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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

und Stege waren abgeworfen, die große steinerne Brücke aber in der Mitte durch ein Bollwerk abgeschlossen, hinter welchem in einiger Entfernung dunkle Geschützmündungen gähnten, bereit, den andrängenden Feinden das Verderben entgegenzuschleudern.

Die Vorbereitungen waren beinahe vollständig getroffen. Truppweise hatten die Soldaten am Ufer dahin in den Gärten, unter den Arcaden der Curgebäude und in den Büschen an der Saale entlang sich aufgestellt und waren geschäftig, sich für die Nacht einzurichten; denn da die Ankunft der Preußen jeden Augenblick erwartet werden durfte, wurde nicht mehr in die Quartiere zurückgekehrt, sondern befohlen, sie im Bivouac zu erwarten. Es war abgekocht und die Abendmahlzeit rasch beendigt; wie allmählich die Finsterniß immer tiefer und tiefer hereinbrach, wurden hie und da erlöschende Feuer sichtbar, die wie unheimliche Wächteraugen aus dem Dunkel hervorglotzten.

Bald lastete, wie vor dem Ausbruche des Gewitters, über dem ganzen Thalgrunde schwüles, düsteres Schweigen, nur von dem eintönigen Ruf der Wachen und der verhallenden Antwort wie von fernem Rollen des Donners unterbrochen.

Bei einer Abtheilung baierischer Jäger, welche etwas weiter stromabwärts an einem Grasabhang gelagert war, ging es dagegen noch ziemlich laut und fröhlich her. Die Aufstellung war unweit einer Mühle genommen, und durch Gebüsch und die Kronen einiger Lindenbäume so ziemlich gedeckt, falls die immer trüber werdende Nacht ihre Drohung verwirklichen und sich in Regen entladen sollte. Die kurzen Stutzen mit den dunkel angelaufenen Haubajonneten und dem schwarzen Riemenwerk waren in Pyramiden zusammengelehnt; daneben saß die Mannschaft auf ihren Tornistern, im Kreise gereiht, in dessen Mitte ein mattes Feuer zu Kohlen herabgeglommen war. Frühreife Kartoffeln, von einem der nächsten Felder geholt, brieten an der Gluth und schienen eine Art Nachtisch bilden zu sollen, während Einer der Jäger mit so lauter Stimme vorsang, als steckte er noch in der Bergjoppe und nicht in dem blauen, grüneingefaßten Rocke, als säße statt des Helms noch der leichte, grüne Jägerhut mit Feder und Gemsbart auf seinem Kraushaar. Obwohl er durch den Anzug etwas verändert aussah, hätte doch, wer ihn etwa aufgesucht, in dem Burschen Ambros wiedererkannt, wäre es auch nur an der hastigen Gelenkigkeit gewesen, mit welcher er von Zeit zu Zeit in den Zwischenräumen des Gesanges den Abhang hinanlief, um bei den nächsten Posten nachzufragen, ob keine neue Meldung gekommen, oder auf den Wunsch der Cameraden unter den unfern liegenden zerstreuten Häusern der Vorstadt ein Wirthshaus auszufinden und einen ersehnten Labetrunk herbeizuschaffen; es schien, als sei es ihm unmöglich, lange an einem Orte, in derselben Stellung und bei der gleichen Beschäftigung auszuhalten, wie Einem, der eine wichtige Wendung seiner Geschicke erwartet, und ihr, wenn auch nicht eben freudig, doch mit Spannung entgegensieht, weil er von ihr die Lösung eines Geheimnisses hofft und das Aufhören eines unerträglich gewordenen Zustandes erwartet.

Eben war er wieder an seinen Platz zurückgekehrt, und für einen Augenblick hatte sich tiefes Schweigen auf die Versammelten herabgelassen; sie waren in allerlei Gedanken vertieft, und wie es bei einer Truppe die noch nie im Feuer gewesen, wohl erklärlich ist, mochten die Meisten, Jeder nach seiner Weise, es überdenken, daß sie am Vorabend des Tages standen, an welchem sie zum ersten Male einem ernsten Kampfe mit allen seinen möglichen Folgen entgegengehen sollten. Es waren meist Bauernbursche, welche das Loos unter die Fahne gerufen hatte, darunter ein paar Handwerker, Bürgerssöhne aus kleineren Städten, welche mit schwerem Herzen ihr Gewerbe zurückgelassen hatten, weil sie nicht im Stande waren sich einen Ersatzmann zu kaufen. Etwas seitwärts saß eine feinere, schlanke Gestalt, deren Haltung und Aussehen den von seinem Arbeitstisch weggerissenen Studenten vermuthen ließ. Er hatte den Kopf in die Hand gestützt und summte eine alte Volksweise vor sich hin zu den Worten des bekannten Reiterliedes:

„Morgenroth, Morgenroth,
Leuchtest mir zum frühen Tod!“

„Das ist ein trauriger Gesang für einen Soldaten,“ unterbrach ihn Ambros. „Das lautet ja, als ob’s schon zum Eingraben ging’,“ und mit frischer, wenn auch etwas gedämpfter Stimme begann er eines seiner heimathlichen Lieder zu singen, daß die Cameraden, aus ihren düsteren Gedanken aufgeweckt, sich bald ihm zuwendeten und in den am Schlusse immer wiederkehrenden Jodler einstimmten. Ambros sang:

„Jetz steck’ ich drei Federn
Verkehrt auf’n Huet,
Und den möcht’ ich seg’n,
Der mir’s ’ra’nehma thuet!

