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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

Mitten in diesen Strudeln des Mißgeschicks und der Verkennung wäre Beethoven’s Schöpferkraft vielleicht untergegangen, wenn seine wenigen, aber einflußreichen Freunde ihn nicht behütet hätten, wie schützende Engel; und diese Periode ist es namentlich aus welcher der damals Beethoven nahestehende, jetzt hochbetagte Professor Joseph Nöckel, der würdige Stammvater einer bedeutenden Künstlerfamilie, uns manchen schönen Zug, manche interessante Episode vom großen Meister mittheilte.

Bei dem excentrischen Wesen und der oft in Grobheit ausartenden Gereiztheit Beethoven’s wagte ihm in den ersten Tagen nach dem Leonorenunglück Niemand zu nahen. Er selbst blieb meistens hinter verschlossenen Thüren allein mit seinen Gedanken, oder durchstreifte zur Nachtzeit einsame und abgelegene Straßen Wiens. Erst nach und nach wagte man, ihn mit dem Urtheile seiner Freunde bekannt zu machen, und suchte den Mißerfolg auf Rechnung des Textschreibers zu bringen, dessen fehlerhafte Anlage, in Folge deren das Stück in drei Acte zerfiel, der Exposition eine zu große Ausdehnung gegeben hatte. Es geschah dies namentlich, um Beethoven zu einer Umarbeitung zu bestimmen, welche die beiden ersten Acte in verkürzter Form zu einem verschmelzen sollte; – jener aber lehnte den wohlgemeinten Rath entschieden und mit dem ihm eigenen unbeugsamen Starrsinn ab, – immer wieder darauf zurückkommend, daß nur der abgesungene Tenor des italienischen Sängers, welcher die Höhe mit der Bruststimme nicht mehr zu geben vermochte, das Werk zu Falle gebracht hätte.

Die Sache mußte also von einer andern Seite angegriffen werden, und man bemühte sich, einen Sänger zu finden, der nicht allein mit einem jugendlich frischen Tenor von bedeutender Höhe, sondern auch mit der geistigen Capacität für diese bedeutende Partie ausgerüstet war, einen Sänger, der nicht blos durch seine äußere Erscheinung, sondern viel mehr noch durch die Liebenswürdigkeit seines Wesens auf den immer allzusehr abgeschlossenen, zurückstoßenden Beethoven sympathisch einwirken konnte, und gerade einen solchen fand man in dem obenerwähnten, damals kaum zwanzigjährigen Debütanten Joseph Nöckel, der, anfänglich sich der juristischen Laufbahn zu München widmend, durch besondere Protection des französischen Geschäftsträgers an Tomaselli, den berühmten Tenoristen des Erzbischofs von Salzburg, empfohlen war. Dorthin, an den kunstliebenden Hof, wo noch überall die Spuren von Haydn’s wirkender Kraft sichtbar waren, kam im Jahre 1804 der damalige Intendant der kaiserlichen Hofoper auf einer musikalischen Entdeckungsreise und nahm als hoffnungsreichste Beute den jungen Tenoristen mit nach Wien, ließ denselben ein Jahr lang von den tüchtigsten Meistern für die Oper heranbilden und gegen Ende des Jahres 1805 in einigen damals modernen, jetzt längst vergessenen Partieen auftreten. Nöckel gefiel in diesen besser als sein Lehrer, der nach Beethoven’s Meinung den Florestan zu Grunde „fistulirt“ hatte, und des Componisten Freunde, unter diesen besonders der Regisseur Meyer, Mozart’s Schwager, welcher den Pizarro gesungen, bauten daher ihren Plan auf die bezaubernde Stimme des jugendlichen Tenoristen. Allein jener war nicht so leicht auszuführen, als man glaubte. Der große Ideeneinsiedler hatte niemals viel Geschmack an der Oeffentlichkeit, am wenigsten an der bunten, lügenhaften des Theaters gefunden – und jetzt, nach der Leonorenkatastrophe, war er gar nicht zu bewegen, den Fuß über die trügerische Schwelle der Scheinwelt zu setzen. Endlich, nach vielen vergeblichen Versuchen, gelang es Meyer, den grollenden Genius wieder einmal in eine Probe zu locken, und der neue Tenorist Nöckel mußte nach vorheriger Anordnung wie zufällig darin singen. Beethoven äußerte sofort, als er denselben hörte: „Ja, hätte ich den als Florestan gehabt“ – Als aber Meyer hierauf erwiderte, daß ja Herr Nöckel diese Partie auch studiren würde, wenn sich Beethoven zu einer Umarbeitung entschließen könnte – da wollte der zürnende Meister nichts mehr hören. „Nicht eine Note wird daran geändert!“ rief er bestimmt und rannte, dem betroffenen Freunde den Rücken kehrend, aufgebracht hinweg. – Die Sache mußte also wiederum von einer anderen Seite angegriffen werden.

