Seite:Die Gartenlaube (1868) 591.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

dem Glase in der Hand, stellte dasselbe plötzlich mit einer geschickten Handbewegung über die Bienen und deckte dann seinen Hut darüber.

„Sie arbeiten besser im Dunkeln,“ sagte er mit einem Seitenblick auf mich.

Nach einigen Minuten geduldigen Harrens nahm er seinen Sombrero vom Glase ab, betrachtete seine Gefangenen mit Aufmerksamkeit und bemerkte sodann mit befriedigendem Kopfnicken: „Sie haben schwer geladen.“ Hierauf schüttete er aus dem Fläschchen, welches das Schwefelpulver enthielt, eine Prise auf die innere Seite seines rechten Daumens, nahm das Glas soweit ab, daß eine Biene hervorkriechen konnte, und blies dieselbe, als sie sich zum Fortfliegen erhob, mit Schwefel an.

„Da giebt’s Lärm unterm Dache, wenn die nach Hause kommt,“ sagte er lächelnd, „sie fliegt in derselben Richtung ab, wie die erste, die sich bei unserer Ankunft hob.“

Nachdem er den Flug des kleinen Insects eine Weile verfolgt hatte, entließ er ein anderes in gleicher Weise der Gefangenschaft und sah mit Befriedigung, daß auch dies den gleichen Weg einschlug. Dann wurde ein drittes befreit, das aber, wenigstens meinen Blicken, in entgegengesetzter Richtung verschwand und von Tony als zu einem andern Stocke gehörig erklärt wurde. Während mir indeß die Bienen schon auf eine Entfernung von vielleicht zweihundert Schritt unsichtbar wurden, behauptete Tony auch nach mehreren Minuten später sie noch sehen zu können – ein Beweis, wie ungemein die Uebung sein Gesicht geschärft hatte.

Die beiden andern nicht vollen Bienen trieb Tony jetzt von der Tasse fort, winkte seinem Sohne, die Geräthschaften aufzunehmen, und stellte sich ungefähr zweihundert Schritte entfernter wieder mit denselben auf, um das frühere Experiment zu wiederholen. Jetzt wußte ich aus der Anschauung, was er unter Linie und Winkel verstand, und auch meine Leser werden sich darüber klar geworden sein, daß die erste Procedur geschah, um die Linie zu finden, welche die Biene, auf geradem Weg zum Stocke zurückkehrend, nimmt. Der Stock kann aber möglicher Weise eine oder zwei englische Meilen weit im Holze entfernt sein. Um denselben nun aufzufinden, muß der Bienenjäger, wie Tony es that, von einer anderen Stelle aus durch andere Bienen den Punkt beobachten, wo sich die von denselben gemachten Linien kreuzen, und kann danach mit ziemlicher Gewißheit auf den Ort schließen, wo er nach dem Baume zu suchen hat, in dem sich der Schwarm befindet. Uebung macht sicherlich auch hierin den Meister, und ich bin gewiß, daß Tony den einzuschlagenden Weg in kürzerer Zeit bestimmt hatte, als diese Erklärung erforderte, denn kaum hatte er seine bestäubten Bienen in der entsprechenden Richtung fliegen sehen, als er auch seine Geräthschaften zusammenraffte und dem Walde zuschritt.

Es dauerte kaum eine Viertelstunde, bis er in die Nähe des gesuchten Honigbaums kam, und ein deutliches, lautes Summen, welches er schon längere Zeit gehört haben wollte und das auch mir jetzt vernehmlich wurde, belehrte mich nunmehr über den Nutzen der Anwendung des Schwefels. Die heimgekehrten bestäubten Bienen hatten in der That, wie der Bienenjäger vorhergesagt hatte, den ganzen Stock in Aufruhr versetzt, wozu der den Bewohnern jedenfalls sehr mißliebige Anstrich der Gefährtinnen die Veranlassung gab.

Der Baum, in dem nach Tony’s Angabe der Lohn seiner Arbeit enthalten sein sollte, war einer der schönsten und kräftigsten in der Runde. Unzweifelhaft hatte derselbe seinen stolzen Gipfel schon während zweier Jahrhunderte zum Himmel erhoben, und unter seinem schützenden Laubdache, noch ehe Tony’s Großvater geboren war, manch junges Leben erstehen sehen. Jetzt sollte die Axt an seine Wurzel gelegt werden, und während von Tony’s kräftigem Arm geführt das blanke Werkzeug in seine Rinde fuhr, hallten auf der andern Seite die Hiebe seines Sohnes klar und hell durch den stillen Wald. So lange der Riese nicht schwankte, ahnete das unter seinem Schutze angesiedelte Völkchen der Bienen wohl kaum die ihm drohende Gefahr; von dem Augenblicke aber, wo sie die Natur des Angriffs verstanden, rüsteten sie sich zum Angriff. Aber das Fell des Bienenjägers ist nicht so empfindlich, daß er einiger Stiche achten sollte, und erst als dieselben zu dicht und heftig wurden, legten die Männer die Axt nieder und sammelten dürres Reis und Moos, um ein Feuer anzuzünden, dessen Rauch die Bienen schnell zum Rückzug zwang und die Beendigung der Arbeit gestattete. Mit lautem Krachen stürzte der Baum.

