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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

geselliges Leben, sie haben ein freundliches Clublocal mit vielen deutschen Zeitungen und Manche von ihnen hübsche Sommersitze in der Nähe der Stadt, um dort unter den fächerblätterigen Morichepalmen und prachtvollen Mangobäumen die Sonntage zu verbringen. Ich selber werde Bolivar immer eine liebe Erinnerung im Herzen tragen, denn die guten Menschen dort haben mir die kurze Zeit meines Aufenthaltes zu einem Festtag gemacht und mich von allen Seiten mit Liebe überschüttet. Ich war ihnen kein Fremder, den der Zufall an ihre Küste geweht, und die Tage vergingen mir nur zu rasch.

Aber auch Präsident Dalla Costa nahm mich mit wahrer Herzlichkeit auf und war eigentlich die Veranlassung, daß ich Bolivar früher wieder verließ, als ich anfangs beabsichtigt hatte, indem er mir alle ihm zu Gebote stehende Mittel bot, um mir die Reise in die Goldminen Venezuelas – ein etwas anstrengender Spazierritt, wenn man so schon recht von Herzen wandermüde ist – zu erleichtern. Aber es war einer der interessantesten und vielleicht für Venezuela wichtigsten Punkte, die ich in dem weiten Land gesehen, und ich kann ihm nur aufrichtig dankbar dafür sein.

Angostura selber ist regelmäßig gebaut, so viel es wenigstens der mit Steinen übersäete Hügel, auf dem sie steht, erlaubt. Sie hat aber insofern eine nicht besonders günstige Lage, als dicht unter ihr eine weite Lagune einmündet, die in der trockenen Jahreszeit ihr Wasser so ziemlich vollständig verdunstet, und dadurch zuweilen Fieber erzeugt, wie zahllosen Insectenschwärmen Vorschub leistet. Dalla Costa aber, der schon viel für die Stadt gethan und besonders in letzter Zeit neue breite Wege darum her geöffnet hat, beabsichtigt ebenfalls die Lagune trocken zu legen, und das würde eine Wohlthat für die Stadt werden.

Der interessanteste Punkt in Bolivar ist das eigentliche Ufer des Orinoco und die beiden Häfen oder Anlandungsplätze, der eine oben für die kleinen Fahrzeuge, der andere etwas weiter unterhalb für Schiffe und Dampfer. Nähert man sich der Stadt, so sind es besonders die waschenden Negerfrauen, welche die Aufmerksamkeit gleich und entschieden fesseln, und man muß wirklich Waschfrauen in Venezuela selber gesehen haben, um sich einen richtigen, aber dann auch höchst lohnenden Begriff von ihnen zu machen. Es ist ein wahrer Genuß.

Diese nützlichen Wesen haben sich nämlich eine so praktische als malerische Tracht geschaffen, die man aber eigentlich mehr malerisch als schön, auf keinen Fall frauenhaft nennen könnte. Sie müssen fortwährend mit Füßen und Armen im Wasser sein, möchten sich aber auch nicht gern die Kleider naß machen und haben deshalb etwas erfunden, was sie nicht zwingt ohne Kleider zu erscheinen, aber auch zu gleicher Zeit Alles entfernt, was ihnen im Weg ist. Ihre Röcke stecken sie dabei so zusammen, daß sie wie weitbauschige, oft sehr kurze Schwimmhosen aussehen, die Arme sind vollständig entblößt und Halstücher fehlen gänzlich; so kommt es denn, daß man, wenn man sie von Weitem sieht, gar nicht recht weiß, ob es Männer oder Frauen sind, und nähert man sich ihnen und hört ihre Baßstimmen, so wird man erst recht irre. Man sieht oft zwanzig und dreißig von ihnen auf den großen braunen Steinplatten, unmittelbar am Wasserrand wirthschaften. Die Wäsche maltraitiren sie freilich auf das Grausamste; die feinsten Hemden werden auf eine Weise geschlagen und auf den Steinen abgerieben, daß es nur als ein Wunder erscheint, wenn sie eine einmalige derartige Behandlung aushalten, aber jedenfalls amüsiren sie sich vortrefflich dabei, denn das Lachen und Schwatzen, Schreien und Jubeln während ihrer Arbeit läßt sich kaum beschreiben.

Bunt genug sieht der Platz dabei ebenfalls aus, denn der braune dunkle Stein bildet einen vortrefflichen Hintergrund zu dem lebendigen Bild, auf dem sich die ausgebreitete und hie und da aufgeschichtete Wäsche ganz vortrefflich macht. Dazwischen sieht man auch eine Anzahl lebender Kinder und junger Mädchen, die sich vor einem vorbeitreibenden Canoe, in dem sie keinen Fremden, sondern nur Eingeborene vermuthen, nicht im mindesten geniren.

