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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

aus: „Warum net gar! Bin ich denn nicht selbst mitgegangen, Herr Günther, und noch dazu voran? Sie werden doch net denken, daß ich Sie zum Spaß irgendwohin führ’, wo’s g’fährlich ist? Es thät’ ja meinen Hals auch kosten, und das werden S’ auch glauben, daß mein Leben für mich g’rad’ so viel Werth hat, wie das Ihrige. Es giebt wohl ein’ anderen Weg, aber ich hab’ ihn in denen Steinfelsen verloren und mich nimmer zurecht g’funden, weil eben einer ausschaut wie der andere. Aber jetzt, jetzt kenn’ mich wieder völlig aus! Gleich da vorn ist der Hauptkamm, und wenn wir da net ein Rudel Gams aufsprengen, müßt’s mit’m Teufel zugehen. Es is gut, wenn wir unsere Stutzen zuvor herrichten … derweil aber gehen S’ da nach der anderen Seit’n ein bissel vor und schaun S’ in’s andere Thal ’nunter. Da liegt die Blümelalm, die zum Funkenhauserhof g’hört. Vielleicht g’fallt Ihnen die Aussicht, daß Sie doch einen Augenblick rasten mögen …“

Dem Winke folgend, trat Günther an die andere Seite des Berggrates, der, unbewachsen und nur aus festem Gestein bestehend, sich eine ansehnliche Strecke ziemlich breit und bequem dahinzog, und blieb mit einem Ausruf der Ueberraschung am Rande stehen. Auch hier fiel das senkrechte Geschröf in beträchtlicher Tiefe ab, gegenüber stieg ein breiter, felsiger Bergrücken von gleicher Höhe und Schroffheit empor, und zwischen beiden in einem weiten, aber nicht sonderlich tiefen Kessel lag, wie ein Garten in seiner Umzäunung, ein herrlicher, grüner Rasenteppich eingebettet und ausgebreitet, auf welchem hier und da ganze Gruppen von Feldblumen gleich rothen und blauen Stickereien leuchteten und die Sennhütte mit ihrem grauen, steinbelasteten Dache hervorsah wie ein mattes Juwel. Es war ein so stilles, liebliches Thal, als wäre es absichtlich versteckt und von den Bergen wie von Mauern umgeben, damit das Glück einen sicheren Ort habe, wo es heimisch bleiben könne und in den nichts von außen einzudringen vermöge, es zu stören oder zu verscheuchen. Die Hütte mitten im Grün, sammt den durch die weite Entfernung wie zu winzigem Spielzeug verkleinerten Heerden, bot ein ungemein anmuthiges Bild, und das Gebimmel von den Halsglocken und Schellen der weidenden Thiere klang in so eigenthümlichem und doch melodischem Gewirr herauf, daß das Ohr mit gleichem Entzücken lauschte, wie das Auge gefällig an dem reizenden Anblick hing.

„Einzig! Wundervoll!“ rief Günther. „Einzig in der That! Ein solcher Anblick belohnt für alle Mühe und macht jede Anstrengung vergessen, und wenn sie noch gefährlicher und halsbrecherischer gewesen wäre, als der Weg über die schieche Wand! Eine Idylle, an der nichts auszusetzen ist!“

„Ja, ja,“ sagte Ambros, der hinzugetreten war, „die Blümelalm ist gar net übel, aber daß nichts daran ausz’setzen wär’, dasselbige könnt’ ich doch net sagen. Das Dach braucht schon bald Neulegen, und wenn am Stall net nachg’holfen wird, so druckt’s im nächsten Winter der Schnee ein, und wie’s etwan mit der Dielen beschaffen ist, das weiß ich net.“

Um Günther’s Lippen zuckte ein starkes Lächeln, doch war er artig und gewandt genug, es rasch zu unterdrücken, wenn auch nicht so schnell, um es vor Ambros zu verbergen, dem es wieder roth in’s Gesicht stieg. „Du hast mich nicht recht verstanden,“ sagte er. „Ich meinte, die Sennhütte im Thal da unten sehe aus wie gemalt oder wie es in den Büchern geschrieben steht.“

„Von den Büchern weiß Unsereiner nichts,“ erwiderte Ambros finster und trotzig. „Dazu hat ein Bauer keine Zeit.“

„Warum nicht?“ entgegnete Günther, indem er sich auf der Schneide des Felsgrates niedersetzte und ein Buch aus der Tasche zog. „Ich habe viele Bücher und lese viel und bin doch auch ein Bauer.“

„Wollen Sie mich wieder einmal foppen?“ sagte Ambros mit scheelem Blick entgegen. „So seh’n ja die Bauern aus und haben g’rad’ solche feine, weiße Hand’ln!“

„O, die hab’ ich auch nicht immer,“ erwiderte Günther lachend, „ich habe eben längere Zeit keine grobe Arbe’t mehr verrichtet, aber ich habe sie schon alle gethan. Ich muß einmal das Gut meiner Mutter übernehmen, darum habe ich mich zum Landwirth oder Oekonomen oder Bauer ausgebildet und bin drei Jahre auf der Schule gewesen.“