Beethoven war einmal ein von der hohen Aristokratie protegirter, vom Volke mißverstandener Genius; deshalb mußte auch die Einwirkung auf ihn von seinen Hohen Freunden ausgehen. Unter diesen aber stand ihm keiner so nahe wie der ausgezeichnete Fürst Lichnowsky, in dessen Hause er jahrelang mit mehr als fürstlicher Gastfreundschaft bewirthet wurde und jederzeit Gelegenheit fand, seine neuen Compositionen von den größten Virtuosen Wiens probiren zu lassen. Dabei bezog Beethoven von demselben ein Jahrgehalt von sechshundert Gulden, eine für die damaligen Verhältnisse nicht unbedeutende Summe, ohne daß er eine andere Verpflichtung gehabt hätte, als die, seiner Kunst nach freier Neigung zu leben. Die Fürstin, eine geborene Gräfin Thun und vortreffliche Clavierspielerin, behandelte Beethoven mit mütterlicher Liebe und hätte am liebsten, wie er selbst oft zu sagen pflegte, „eine Glasglocke über ihn machen lassen, damit kein Unwürdiger ihn berührte.“ So liebte man im fürstlichen Hotel, in dem er selbst zwar, seinen Launen folgend, nicht mehr wohnte, aber doch häufig verkehrte, Alles an ihm; selbst seine schroffen Eigenheiten und unerklärlichen Launen galten für die unerläßliche Zugabe seines Genies. Dennoch hatte man sich selbst in diesem Hause bei den allwöchentlich wiederkehrenden sogenannten Fidelio-Besprechungen umsonst bemüht, den Meister zur Kürzung und Umarbeitung seiner Oper zu bestimmen. Da wandte sich der obenerwähnte eifrige Regisseur und Baritonist Meyer, der die Componistenkrämpfe wohl noch in ihrer ganzen Furchtbarkeit von seinem verstorbenen Schwager Mozart kannte, eines Tages in der Probe an den jungen Tenoristen Nöckel: „Bleiben Sie heute Abend sechs Uhr in Ihrer Behausung; ich komme alsdann zu Ihnen, um Sie für eine wichtige Angelegenheit beim Fürsten Lichnowsky einzuführen.“ Nöckel willigte ein, und nun lassen wir den würdigen, wahrheitsliebenden Greis selbst aus seiner reichen Vergangenheit erzählen:

Erst auf dem Wege zum fürstlichen Palais theilte mir Meyer mit, daß wir Beethoven dort im Kreise seiner nächsten Freunde finden und seine durchgefallene Oper „Leonore“ mit den übrigen betheiligten Bühnenmitgliedern nochmals zu einer kritischen Aufführung bringen würden, um den Meister selbst von der Nothwendigkeit einer Umarbeitung zu überzeugen. Da Beethoven das Scheitern seiner Oper allein dem früheren Tenoristen schuld gab, so sollte ich, zu dessen Stimme er mehr Vertrauen habe, bei dieser Soloaufführung die Partie des Florestan vom Blatte singen. Dabei hätte ich ebenso wie Meyer und die übrigen Mitglieder fortwährend die nöthigen Kürzungen und Abänderungen und zuletzt die Verschmelzung der beiden ersten Acte unter inständigen Bitten dem Meister vorzutragen.

Mir graute vor dem Auftrage, die schwierige Partie des Florestan vor dem ebenso schwer zu befriedigenden wie leidenschaftlichen Componisten vom Blatte zu singen, obgleich ich dieselbe von meinem früheren Lehrer und jetzigen Rivalen oft gehört und theilweise schon bei ihm studirt hatte; mir graute ebenso sehr vor den Bühnenränken des gekränkten Tenoristen, dessen Nachfolger ich mit diesem Schritte werden sollte, und ich wäre am liebsten wieder umgekehrt, wenn mich nicht Meyer fest am Arme gehalten und förmlich mit weiter geschleppt hätte. So traten wir ein in das fürstliche Hotel und stiegen die glänzend erleuchteten Treppen hinan, auf denen uns mehrere Livreebediente mit geleerten Theebrettern entgegenkamen. Mein Begleiter, der die Sitte des Hauses kannte, machte dazu ein höchst verdrießliches Gesicht und murmelte: „Der Thee ist vorüber, ich fürchte, daß Ihr Zögern unsere Magen in eine sehr empfindliche Lage gebracht haben wird.“

Wir wurden in den mit kerzenreichen Armleuchtern und schweren seidenen Draperien ausgestatteten Musiksaal geführt, an dessen Wänden farbenprächtige Oelgemälde der größten Meister in ihren breiten blitzenden Goldrahmen ebenso von dem hohen Kunstsinn wie dein Reichthum der fürstlichen Familie zeugten. Man schien uns schon erwartet zu haben; denn Meyer hatte Recht gehabt: der Thee war vorüber und Alles war zum Beginn der Musikaufführung bereit. Die Fürstin, eine ältere Dame von gewinnender Freundlichkeit und unbeschreiblicher Milde, aber in Folge großer körperlicher Leiden (beide Brüste Waren ihr in früherer Zeit abgenommen worden) bleich und schwächlich, saß bereits am Clavier; ihr gegenüber, nachlässig in einem Lehnstuhle, Beethoven, die dicke Pandora Partitur seiner unglücksreichen Oper auf den Knieen. Zu seiner Rechten sahen wir den Dichter der Tragödie „Coriolan“, Hof-Secretair Matthäus von Collin, der mit dem intimsten Jugendfreunde des Componisten, dem Hofrath Breuning aus Bonn, plauderte. Meine Collegen und Colleginnen von der Oper, welche die Stimmen schon in der Hand hielten, hatten in einem

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 603. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_603.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)