Seite:Die Gartenlaube (1868) 571.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

Secunden erreichte. Allerdings würde diese Dauer trotz der günstigen Stellung der drei Himmelskörper doch nicht ganz erreicht worden sein, wenn nicht ein anderer wichtiger Umstand hinzugekommen wäre, wenn nämlich nicht der Schattenkegel des Mondes gerade über einen Erdgürtel hingestrichen wäre, der in unmittelbarer Nähe des Aequators liegt. Einmal wurde dadurch, wenigstens für diejenigen Orte, an welchen die Finsterniß um Mittag stattfand, die Entfernung des Mondes von dem Beobachter abermals nicht unbeträchtlich verringert und damit sein scheinbarer Durchmesser vergrößert. Sodann aber wurde die Dauer der Finsterniß auch insofern verlängert, als der Schattenkegel des Mondes hier auf Punkte der Erdoberfläche traf, welche die größte Umdrehungsgeschwindigkeit besitzen und daher auch am schnellsten dem vorüberziehenden Mondschatten nacheilen können. Endlich aber erlangt der Umstand, daß die Zone der totalen Finsterniß in die Nähe des Aequators fällt, auch dadurch noch eine ganz besondere Wichtigkeit, daß der Raum, innerhalb dessen das Ereigniß beobachtet werden konnte, eine ungewöhnliche Ausdehnung erlangt. Dieser Raum beträgt nicht weniger als zweitausend Meilen in der Länge und etwa dreißig Meilen in der Breite und umfaßt überdies Landstriche, die für den Astronomen zu den glücklichsten gehören, da sie kaum Störungen durch die Ungunst des Wetters befürchten lassen. Wie wichtig aber eine möglichst reiche Auswahl von Beobachtungsorten und eine möglichst große Entfernung derselben ist, werden wir aus der Art der Arbeiten ersehen, die den Astronomen bei einem solchen Ereigniß beschäftigen. Jedenfalls hat in der ganzen historischen Zeit noch keine Sonnenfinsterniß stattgefunden und wird sich auch in vielen Jahrhunderten keine ereignen, welche durch ein ähnliches Zusammentreffen glücklicher Umstände begünstigt wird. Die Sonnenfinsterniß vom 18. August dieses Jahres war also wirklich eine der seltensten Erscheinungen dieser Art.

Werfen wir nun einen Blick auf die Beobachtungen, um welche es sich bei einer solchen Finsterniß handelt. Der eine Theil dieser Beobachtungen ist streng astronomischer Natur. Es gilt nämlich, genau die Zeit festzustellen, in welcher die Finsterniß beginnt, den Punkt der Sonnenscheibe, welcher zuerst mit der Mondscheibe in Berührung kommt, die Zeit, wann eine bestimmte Erhöhung am Umfange des Mondrandes einen Theil der Sonne zu bedecken beginnt, die Zeit des vollständigen Verschwindens der Sonnenscheibe und des Wiedererscheinens des ersten hellen Lichtpunktes am entgegengesetzten Sonnenrande, endlich die Zeit des Endes der Finsterniß, die von der Zeit des Anfangs derselben höchstens um vier und eine halbe Stunde verschieden sein kann. Man wird fragen: wozu noch diese Zeiten beobachten, die der Astronom sich doch rühmt, so genau vorherberechnen zu können? Allerdings sind sie mit Hülfe der überaus genauen Kenntniß, welche die Astronomen von der Bewegung der Erde und der noch weit zusammengesetzteren des Mondes besitzen, für jeden Beobachtungsort im Voraus genau berechnet. Diese Berechnung selbst bedarf auch keineswegs der Controle, wohl aber bedürfen einer solchen die Zahlen, welche der Rechnung zu Grunde liegen, z. B. die Zahlen, welche sich auf die augenblickliche Entfernung der Erde vom Monde und von der Sonne, oder welche sich auf den jedesmaligen Ort des Mondes in seiner Bahn beziehen. Bestätigen die Beobachtungen die Rechnung, treten die Erscheinungen genau in den vorausbestimmten Zeiten ein, so waren auch die der Rechnung zu Grunde liegenden Zahlen richtig. Stimmen aber die Beobachtungen nicht vollständig mit der Rechnung überein, weichen jene Zeiten auch nur etwa um Zehntheile einer Secunde von den vorausberechneten ab, so führt dies rückwärts zur Berichtigung jener zu Grunde liegenden Zahlenannahmen, also zur Berichtigung der so wichtigen sogenannten Elemente der Erd- und Mondbahn. Man wird nun leicht begreifen, daß für diese Controle die Dauer der Finsterniß und die Zahl und der Abstand der Beobachtuugsorte von der allergrößten Bedeutung sind.

