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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

No. 37.   1868.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.
Wöchentlich bis 2 Bogen. Vierteljährlich 15 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Süden und Norden.
Eine bairische Dorfgeschichte von 1866.
Von Herman Schmid.


1. Luttrische Leut’.

„He, Tonerl wo steckst? Bring’ mir noch einen Laib heraus. Wenn die Ehhalten vom Heuwenden herein kommen, werden sie tüchtig Hunger haben!“ rief die Bäuerin des Funkenhauser-Hofes, die auf der Bank neben der Hausthür saß, eine mächtige irdene Schüssel im Schooße, in welche sie den Rest eines runden Brodlaibes zu kleinen Scheiben aufschnitt. „Na, was ist’s?“ wiederholte sie nach einer Weile, als der Vorrath beinahe zu Ende war, ohne daß Jemand sich eingefunden oder auf den Ruf gemeldet hätte. „Wie lang’ soll ich denn noch warten? Sitz’st auf den Ohren oder bist gar eing’schlafen am hellen lichten Tag?“

„Gleich, Mutter, gleich!“ antwortete jetzt eine frische Stimme, der man die Jugend und ihre Freudigkeit in jedem Tone anhörte, wenn sie auch weit entfernt klang und wie aus den innersten Räumen des Hauses kommend.

„Wo sie nur wieder sein muß!“ fuhr die Bäuerin kopfschüttelnd für sich fort. „Es laut’ als wenn sie drunten im Keller wär’ oder gar droben in dem höchsten Dachstübel …“

Nach einigen Augenblicken erschien die Gerufene in dem Hausgang und blieb auf der Thürschwelle stehen; es war eine große kräftige und dennoch schmeidig und schlank gebaute Mädchengestalt, mit wohlgeformtem Angesicht von frischer klarer Farbe, zu welcher das reiche braune Haar trefflich stand und in seinem echten Kastanienglanze nur von dem mildem Schimmer der gleichfarbigen Augen erreicht ward. Es war in zierlichen Doppelzöpfen um die heitere verständige Stirne geschlungen; der lebhaft geröthete Mund war zu schalkhaftem Lächeln geöffnet und ließ ein Paar kleiner festgeschlossener Zahnreihen erblicken, deren blendendes Weiß die Farbe des Elfenbeins übertraf. Sie war nach dem Brauche des Miesbacher Gaus bäurisch gekleidet, aber ohne allen Schmuck und häuslich einfach; ein lose um den Hals geschlungenes Seidentuch hing mit bunten Zipfeln auf das leichte schwarze Zeugmieder herab, das den Leib zum Umspannen knapp und doch bequem umschloß; die nur bis zum Ellenbogen reichenden Hemdärmel wie die vorgebundene Schürze aus grobem ungebleichten Leinen ließen erkennen, daß die Trägerin von der Arbeit kam, doch verriethen die feinen, durch nichts verunstalteten Hände, daß sie die Tochter eines reichen Hauses war und trotz aller Thätigkeit sich zu schonen verstand.

„Da bin ich, Mutter!“ rief sie der Bäuerin von der Schwelle aus zu, indem sie ein stattliches rundes Brod mit beiden Händen wie einen Ball schwenkte. „Heb’ die Händ’ auf und fang’ … ich schutz’ Dir das Brodlaibel zu!“

„Ob Du gleich aufhören wirst, Du unmüßige Dingin Du!“ eiferte die Bäuerin halb unmuthig, halb wider Willen lachend. „Gieb mir den Laib ordentlich her und treib’ kein solches Gespiel mit der Gab’ Gottes …“ Aber das Mädchen hörte und folgte nicht; anmuthig fuhr sie fort, das Brod hin und her zu schwenken, wie Jemand, der sich eines sichern Wurfes vergewissern will, und wollte die Bäuerin nicht Gefahr laufen, es auf den Boden kollern oder die Schüssel davon zertrümmert zu sehen, so mußte sie wohl oder übel auf den Scherz eingehen und den endlich heranfliegenden Laib mit den Händen auffangen.

„Du machst ja Deine Sach’ prächtig, Mutter,“ sagte das Mädchen, indem es herantrat und sich lachend neben die Bäuerin setzte, „kannst Dich alle ’Bot verdingen, wenn s’ drüben in der Prälatenkuchel zu Tegernsee wieder einmal wen brauchen zum Küchel-Auffangen!“

„Und Du kannst Dich um ein Plätzl bei der Schneckenpost umschau’n!“ erwiderte die Alte. „Ist ja schier net zu erleben, bis Du kommst! Ich hab’ Dir zwei Mal geschrie’n; wo bist Du nur gewesen?“

„Geht’s Dir zu langsam?“ rief Toni lachend. „Hab’ alleweil gemeint, ich wär’ fein lüftig und es ging’ mir recht rundig aus der Hand – aber wenn’s gar so pressirt, dann ließ ich mir den Geometer von Miesbach hereinkommen und ließ mir eine Eisenbahn bau’n, mitten durch den Funkenhauserhof! Wo werd’ ich gewesen sein! Droben in der guten Stube, hab’ ein Bissel nach den Betten geschaut und nach den Vorhängen und hab’ die Fenster aufgemacht, daß es ein wengel auslüftet … es ist ganz dämmig und dumpfig droben und Spinnweben sind in allen Ecken, groß wie ein Kramerstand: man muß schon bald anfangen und auf’s Herrichten denken …“

„Auf’s Herrichten?“ fragte die Mutter verwundert. „Auf was willst herrichten, Tonerl? Willst mir etwan gar die Freud’ machen und thun, um was ich Dich schon so oft gedrängt hab’ … Willst anfangen, zu der Hochzeit herrichten . . ?“

„Na, Mutter!“ rief das Mädchen mit lautem Lachen, indem es wie abwehrend die beiden Hände erhob, und das Lachen klang so frisch und natürlich, daß man nicht zweifeln konnte, daß es frei und ungezwungen aus dem Herzen kam. „Mit der Hochzeit hat’s noch eine gute Weil’ Zeit … komm’ ich Dir denn schon gar so alt und schiech vor, Mutter, daß Du mich mit aller Gewalt unter die Hauben bringen willst?“

„Aber der Ambros …“ wollte die Frau erwidern, doch Tonerl ließ sie nicht ausreden.

„Der Ambros!“ rief sie und zog die Oberlippe etwas geringschätzig

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 577. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_577.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)