Jetz werd’ ich mir kaffa
An Ring und a Büchs,
Der Ring gehört zum Raffa (Raufen),
Zum Schießen die Büchs!

Die Büchs trifft in d’ Fern,
In der Nähet der Ring –
Kommt’s her, wer a Schneid hat!
Mir is’s fredi (gleichwohl) ein Ding.“

Ueber dem Singen und der allgemeinen Lustigkeit hatten die Bursche nicht gewahrt, daß, durch die laute Unterhaltung herbeigezogen, der Oberjäger herangetreten war. Es war ein älterer, schon etwas beleibter Mann, der in den langen Friedensjahren sich in Ehren die wollenen Borten auf dem Kragen erworben hatte und der Vater und Liebling der ganzen Compagnie war. „Recht so, Cameraden,“ sagte er, „das ist die Art, die sich für richtige baierische Soldaten schickt, wenn sie dem Kampfe entgegengehen! Ein fröhliches Lied macht ein fröhliches Herz – da werdet Ihr morgen auch gutes Muthes sein, wenn’s in’s Feuer geht.“

„Ho, warum sollten wir nit?“ rief Ambros lachend. „Ich meinestheils, ich kann’s kaum erwarten, bis’s zum Dreinschlagen kommt.“

„Nun,“ sagte der Oberjäger, „ich bin schon meine fünfzehn Jahre Soldat und werde mich gewiß nicht schlecht finden lassen und meinen Mann stehen – deswegen aber könnt’ ich doch nicht sagen, daß ich mich auf das Dreinschlagen freute. Du bildest Dir wohl ein, eine Schlacht sei als wie eine Rauferei bei Dir daheim auf der Kirchweihe?“

„Sei’s wie immer,“ sagte der ehemalige Student; „es ist traurig genug, daß es so weit hat kommen müssen, und daß wir Deutsche nun Deutschen als Feinde gegenüberstehen.“

„Deutsche?“ rief Ambros. „Ich hab’ mir sagen lassen, die Preußen sollen gar keine richtigen Deutschen sein, und wenn sie’s auch wären, ich kann sie einmal nit leiden und ich freu’ mich drauf, wenn wir einmal an’s Abraiten (Abrechnen) kommen.“

„Ho, ho,“ fragte der Student lachend, „was haben die Preußen wohl Dir so Besonderes zu Leide gethan?“

„Mir?“ fragte Ambros, und es ward ihm wieder heiß um den Kopf. „Ist’s etwa nit g’nug, was sie uns Allen miteinander anthua? Ist’s nit g’nug, daß sie uns so in’s Land fallen und unsern König zwingen wollen, daß er thun soll, wie sie’s haben wollen – blos deswegen, weil sie sich für die Stärkern halten? Ich mein’, das thät’ schon langen, daß wir sie mit blutige Köpf’ heimschicken! Aber ich hab’ auch für mich selber was auszumachen mit ihnen. Ich bin d’rum und d’ran gewesen, mich auf einem prächtinga Hof hinzusetzen und ein reicher, richtiger Bauer zu werden. Aber ich hab’ Alles hinten g’lassen und bin freiwillig zu’gangen und als Ersatzmann eing’standen für an Andern, nur daß ich meine Rechnung gleich machen kann.“

„Nun, und was haben sie Dir denn gethan?“ fragte der Student wieder.

„Das kann ich kein’ Menschen sagen,“ erwiderte Ambros trotzig nach einigem Besinnen. „Aber ich spür’s inwendig in mir, und werd’s gespüren, so lang mir das Herz nit still steht … Es geht auch sonst kein’ Menschen was an, als mich selber!“

„Je nun,“ begann der Student, „wer weiß auch, ob es morgen wirklich zum Kampfe kommt? Ein so berühmtes, von allen Nationen besuchtes Bad wie Kissingen gehört zu den neutralen Orten, welche im Kriege gewöhnlich verschont bleiben. Ich meine auch, gehört zu haben, als sei zwischen Oesterreich und Preußen hierüber ein eigener Vertrag abgeschlossen worden. So kann es wohl geschehen, daß es bei der bloßen Aufstellung bleibt und der Kampf auf anderen Punkten sich entwickelt.“

„Wär’ mir nit lieb,“ rief Ambros. „Am liebsten möcht’ ich auf der steinernen Brucken hinter dem Verhau steh’n, damit ich gleich Einer von die Ersten wär’, die mit denen Preußen zu thun kriegen.“

„Es scheint, Dich juckt das Fell gehörig,“ rief der Oberjäger. „Aber sorge nicht, daß wir nicht auch vollauf zu thun bekommen! Ich denke, wenn die Preußen über den Fluß wollen, werden sie

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 643. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_643.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)