Sneed’s geübter Blick fand bald die Oeffnung, welche zum Stocke führte, und mit Hülfe seines Sohnes suchte er dann auf’s Neue eine genügende Masse Moos zusammen, das zu beiden Seiten des Astes, in dem der Honig enthalten war, auf vier oder fünf Fuß Entfernung in Haufen gebracht und angezündet wurde, um die Bienen „auszuräuchern“.

Während dieser Proceß vor sich ging, trat Tony zu mir, der ich mich weise vom Kampfplatz fern gehalten hatte, zog seine geschwärzte Thonpfeife hervor und füllte dieselbe mit „Kentuckys duftigem Kraut“, einem Stoff, der vollständig genügte, um jeden Versuch der Bienen, uns zu belästigen, unmöglich zu machen.

„Es würde unrecht und gegen mein eigenes Interesse sein, wenn ich die Thierchen tödtete,“ sagte er dampfend wie ein Türke, „sie suchen sich und finden auch bald ein anderes Unterkommen, und vielleicht sehen wir uns in kurzer Zeit wieder; der Rauch betäubt sie nur und nachher sind sie wieder so munter wie die Grashüpfer.“

Nachdem der Rauch sich verzogen hatte, wurde der Honig durch behutsames Abhauen der Rinde zu Tage befördert und in die Eimer gefüllt. Daß die in den köstlichen Stoff eingetauchten Zwiebacke, die ich mitgebracht hatte, uns einen Imbiß gewährten, um den uns Mancher beneiden wird, brauche ich wohl kaum zu erwähnen, denn der Honig der wilden Bienen ist nicht allein ebenso süß wie der bei uns gewonnene, sondern übertrifft denselben wesentlich an Aroma.

Die Sinnesschärfe des Bienenjägers ist es namentlich, was ich an demselben bewundern muß, und hat mich unwillkürlich an das feine Gefühl erinnert, das wir an den meisten Blinden kennen. Das leiseste Geräusch in der Luft, in den Blättern oder auf dem Boden, das an gewöhnlichen Menschenkindern unbeachtet vorübergeht, erregt seine Aufmerksamkeit. Dieser Instinct, wenn ich es so nennen kann, den er von dem rothen Mann erworben hat, leitet ihn auf der Jagd und auf dem Kriegspfad, wenn er denselben zu seinem Schutze zu betreten gezwungen ist. Aber auch nur mit diesem Instinct und durch denselben ist es ihm möglich, seine Existenz zu sichern; Ruhe und ein wachsames Auge führen ihn über alle Schwierigkeiten hinweg, die ihm in den Weg treten können.

F. v. Wickede.


Blätter und Blüthen.

Schiller’s Gedichte. Der Buchhändler Hempel in Berlin, der eine sogenannte „Nationalbibliothek sämmtlicher deutscher Classiker“ herausgiebt, kündigt auf dem Umschlag des sechsundfünfzigsten Heftes an: „es gebe mehrere hundert Schiller’scher Gedichte, die sich in keiner Ausgabe fänden, die er aber für zwei und einen halben Silbergroschen mittheilen werde“. Es ist wahr, es giebt viele Schiller’sche Gedichte, welche in allen bisherigen Ausgaben fehlen, obgleich sie bekannt genug sind. Sie fehlen eben in den Ausgaben der Schiller’schen Gedichte, weil der Dichter selbst, Schiller, sie nicht anerkannt und somit verworfen hat. Dem Dichter allein und ausschließlich muß jedenfalls das Recht zustehen, sowohl diejenigen seiner Gedichte auszuwählen, welche auch der Nachwelt vorgelegt werden sollen, als jene auszuschließen, welche er seines Namens nicht für würdig hält. Niemand wird einem Dichter dieses Recht absprechen, nur Herr Hempel thut es. Er läßt eine Sammlung von Gedichten drucken und wählt vorzugsweise solche aus, die Schiller nach reiflicher Ueberlegung ausschied. Diese Sammlung kündigt er nicht etwa als „von Schiller verworfene Gedichte“, sondern einfach als „Schiller’s Gedichte“ an, weil – er ein gutes Geschäft damit zu machen hofft. Aber es handelt sich hier um mehr als um ein Geschäft, es handelt sich um einen guten Namen, ja um einen der glänzendsten deutschen Namen. Auch Herr Hempel wird wissen, daß Schiller bisher vorzugsweise für den Dichter der Jugend galt, weil er der keuscheste und reinste war, da die Menge den Schmutz und die Rohheiten nicht kannte, womit Schiller in der Jugend, in der Zeit, als er „die Räuber“ schrieb, seine Feder befleckte und die nun Herr Hempel so sorgsam gesammelt hat. Auch jener Glorienschein von Reinheit und Keuschheit mußte um des Geschäfts willen vernichtet werden! Warum nicht? Hat es doch zu jeder Zeit Herostrate gegeben! Die Tempel werden ja neu aufgebaut und der Glorienschein wird glänzender wieder hergestellt.

Wer aber heilt nun den Schaden, der jungen Herzen angethan wurde? Herr Hempel hat seine Speculation darauf gebaut, daß von allen deutschen Büchern keines mehr und mit mehr Andacht und Begeisterung gelesen wird, als Schiller’s Gedichte. Wenn nun der Schmutz, den Herr

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 591. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_591.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)