Ambros lachte noch wilder und unmuthiger als zuvor. „Das giebt’s net bei uns,“ sagte er. „Unsere Schul’ ist der Stadel und der Stall und der Acker.“

Günther hatte inzwischen das Buch geöffnet, einen Stift hervorgezogen und fing an, mit flüchtigen, sicheren Linien das Alpenthal zu seinen Füßen zu skizziren. „Ich gebe zu,“ sagte er während dessen, „daß es jetzt so bei Euch sein mag, aber es muß darum nicht so sein und wird nicht immer so bleiben. Auch Ihr werdet dazu kommen und werdet einsehen lernen, daß derselbe Zweck auch mit anderen Mitteln und noch dazu leichter erreicht werden kann.“

„Hören S’ mir auf mit dem G’red’!“ unterbrach ihn Ambros zornig. „Das wissen wir schon lang, daß Sie g’scheidter sind als wir dummen Baiern, aber Alles müssen S’ doch auch net besser wissen wollen. Im Baiernland, da ist der Bauer der Herr, und so lang man denkt, ist der Ackerbau unser Stolz g’wesen. Bei Ihnen daheim kann’s freilich anders sein, Sie haben ja nichts als Sand. Bei unserm Boden braucht’s die Nothkünsten net, die in Ihren Büchern steh’n.“

Günther erwiderte nichts. Er wußte, daß die schon hie und da flüchtig berührte Saite immer einen Mißton vernehmen ließ, und schien so in seine Zeichnung vertieft, als ob er den Zornausbruch des Burschen gar nicht vernommen hätte. Darüber trat eine augenblickliche Stille ein. Man hörte den heiseren Ruf eines Geiers, der hoch über den Felsen dahinschwebte; man vernahm das Rauschen des Ostwindes, der im Thale drunten die Tannenwipfel schüttelnd beugte, mit dem Rauschen trug er den Gesang einer weiblichen Stimme deutlich zur Berghöhe hinan.

Ueber das Antlitz des jungen Mannes flog rasche, freudige Bewegung. „Was ist das?“ fragte er. „Das ist ja, wie wenn gesungen würde? Das ist wohl gar –“

„Das ist wohl ein G’sang,“ sagte Ambros, „der kommt von der Blümelalm. Sehen S’ dort, unter der Thür, vor der Hütten sitzt die Sennerin und singt.“

Bis an den Rand vortretend, nahm er jetzt den Hut ab, schwang ihn über dem Kopfe und stieß einen langgezogenen, kräftigen Juhschrei aus; die Sennerin unten horchte auf und blickte in den Höhen rasch umher, dann hob sie ebenfalls den Hut in die Höhe und ließ als Gegengruß ihren Juchzer ertönen, der so klar und melodisch heraufklang, wie das halbverwehte Läuten einer reingestimmten Glocke.

Günther stand hastig auf und klappte sein Skizzenbuch zu. „Das ist die Toni,“ sagte er, „ich erkenne sie an der Stimme. Wir wollen eilen, zu ihr hinunter zu kommen. Wo führt wohl der nächste Weg hinab?“

„Oho!“ rief Ambros, den Gefährten seitwärts mit bedenklichen Blicken musternd. „So genau kennen Sie die Stimm’, daß Sie s’ nach Jahr und Tag wieder kennen? Freilich ist’s das Funkenhauser Tonerl, aber net Toni, Herr Günther, so vornehm geht’s net ’runter bei Bauersleuten. Wir kommen schon hinunter zu ihr; da müssen wir noch einen weiten Bogen machen durch ’n Wald und haben immer noch ein paar Stündeln.“

„Ei, es wird doch einen näheren Weg geben!“ rief Günther unwillig.

„Den giebt’s schon,“ sagte Ambros, „gleich da durch das G’stein über die Wand ’nunter; aber der ist net viel besser, als der über die schieche Wand, und es wird wohl net gar so sehr eilen, Herr Günther – Sie vergessen ja auf einmal ganz auf die Gamsen.“

„Das nicht,“ erwiderte Günther, der sich bemühte wieder völlig unbefangen zu scheinen, „aber mit dem Irregehen haben wir uns verspätet, und ich fürchte, es möchte schon zu spät sein für die Jagd. Du weißt ja, daß auch meine Mutter und meine Schwester mit der Bäuerin in die Sennhütte heraufkommen; sie müssen bald hier sein, und wir dürfen eilen, wenn wir nicht zu spät kommen wollen.“

„O, so g’schwind geht das net,“ entgegnete Ambros. „Vor Mittag kommen die net herauf.“

„Ist denn der Weg so weit oder so anstrengend? Dann wird es meiner armen Schwester übel ergehen.“

„Der Fräul’n Wine?“ fragte Ambros rasch. „Nein, für die hab’ ich schon g’sorgt. Für die hab’ ich die braune Stuten, die Lies, herg’richt’t, das is ein lammfrommes Thier und hat einen Gang wie eine Sänften. Ich hab’ einen Sattel und Decken hinaufg’schnallt, da kann sie d’rauf sitzen. Der Geisbub’ führt das Roß am Zügel, und so kommt sie ’rauf, sie muß gar net wissen, wie.“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 610. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_610.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)