Ein kleines Stück weiter unten hat ein großer indianischer Bungo (ein großes Canoe) angelegt, das Casave, Hängematten und Schildkröteneier den Strom herabgebracht. Es sind Caraiben, und zwischen den Steinen, unmittelbar am Flusse, haben sie sich ihr Zelt aufgeschlagen, das heißt, nur eine Decke zwischen Stöcken schräg ausgespannt. Merkwürdiger Weise sind aber bei diesen die Männer weit mehr bekleidet, als die Frauen, und die jungen Mädchen besonders tragen nur eine Art von sehr kleinem Schurz und ein buntes Stück Zeug um die Taille, während die Indianer selber meist immer eine Art Poncho, oder hier Cobija genannt überhängen haben. Während diese aber ihre langen, dünnen Cigarren rauchen, kochen die Frauen vorn, dicht am Wasserrand, und setzen sich die kleinen Kinder in und außer dem Wasser herum. Die Furcht vor Kaymans scheint hier lange nicht so groß zu sein, als weiter oben im Apure.

Noch weiter unterhalb liegt eine Menge von Canoes, die eine Ladung stromab gebracht haben, oder sich eben wieder fertig machen, in ihre Heimath aufzubrechen. Andere halten über den Strom hinüber, einem dort angelegten kleinen, sehr unbedeutenden Städtchen zu, das in der Provinz Barcellona liegt. Nur die Felsenmasse ist ihnen dabei etwas im Wege, die Bolivar gerade gegenüber mitten aus der Fluth emporragt und sonderbarer Weise einen einzigen Baum auf ihrem Rücken trägt. Bei sehr hohem Wasserstande sollen jene jetzt ziemlich bedeutenden Felsmassen fast ganz von der Fluth bedeckt sein und dann eine furchtbare Strömung an ihnen vorbeirauschen. Jetzt fing die Regenzeit erst an und der Fluß konnte kaum vier bis fünf Fuß gewachsen sein.

Ich darf aber Angostura nicht verlassen, ohne eines Deutschen zu erwähnen, der so lange in Venezuela lebt, daß er dort nicht allein Kinder und Enkel, nein, sogar fünf Urenkel gezogen und außerdem jetzt den Namen Angostura in der ganzen Welt verbreitet hat. Ich meine den alten Herrn Dr. Siegert, einen der geachtetsten Leute in der Stadt und den Verfertiger des berühmten Angostura-Bitteren, ohne den jetzt schon weder Dampfer noch Segelschiff mehr die See befährt. Er ist mit einer Dame aus Venezuela verheirathet, und diese soll eigentlich – wie denn die dortigen Frauen überhaupt die meiste Kenntniß von einheimischen Pflanzen und Kräutern besitzen – das Geheimniß der Zusammenstellung entdeckt haben. Im Anfang wurde der bald beliebte Bittere denn auch nur im Kleinen fabricirt. Wie er aber mehr und mehr bekannt wurde, stieg der Bedarf mit der Nachfrage derartig, daß Herr Dr. Siegert seine beiden Söhne mit in das Geschäft nehmen mußte und jetzt die ganze Fabrikation wie den Versand großartig betreibt. Die venezuelanische Regierung wollte den Namen Angostura verwischen und den von Bolivar an seine Stelle bringen, aber unser deutscher Landsmann litt es nicht, sondern setzte dem alten durch seinen Angostura-Bitteren ein wenn auch flüssiges, doch bleibendes Monument.

Die Geschäfte liegen jetzt dort ziemlich darnieder – und wo ist in diesem Augenblicke eigentlich ein Platz in der ganzen Welt, wo sie blühen? Die Revolution kann aber doch nicht ewig dauern, und gewinnen die etwa sechszig bis siebenzig Leguas von Bolivar gelegenen Minen wirklich die Bedeutung, die sie ihrem Reichthum nach verdienen, so muß sich dort rasch Alles heben. Uebrigens befinden sich unsere deutschen Landsleute dort vortrefflich, und trotzdem daß sie, weit von der Heimath entfernt, gewissermaßen mitten in der Wildniß wie in einer Oase leben, haben sie ihr Herz noch dem alten Vaterlande zugewandt und nehmen das größte Interesse an seinen Fortschritten. Auch von ihnen gilt das Nämliche, wie von den übrigen Deutschen überall im Auslande: sie kennen keinen Particularismus – sie wollen ein einiges, großes, deutsches Vaterland und begrüßen mit Jubel jede Nachricht von daheim, die ihnen kündet, daß der norddeutsche – hoffentlich bald der deutsche – Bund wächst und sich kräftigt. Sie wissen am besten, daß nur dann unser Volk, unser Name auch im Auslande geachtet sein kann, wenn wir fest vereinigt stehen und dadurch den Rang unter den Nationen einnehmen, der uns gebührt.



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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 636. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_636.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)