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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

No. 40.   1868.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.
Wöchentlich bis 2 Bogen. Vierteljährlich 15 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Nicht zu übersehen!

Den neuen Abonnenten der Wochenausgabe unsers Blattes, die erst mit dem 1. October zugetreten sind, machen wir die Anzeige, daß die drei Nummern, welche die ersten Abschnitte der mit so großem Beifall aufgenommenen Erzählung von Herman Schmid „Süden und Norden“ enthalten, durch jedes Postamt und jede Buchhandlung zu dem Preise von 5 Ngr. zu beziehen sind.

Die Verlagshandlung.



Ein Pistolenschuß.
Aus den Erinnerungen eines russischen Officiers.

Das Garnisonsleben einer russischen Provincialstadt, die nicht einmal ein Theater, nicht einmal ein schlechtes, aufzuweisen vermag, ist, das dürfen Sie mir auf’s Wort glauben, ein höchst einförmiges, schaales: Morgens Exerciren, zwei Stunden Reitbahn, Mittags ein frugales Diner beim Regimentschef, oder gar bei einem elenden Restaurant, Abends endlich die Bowle und die Karten, voilà tout! Auch nicht eine einzige Familie gab’s da, die uns ihren gastfreien Schooß geöffnet hätte! Wir bekneipten – gestatten Sie mir gütig diesen etwas burschikosen Terminus – uns gegenseitig, und sahen von Gottes schöner Welt nichts weiter, als unsere grüne Uniform.

Ein einziges Wesen, das nicht zum Militär gehörte, schenkte uns seine Gesellschaft: ein Mann von etwa vierzig Jahren. Seine Erfahrung in mancherlei Dingen hatte ihm unter uns eine gewisse Autorität verschafft, seine scharfe Zunge aber, sein herbes Wesen übten auf die jungen Leute nicht eben vortheilhaften Einfluß. Es umgab ihn ein gewisses Dunkel: er sah aus wie ein echter Russe und trug doch ausländischen Namen; er hatte, wie er sagte, auch in der Armee gedient, weshalb er aber so zeitig schon den Dienst quittirte und sich in ein so traurig Nest, wie Wologda es ist, zurückgezogen, wo er ein ebenso kostspieliges, als langweiliges Leben zu führen genöthigt war, das sagte er nicht. Das Wetter mochte sein, wie es wollte, stets ging er zu Fuß, gehüllt in einen abgetragenen schwarzen Paletot. Uns Officieren hielt er offene Tafel – freilich gab’s nicht mehr, als zwei bis drei Schüsseln, die sein Leibdiener und Factotum mit sehr bescheidener Kunst bereitet, dafür gab’s aber zur Entschädigung seiner Gäste Burgunder oder Champagner stets in Ueberfluß. – Niemand kannte seine Vermögensverhältnisse, seine sonstigen Hülfsquellen, es getraute sich auch Keiner ihn darum zu befragen, das ließ sein kurzes Wesen gar nicht zu. Seine Bibliothek bestand größtentheils aus militärischen Werken, auch einigen Romanen Gogol’s und Turgenjeff’s, die er bereitwillig auslieh ohne sie jemals zurückzufordern, ebenso gab er selbst auch niemals ein geliehenes Buch zurück.

Seine einzige Beschäftigung bestand in Pistolenschießen, und die Wände seiner Zimmer sahen von den Spuren der Kugeln, die darin eingeschlagen, wie das Innere eines Bienenstockes aus. – Eine reiche Sammlung schöner, werthvoller Pistolen bildete den einzigen Schmuck dieser Gemächer, seine Sicherheit im Schießen war so groß, daß sich Jeder von uns ohne alles Bedenken hätte einen Apfel vom Epaulette schießen lassen. – So oft wir unter uns von Duellen sprachen, nie mischte Sylvio – so hieß er – sich in’s Gespräch, und fragte ihn Jemand, ob auch er sich schon geschlagen, so bejahte er kurz, ohne sich auf Weiteres einzulassen – man merkte es ihm an, die Frage war ihm lästig; wir waren alle darum der Meinung, sein Gewissen peinige ihn vielleicht, daß er einst seiner Fertigkeit ein blutiges Opfer gebracht habe. In keinem Falle hätte ihn einer von uns für feig gehalten, wie es denn Leute giebt, deren Aussehen überhaupt solchen Verdacht gar nicht aufkommen läßt. Aus diesem Grunde setzte uns ein Vorfall in nicht geringe Verwunderung.

Eines Abends nämlich speisten wir, unser Zehn etwa, bei Sylvio zu Nacht, es wurde wie gewöhnlich scharf getrunken, und nach Tisch ersuchte man unseren Wirth Bank zu legen. Er lehnte es anfangs höflich ab, doch gab er den Bitten seiner Gäste nach, und warf fünfzig Ducaten auf den Tisch, wir setzten uns im Kreise und das Spiel begann. Wie stets verharrte er auch heute beim Spiel in tiefem Schweigen, als ein äußerst nobler Spieler stritt er niemals, ließ sich aber auch nie auf eine Erklärung ein; hatte er sich einmal zum Nachtheil eines Pointeurs geirrt, so zahlte er ihm ohne Weigern aus, was jenem zukam; sein Guthaben an die Spieler notirte er mit Kreide auf den Tisch – das war uns Allen längst bekannt. Heute aber war ein junger Officier in der Gesellschaft, der, vor Kurzem erst zum Regiment gekommen, Sylvio und dessen Manieren noch nicht kannte. Der Neuling spielte zerstreut, er bog ein Paroli, verlor es – Sylvio ergriff seine Kreide, und notirte es auf den Tisch. Der Lieutenant stutzte, bat ihn um Erklärung, doch, wie gewöhnlich, taillirte Sylvio ruhig fort; der Lieutenant wischte nun die Notiz vom Tische ab. Mit größter Ruhe erneuerte sie jener.

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 625. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_625.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)