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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

Beim Präsidium des „Ulk“ in Haspe.

„Bitte, was ist das?“ wurde ich auf meiner letzten Reise tief im Innern Rußlands gefragt, und der Sprecher, ein langbärtiger Mönch, legte mir die große Moskauer Zeitung vor die Augen. Seine hagern Finger ruhten auf den beiden einzigen deutschen Worten in der Riesennummer, und diese groß und fett gedruckten Worte hießen: Ulk und Haspe.

Ich konnte dem wißbegierigen Klosterbruder nur ungenügende Auskunft über die beiden geflügelten Worte geben, die hier fern von den Gestaden deutschen Geisteslebens gleich einer Degenspitze aus dem mir noch ungeläufigen Idiom hervorzuckten. Ich wußte selbst nichts weiter, als daß sich unter dem Namen Ulk in Haspe in Westphalen eine Gesellschaft witziger Männer gebildet hatte, welche von Zeit zu Zeit durch die Kundgebungen ihrer Laune auch in weiteren Kreisen Aufmerksamkeit erregte.

Eine Ausschußsitzung der Gesellschaft „Ulk“ in Haspe.
Nach einer Photographie.

Nach meiner Rückkehr auf die rothe Erde hatte ich selbstverständlich das Verlangen, mit dieser Gesellschaft – und zwar durch das Präsidium selbst – näher bekannt zu werden, als es der Mönch der schwarzen Erde durch mich geworden. Der Zug brauste vom Hagener Bahnhof ab und hielt nach wenigen Minuten an dem romantisch an der Enneper Straße liegenden Haspe, aus dessen Fabrikschloten der Rauch weithin wirbelte. Ich konnte nicht aussteigen und mich aufhalten, denn ich hatte diesmal keine Zeit dazu, ich musterte aber den Bahnhof und seine Umgebungen mit Argusaugen, um etwa den humoristischen Kopf zu entdecken, der auf die Schultern des Präsidiums des Ulk paßte. Verlorene Mühe! Der Bahnhof lag wie ausgestorben. Außer dem Mann im blauen Kittel, der den Glockenstrang hielt, um den Zug abzuläuten, sah ich nur die Gepäckschieber, sonst Niemand. Ich stimmte meine Wünsche herab. Wenn nur irgend ein verspätetes Mitglied des Ulk einstieg, so war ich schon zufrieden. Nichts! Die Tropenhitze hielt Jeden unter Dach und Fach. Nur der Rauch der Fabrikschornsteine spottete der Tagesgluth, ballte sich – so schien es wenigstens – zu humoristischen Köpfen und schnitt schadenfroh Gesichter in der Luft. Die Minute Aufenthalt war längst vorüber. Wozu hielt der Zug noch? Da wurde das Zeichen zur Abfahrt gegeben. Die Glocke läutete. Die Locomotive pfiff. Ich sank in die Kissen des Coupés zurück, und der Zug begann sich zu bewegen. Plötzlich wurde meine Coupéthür hastig geöffnet und wieder geschlossen. Ein Herr war eingestiegen.

Der Herr hatte einen sehr charakteristisch ausgeprägten Kopf. Sollte er aus Haspe, sollte er vielleicht gar ein Mitglied des Ulk sein? „Sie sind aus Haspe, mein Herr?“ frug ich nach einiger Zeit. Er verbeugte sich mit einem eigenthümlichen Lächeln, das meine Vermuthung bestärkte. „Ah Haspe, wo die Gesellschaft Ulk ihr Wesen treibt – vielleicht selbst Mitglied der Gesellschaft?“ ging ich nach einer weitern Pause direct auf das Ziel los. Abermaliges eigenthümliches Lächeln und abermals bejahendes Nicken. Ich sah mir meinen Mann noch schärfer an. Der ist am Ende gar der Präsident des Ulk selbst! Sicher, der und kein Anderer!

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 613. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_613.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)