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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

„Welch’ ein Glück, mein Liebling! es ist die kleine Elise Radziwill und Du mußt selber hinauf gehen zum Fürsten, ihm sein Kleinod zu bringen. Geh’, Fréderic!“ drängte die Gräfin, freudig erregt.

Aber die gewohnte Schüchternheit des Knaben war unter diesen Worten wieder zurückgekehrt, seine Erregung schwand, tiefe Blässe überzog sein Gesicht, die langen Wimpern senkten sich wieder. „Ich will keinen Dank,“ sagte er dann kurz. . „Bitte, gebt es ihm statt meiner!“ Noch einen langen Blick auf das süße Kindergesicht werfend legte er seinen Schatz in die schöne Hand seiner Schützerin.

„Nun so geh’, mein Kind, zum Flügel, man wartet schon längst auf Dich voll Ungeduld, wir dürfen jetzt ohne Vorwurf tanzen und fröhlich sein!“

Eine Schaar reizender Frauen drängte sich um den Knaben. „Lieber Chopin, kommen Sie!“ baten süße Stimmen und glänzende Augen. Man zog ihn fort an das Instrument.

Eine Viertelstunde später zeigte der Tanzsaal ein lebensvolles Bild. Am Flügel saß der junge Chopin und spielte die Tanzweisen seines geliebten Vaterlandes, und die vornehmen Paare wirbelten durcheinander. Wie oft hatte er schon so gespielt! Sie wollten ja Alle nur zu seinem Spiel tanzen, alle die schönen Aristokratinnen in dem Salon der Fürstin Czartoriska, Potocka und anderer Königinnen der großen Welt. – „Seine Finger sprühen Funken!“ sagte man scherzend von ihm, „wehe, wenn sein eigenes Herz einmal in Flammen aufgeht, wie er jetzt unsere Herzen in Flammen setzt; es würde eine Feuersbrunst werden, die Niemand löschen kann!“

Und die schlanken Finger glitten über die Tasten bald im Mazurka-Rhythmus, bald im Polonaisentempo, oder im Walzertact, und die Augen glitten träumerisch über jenes Wogen und Schweben der prächtigen Gestalten. Er sah alle das „Neigen von Herzen zu Herzen“, von dem der Dichter sagt:

„Ach, wie so eigen schaffet es Schmerzen! –“

In solchem Gewirr widerstreitender Empfindungen wurden sie geboren, jene Tänze Chopin’s, aus dieser bewegten Fluth stiegen sie auf, die Perlen jener Weisen, die man so liebte und bei deren Klängen ein so wunderbarer Rausch die Tänzer erfaßte.

Wie schön diese kleinen Hände spielten, wußten damals nur Wenige. Die Meisten sagten: „er allein spielt so, daß wir dazu tanzen können, wie wir eben mögen!“ Wie viel Liebesglück sah der junge Chopin unter seinen Augen aufblühen und welken, wie früh und mit welcher tiefen heimlichen Trauer lernte er erkennen, daß Alles vergeht und stirbt – und das Schönste am schnellsten: der Frühling und die Liebe. —

An jenem Abend im Tanzsaal des Schlosses Willanow stand eine hohe Männergestalt lange schweigend und regungslos hinter dem Flügel, und zwei ernste Augen verfolgten mit dem Ausdruck von Bewunderung die schlanken Finger, die da über die Tasten glitten. Fürst Radziwill, der geistvolle Musikfreund und Kenner, lauschte staunend dem Spiel des Knaben. Mit dem Sonnenschein der Freude auf der edlen Stirn sah die Fürstin Czartoriska ihn später lange mit dem jugendlichen Freunde ihres Sohnes reden, und sah das Knabenantlitz freudig aufleuchten. Erst am andern Tage erfuhr sie aus Chopin’s Munde, wie der Fürst ihm gedankt für das wiedergefundene Kleinod. Anton Radziwill übernahm die fernere musikalische Ausbildung des Knaben auf dem Conservatorium zu Warschau unter der Leitung des vortrefflichen Elsner.

Am Abschiedstage spielte Chopin noch stundenlang vor seinem scheidenden Gönner im Salon der Fürstin Czartoriska, und in dem Boudoir der gefeierten Frau lauschten verschiedene Freunde des Hauses diesem seltenen Genuß, denn der wunderliche Knabe war sonst nie zu bewegen, außer zum Tanz, vor einem größeren Kreise zu spielen.

Aber auch der Fürst Radziwill setzte sich an den Flügel, um seinen dankbaren Zuhörern Bruchstücke aus jener wunderbaren Schöpfung „Faust“, die damals seine Künstlerseele erfüllte, zu geben, und er erklärte dem erregten Chopin den Zusammenhang des Ganzen und den Bau des Einzelnen. Die ergreifenden Osterchöre schwebten daher und die Augen des jugendlichen Hörers schimmerten freudig bei diesen Klängen aus einer besseren Welt.