Eine zweite Art von Beobachtungen, welche eine totale Sonnenfinsterniß herausfordert, gehört mehr der physischen Astronomie an. Sie beziehen sich auf die Natur der Sonnenoberfläche und der Lichterscheinungen in ihrer Umgebung. Die eigenthümliche Dämmerung, welche eintritt, wenn die Sonnenscheibe völlig durch den Mond verdeckt ist, gestattet Manches zu sehen, was sich sonst in dem blendenden Glanze der Sonne verbirgt. Gäbe es einen Planeten, der sich in noch größerer Nähe als der Mercur um die Sonne bewegte, wie ja in der That der berühmte Leverrier das Dasein eines solchen aus gewissen Störungen des Mercurlaufes durch Rechnung nachgewiesen haben will, so wird er auch dem noch so scharf bewaffneten Auge des Astronomen niemals anders sichtbar werden, als bei Gelegenheit einer solchen Sonnenfinsterniß. Die ungewöhnliche Dauer der jetzigen und der dadurch bedingte ungewöhnliche Grad der Verdunkelung der Sonnenumgebung muß das Ausspähen nach diesem unbekannten und zweifelhaften Weltbürger ganz besonders begünstigen. Aber noch ungleich mehr wird jene wunderbare Lichtkrone die Aufmerksamkeit des Astronomen in Anspruch genommen haben, jener leuchtende Strahlenkranz, der sich um die gänzlich verfinsterte Sonne bis auf einen Abstand von etwa einem Dritttheil des scheinbaren Monddurchmessers erstreckt und der am inneren Rande so hell strahlt, daß man fast zweifeln könnte, ob wirklich die ganze Sonne verfinstert sei, während er sich nach außen unmerklich in den Himmelsraum verliert. Für diese merkwürdige Erscheinung hat man noch immer keine genügende Erklärung.

Bekanntlich hat man bisher angenommen, daß die Sonne selbst ein dunkler Körper sei, der von mindestens zwei Umhüllungen umgeben werde, einer inneren, in mattem Lichte leuchtenden, einer sogenannten Dunsthülle, und einer äußeren, der sogenannten Lichthülle, von welcher das uns zukommende Sonnenlicht ausstrahle. Durchbrechungen dieser Hüllen, trichterförmige Dehnungen in denselben sollten denn die bekannten Sonnenflecken und ihre grauen Ränder erklären. Für das Entstehen jener Lichtkrone mußte man freilich noch eine dritte Umhüllung, eine sogenannte Wolkenhülle annehmen, die für gewöhnlich nicht sichtbar sei, weil sie von der Lichthülle überstrahlt werde, sofort aber als Lichtkrone erglänze, wenn uns durch Dazwischentreten des Mondes das Licht der eigentlichen Lichthülle entzogen werde. Aber in der neueren Zeit hat namentlich die sorgfältige Beobachtung der Sonnenflecken auf Erscheinungen aufmerksam gemacht, wie die feinen Lichtadern und die als „Weidenblätler“ bezeichneten schlanken, zugespitzten Lichtkörper photographisch aufgenommener Sonnenflecke, die jene Erklärung durchaus unhaltbar machen. Dazu kommen die völlig räthselhaften sogenannten Protuberanzen, die sich bei totalen Sonnenfinsternissen in dem Augenblicke zeigen, wo der letzte Lichtfunke verschwunden ist. Es sind blaßröthliche Hervorragungen, die an dem Rande des dunkeln Mondes wurzeln und die einige Beobachter mit röthlichen zackigen Bergen, andere mit gerötheten Eismassen, wieder andere mit unbeweglichen gezahnten rothen Flammen verglichen haben. Ja sie hängen nicht einmal immer mit dem Rande des Mondes oder der Sonne zusammen, sondern bilden bisweilen völlig abgetrennte rothe Flecke. Was sie in Wirklichkeit sind, ist noch völlig unerklärt; nur daß sie weder Mondberge noch Sonnenberge sein können, ist gewiß, da sie im ersteren Falle eine Höhe von dreißig bis vierzig, im zweiten eine Höhe von sechszehntausend Meilen haben müßten.

Die Lösung dieser interessanten Räthsel kann, wenn irgend je, mit Aussicht auf Erfolg nur bei Gelegenheit der eben stattgefundenen Sonnenfinsterniß versucht werden, nicht nur weil die seltene Dauer derselben die Beobachtung begünstigt, sondern auch weil die heutige Wissenschaft im Besitz von Beobachtungsmitteln ist, von denen man früher keine Ahnung hatte. Abgesehen von der photographischen Kunst, deren glänzende Fortschritte das flüchtige Ereigniß in ungemein scharfen Bildern zu fixiren gestattet, steht dem Astronomen jetzt die Spectralanalyse, eine der großartigsten Entdeckungen, die je in einer Wissenschaft gemacht worden, zu Gebote. Diese Spectralanalyse gestattet bekanntlich aus dein Farbenbilde, welches ein Lichtstrahl bei seinem Durchgänge durch ein dreiseitiges Glasprisma erzeugt, auf die Natur der Lichtquelle selbst zurückzuschießen, namentlich zu entscheiden, ob diese Lichtquelle ein glühender fester oder flüssiger Körper oder ein glühendes Gas ist, und sogar welcher stofflichen Natur die glühenden Gashüllen sind, durch welche das Licht etwa hindurch gegangen ist. Schon jetzt hat die Spectralanalyse entschieden, daß unsere Sonne ein in Weißglühhitze befindlicher fester oder flüssiger Körper ist, umgeben von einer unserer Atmosphäre ähnlichen gasförmigen Hülle von geringerer Leuchtkraft und niedrigerer Temperatur, in welcher zahlreiche unserer irdischen Grundstoffe, wie Eisen, Chrom, Nickel, Zink etc. vorhanden sind. Die Spectralanalyse sollte bei der jetzigen Sonnenfinsterniß auch die Lichtkrone und die Protuberanzen zum Gegenstände ihrer Untersuchung machen. Sie sollte namentlich

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 571. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_571.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)