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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

es eben nicht bloß bei der Brücke versuchen, herüber zu kommen, sondern überall, wo’s eben angeht.“

„Nun, an mir soll’s nicht fehlen,“ sagte Ambros. „Aber dann muß ich mich wundern, daß an dem Steg, den wir da unten bei der Mühl’ seh’n, bloß die Bretter und Balken weggenommen sind und daß man die Joch’ und sogar die Geländer steh’n gelassen hat!“

„Du überkluger Bursch’,“ entgegnete der Oberjäger, „hüte Deine Zunge und überlasse diese Anordnungen Leuten, die das besser verstehen. Das Räsonniren schickt sich nicht für einen Soldaten.“

„Räsonniren!“ sagte Ambros. „Das thu’ ich ja nit. Ich bild’ mir nur ein, wenn über dem Wasser da drüben mein Schatz wär’ und thät auf mich warten – ob ich mich wohl viel d’rum kümmern thät und aufhalten ließ dadurch, daß die Bretter auf der Brucken fehlen!“

„Ja,“ sagte der Oberjäger spöttisch, „in Deinen Bergen könntest Du so was wohl probiren – wenn drunten kein Wasser ist und drüben keine Schützen steh’n mit Zündnadelgewehren!“

„Meinetwegen,“ sagte Ambros, „die Officier’ müssen das besser wissen. Ich fürcht’ mich nit, wenn die Preußen auch herüberkommen. Zu stark sind’s uns nit, das weiß ich gewiß – wenn’s uns nur nit zu pfiffig sind!“

„Also auf morgen, Cameraden!“ sagte der Oberjäger, während ein fernes Trommelsignal die Stunde verkündete, in welcher es auf allen Lagerplätzen und Bivouacs zur Ruhe kommen mußte. „Legt Euch schlafen die paar Stunden, die wir noch vor uns haben, damit Ihr morgen gehörig dabei sein könnt, und vergeßt nicht auf Euer Nachtgebet. Es könnte leicht das letzte sein, das Einer verrichtet.“

Bald hatten sich Alle auf Tornister und Mantel zur Ruhe hingestreckt; wieder war weit und breit kein Laut mehr vernehmbar, als das melancholische Rauschen der Saale und die immer wiederkehrenden eintönigen Rufe der Wachen, welche gleich lebendigen Uhren die Stunden der Nacht zählten, bis die letzte langsam abgerieselt war, bis das Dunkel zum Morgengrauen verblich und in den vollen Tag überging.

Die Truppen waren längst an ihren Posten bereit, und mit der bangen Spannung der Ungeduld flog mit der Morgenhelle die Nachricht unter ihnen hin, daß ein Häuflein Freiwilliger, das von der Barricade auf der Hauptbrücke aus auf das andere Ufer auf Kundschaft hinübergegangen war, mit der Meldung zurückgekommen war, sie seien jenseits bereits einer Schaar preußischer Reiterei ansichtig geworden. Der Hall einzelner ferner Flintenschüsse bestätigte das und weckte bald die schlummernden Wälder auf den Höhen aus dem letzten Morgentraum des Friedens. Kampfbereit lauschte Alles auf jeden Laut, welcher verrathen könnte, wann der Feind wirklich erscheine und wo er zuerst anzugreifen gedenke. Da quoll von den Hängen des Simbergs über den Thürmen und Dächern des Städtchens ein weißgrauer Qualm empor, ein mächtiger Schlag erschütterte die Luft – die baierischen Kanoniere hatten den ersten Schuß abgefeuert; sie sahen also von ihrer Höhe bereits den anrückenden Gegner, und ihr wildes Hurrah-Rufen zeigte, daß sie, was sie sahen, auch zu erreichen gewußt hatten. Es währte nicht lange, so donnerten die preußischen Batterien den Gegengruß herüber, und das Prasseln der Häuser und Dächer, auf welchen die ersten Kugeln einschlugen, ließ erkennen, daß sie nicht minder gut zu zielen verstanden. In wenig Augenblicken stürmte der Vortrab preußischer Füsiliere in vollem Laufe von der Höhe die Straße herab, welche gegen die verbarricadirte Hauptbrücke führte, unbekümmert um das Feuer der auf dem Straßendamme dahinter aufgeführten Geschütze und die Gewehrsalven der Schützen, welche die anliegenden Häuser besetzt hatten. Bald standen sich die feindlichen Schaaren, nur durch den Fluß getrennt, überall gegenüber; Stutzen knallten, Musketen knatterten von beiden Seiten, übertönt vom Blasen und Rasseln der Signalzeichen, vom Rufen der Commandirenden und vom Hurrah der Schützen, welche getroffen, oder dem wilden Aufschrei eines Verwundeten.