„Sie müssen später nach Frankreich und Italien gehen und dann Rast halten bei mir in Berlin,“ sagte endlich der Fürst, „dann sollen Sie das ganze Werk hören und in vollendeter Ausführung, wie ich hoffe! Geben Sie mir die Hand darauf, daß Sie kommen!“

Und eine schlanke, zarte Hand sank in eine kraftvolle Männerhand.

„Werde ich dann,“ fragte der Knabe stockend, „auch den kleinen Engel sehen?“

„Sicher! Aber er dürfte dann wohl ein großer Engel geworden sein,“ lautete die lächelnde Antwort.

„Darf ich das Bild noch einmal sehen?“

„Da ist es!“

Und der Fürst zog die Goldkapsel hervor, der Deckel sprang auf und zwei dunkle Augen vertieften sich noch einmal in das holde Kindergesicht.

„Wir lieben uns sehr,“ sagte er mit einer Stimme, die vor Rührung bebte, „diese meine einzige Kleine und ich, und können uns nicht lange missen. Gott segne sie!“




Etwa sieben Jahre später saß Fréderic Chopin in Berlin im Salon des Fürsten Anton Radziwill, nicht mehr der scheue Knabe, ein ernster, junger Mann, ein aufgehendes Künstlergestirn ersten Ranges. Diesmal flogen nicht polnische Frauen mit ihrer Grazie unter den Klängen seiner Weisen an ihm vorüber, man saß in lautlosen Gruppen umher und lauschte jenen wunderbar schwermüthigen Weisen, die Chopin Notturno’s, „Träumereien der Nacht“ nannte.

Die Aristokratie der Geburt und des Geistes und die Vertreter der Kunst waren in dem Musikzimmer des fürstlichen Hauses versammelt, dessen Honneurs die liebenswürdige Fürstin machte. Man sah den alten Zelter dort und den jungen Humboldt, Bernhard Klein und Louis Berger, Varnhagen und dazwischen eingestreut wie Blumen die reizenden Frauen.

Neben dem Flügel stand eine schlanke Mädchengestalt, das Köpfchen ein wenig geneigt, in einem einfachen, weißen Kleide, das bis zur Spitze der kleinen Füße herabfloß. Die rosigen Lippen waren halb geöffnet zu einem träumerischen Lächeln, der ganze Ausdruck des holden Gesichtes zeigte ein Gemisch von Wehmuth und Entzücken. Tief gesenkt deckten die langen Wimpern die seelenvollsten Augen, ihr Blick hing unverwandt an jenen Händen, die eben die letzten Tacte des C-moll-Notturno’s spielten. Die ganze Erscheinung erinnerte an die zarte Schönheit einer eben erblühten weißen Rose. Es war die Prinzessin Elise Radziwill. Und als Chopin geendet, begegnete er zwei Augen, die in hellen Thränen standen. Und tiefer noch als damals beim Anschauen jenes Kinderbildes empfand die Künstlerseele vor dieser Mädchengestalt: „sie ist ein Engel!“

Die Prinzessin Elise Radziwill war die erste deutsche Frau, die den Zauber dieses wunderbaren Spieles und der wunderbaren Schöpfungen Chopin’s voll empfand und sich ihm rückhaltlos überließ. „Nie hörte ich solche Melodieen und nie werde ich Herzergreifenderes hören,“ sagte sie wiederholt, und während seines Aufenthaltes in Berlin hatte Chopin keine begeistertere Verehrerin dort, als die junge Fürstin. Fast jeden Abend verlebte der Schützling Radziwill’s im Musiksaale seines hohen Gönners, und man musicirte dort bis tief in die Nacht hinein. Dort war es auch, wo Chopin den Fürsten Cello spielen hörte, mit wahrer Meisterschaft, und den größten Theil des „Faust“ und die Gretchenlieder sang die süße Stimme der Prinzessin.

Schöne helle Tage zogen an dem jungen Musiker vorüber; es gab Stunden, wo er den Schmerz des Scheidens aus der theuern Heimath, an der seine Seele so leidenschaftlich hing, vergaß. Aber sie nahmen ein Ende; Chopin zog weiter nach Frankreich.

Eine weiße Rose schenkte die Prinzessin dem neuen Freunde beim Abschied. „Auf Wiedersehen!“ lächelte sie ihm zu.

Kaum zwei Jahre später lagen Kränze von weißen Rosen auf den Särgen von Vater und Tochter. Fürst Radziwill, der Componist der Osterchöre, starb in der Osternacht des Jahres 1833 und wenige Monate später folgte ihm sein geliebtes Kleinod.




Wieder sind Jahre im schnellen Fluge dahingezogen. Chopin spielt in einem kleinen Salon. Die Fenster stehen weit offen; eine helle Nacht, die glühende Nacht des Südens liegt auf der Erde. Eine fremdartige Vegetation ist es, die dem Auge begegnet, denn der Boden, auf dem die kleine grünumrankte

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 633. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_633.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)