich übrigens lange darin aufzuhalten, denn er wußte, daß er seinen Gehülfen vertrauen konnte, die seine Freunde waren.

Nach dem Abtreten der helvetischen Regierung beschloß jedoch der

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 566. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_566.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)