(Fortsetzung folgt.)




Ein Liebling der Berliner.

In der Werkstätte des wohlhabenden Schlossermeisters Helmerding arbeitete dessen Sohn Karl an einem neuen Wagenbeschlag so fleißig, daß die Funken von dem Ambos stoben. Dazwischen erzählte er den Gesellen allerlei Schnurren und Schwänke, worüber sie laut auflachen mußten. Mit dem ihm eigenen Mienenspiel copirte er dazu die ganze Nachbarschaft, den „dicken Budiker“ im Eckladen, den betrunkenen „Droschkenkutscher“ auf dem „Moritzplatz“, den „Milchmann“ aus „Schöneberg“, den Schusterlehrling aus dem gegenüberliegenden Keller, vor Allen aber ahmte er die berühmtesten Schauspieler der damals noch blühenden Königsstadt, den unvergleichlichen „Beckmann“ und den lustigen „Plock“ so ausgezeichnet nach, daß seine Zuhörer Augen und Mund vor Bewunderung aufsperrten.

Als aber ein lauter Husten die Ankunft des würdigen Vaters und Meisters verkündigte, da machte der „Teufelsjunge“, wie ihn alle Gesellen nannten, ein so ernsthaftes Gesicht, als ob er nicht bis Drei zählen und kein Wässerlein trüben könnte, indem er zugleich mit Hammer und Feile geschickt zu hantiren wußte.

„Det lob’ ick mir,“ sagte der Alte beifällig nickend. „Handwerk hat immer einen goldenen Boden und nährt am besten seinen Mann. Ein geschickter Schlosser ist noch mehr werth als solch ein Maler, oder gar als ein Komödiant, der am Hungertuche nagen muß. Bald hast Du ausgelernt, Karl, und denn bist Du ein ‚gemachter Mann‘.“

„In jedem Falle bin ich ‚gemacht‘,“ versetzte der lustige Karl, der als ein echtes Berliner Kind nicht so leicht einen Witz oder eine ‚schnoddrige Redensart‘ unterdrücken konnte.

„Ich sehe schon,“ erwiderte der Vater wider Willen lachend, „daß an Dir Hopfen und Malz verloren ist. Aber Du kennst auch meinen Entschluß: Zwei Jahre bleibst Du in der Lehre und arbeitest als Schlosser, dann bist Du frei und Dein eigener Herr. Meinetwegen magst Du Maler oder auch Schauspieler werden, wenn Du durchaus ein Künstler, das heißt ein Hungerleider, werden willst.“

Der Sohn schwieg, da er wohl wußte, daß mit dem Vater nicht zu spaßen war, wenn der einmal ein Wort gesagt hatte. Dabei blieb es auch, denn der Alte war einmal, wie die meisten ehrenwerthen Bürger aus früheren Zeiten, ein entschiedener Gegner von Allem, was Kunst hieß, am meisten aber war ihm das Theater zuwider, obgleich er sonst in allen anderen Dingen ein sehr verständiger und guter Mann war.

Um so mehr schwärmte Karl für die Bretter, welche die Welt bedeuten, und es gab für ihn kein größeres Vergnügen als eine Aufführung im Königsstädtischen Theater, wo er zu den Habitués der Galerie zählte. Schon als Kind kannte er keine andere Freude, als Komödie mit seinen Puppen zu spielen, zu denen er sich die Decorationen und Costume selbst malte, da er auch eine entschiedene Anlage zum Zeichnen besaß.

Nachdem er einige Jahre das Gymnasium besucht hatte, wollte er durchaus ein Künstler werden. Nur ungern ertheilte ihm endlich der Vater auf vieles Bitten die Erlaubniß, die Berliner Malerakademie besuchen zu dürfen, wo er einige Zeit den Unterricht eines geschickten Zeichenlehrers, des Professor Otto, genoß und nicht unerhebliche Fortschritte machte. Wenn Helmerding kein Raffael wurde, so trug allein seine unbezwingliche Liebe zum Theater Schuld. Aber der Vater wollte weder von der Malerei, noch von der Komödie etwas wissen und erklärte kategorisch, daß Karl zunächst ein Schlosser werden und mindestens zwei Jahre Schlüssel, Schlösser und ähnliche Arbeiten verfertigen sollte.

Erst als die ihm gestellte Frist abgelaufen war, durfte Helmerding dem Rufe seines Genius folgen und mit Bewilligung des Vaters die Bühne betreten. Sein erstes Debüt fand auf einem der zahlreichen Berliner Liebhabertheater „hinten“ unter

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 644. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_644.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)