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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)


dann binden wir ihn in ein Boot und bringen ihn an einen anderen Strand, denn er hat in unsere Rechte gegriffen.“

Als wir in die Nähe des Dorfes kamen, bot sich unseren Blicken ein überaus anmuthiges Bild. Die Männer und Kinder, welche daselbst zurückgeblieben und bereits von der Ankunft des fremden Besuches durch einen schnellfüßigen Knaben unterrichtet worden waren, standen zu beiden Seiten des Weges in größeren und kleineren Gruppen auf den Hügeln, welche den Vorder- und Mittelgrund zu der im Prospect befindlichen Anhöhe bildeten, und aus der letzteren hielt die kleine hölzerne Dorfkirche, umschattet von einer gewaltigen Eiche und riesigen Tannen, ihr schiefes Thürmchen so naiv, so still und so erquickend friedlich wie zur Begrüßung der Fremden empor. Zwar schimmerte sie nicht, wie Conradin Kreutzer’s Capelle, „so hell und so rein“ – denn die scharfe Seeluft bräunt nicht nur die Wangen der Menschen – aber auch sie lud zum Beten ein; denn ihre kleine gastliche Pforte war es, durch die jetzt eine Menschenmenge einströmte, so groß wie das stille Kirchlein wohl nie in seinen vier Wänden gesehen.

Wir hatten schon vorher von den Runoern, die alle der lutherischen Confession angehören, erfahren, daß sie bereits seit zwei Jahren ohne Pastor oder sonstigen Seelsorger seien. Nach ihren eigenen Erzählungen und nach vorhandenen literarischen Mittheilungen scheinen sie von jeher oft mit ihren Pastoren, die immer Schweden waren, Streitigkeiten gehabt zu haben. Schweden gelten den Runoern, obwohl das Schwedische ihre Muttersprache ist, ebenso gut als Fremde wie Deutsche oder Russen, und es scheint, als wenn ihr stark ausgeprägter Insular-Egoismus, der selten intimere Beziehungen zu einem Fremden und nie eine völlige Aufnahme eines solchen in den großen Familienverband der Einwohnerschaft zuläßt, stärker selbst als ihre unverkennbare Frömmigkeit ist. Nach der trockenen, aller Pietät baren Art, wie sie über ihren letzten Pastor sprachen, scheinen sie den Geistlichen als nichts mehr denn einen fremden angestellten Dolmetscher der Sprache Gottes und als geschäftlichen Dirigenten der kirchlichen Angelegenheiten zu betrachten und ihr eigenes religiöses Gefühl von der pflichtgemäßen Thätigkeit des Geistlichen, des „fremden Mannes“, vollständig zu trennen. Ob diese kühle indifferente Haltung einzig und allein durch ihren Insular-Egoismus oder auch durch unrichtiges eigenmächtiges oder gar amtswidriges Benehmen früherer Pastoren entstanden ist, dürfte sich schwer feststellen lassen, obwohl letztere Vermuthung durch die Mittheilungen der Runoer und durch vorhandene Notizen auch einige Wahrscheinlichkeit erhält.

Von ihrem Verhalten gegen ihre Pastoren wird folgender gewiß ebenso charakteristische als komische Zug erzählt. Eine Anzahl höherer Officiere machte von Riga aus eine Lustfahrt nach Runoe. Da die Runoer Frauen, wahrscheinlich in Folge früherer nicht eben angenehmer Erfahrungen, eine traditionelle Scheu vor militärischen Uniformen hegen, so bekamen die auf der Insel zufolge mitgebrachter Speisen und Getränke guter Dinge gewordenen Krieger zu ihrem Leidwesen nur lauter Runoer masculini zu sehen, während das Eiland an Mitgliedern des zarten Geschlechtes völlig ausgestorben schien. Auf die Frage der Officiere, ob denn keine jungen Frauen und Töchter vorhanden seien, in deren Gesellschaft man ein lustiges Stündchen verbringen könne, antworteten die Runoer, daß so Etwas bei ihnen nicht Sitte, daß aber der Herr Pastor ein Fremder sei und deshalb wohl seiner Frau und Tochter die Erlaubniß zu dem Vergnügen gewähren würde.

Der Gottesdienst wird jetzt, und zwar so lange bis man ihnen, wie sie erwarten, in Arensburg einen neuen schwedischen Pastor besorgt, von dem Cantor („Vorsinger“) geleitet, der nichts als ein einfacher Runoer Bauer ist, der nur ein wenig besser lesen und schreiben kann, als die Anderen.


(Schluß folgt.)



Der Schuhplattltanz im bairischen Gebirge.[1]

Das ideale Moment des Tanzes liegt in der ungebundenen Entwicklung schöner Formen, ja man könnte fast sagen, wie vom Staate, in der vernünftigen Freiheit. Darin, daß jedes Paar wie ein zweispänniger Wagen durch den Saal galoppirt, liegt beinahe kein Tanz mehr. Das ist eine Hetzjagd, eine Spazierfahrt, bei der selbst die unbewußte Aesthetik, die wir in uns tragen, abgeworfen wird.

Von jeher waren die Gebirgsvölker im Tanze ausgezeichnet; aus ihrer eigenartigen Lebenssphäre, aus charakteristischen Naturerscheinungen sind die Vorbilder für denselben genommen. Dies gilt auch vom weitberühmten Tanze des bairischen Hochlandes.

„Es liegt eine starke Sinnlichkeit darin,“ sagt ein norddeutscher Schriftsteller[WS 1] in seiner Schilderung; aber diese Sinnlichkeit ist eine schöne, wie sich Goethe ausdrückt. Und wo sie nicht bis in’s Gebiet des Schönen reicht, da ist sie wenigstens gesund, denn ihr Boden ist die Kraft und ihr Ziel die Grazie.

Das Vorbild des Schuhplattltanzes (der nicht von „Schublade“ kommt, wie einst ein allerliebstes Fräulein meinte) ist dem Jägerleben entnommen. Es stammt vom Spielhahn und von der Auerhahnbalz.

Wenn sich das Frühjahr regt, wo das Eis noch tief in den Bergen liegt, wenn die erste Dämmerung graut, dann schleicht der Jägerbursch’ hinauf – lautlos zwischen den kahlen Aesten. Dort kreist auf dem flachen Schnee der schwarze riesige Auerhahn um die flatternde Henne. Er springt heran und flieht, er schnalzt und zischt und überschlägt sich in tollen Sprüngen. Ich finde kein anderes Wort – er tanzt.

Daß dies Gleichniß auch im Bewußtsein des Volkes lebt, das zeigen am besten seine Lieder.

„Wenn der Spielhahn d’Henna kleinweis zu ihm bringt,
Wenn er grugelt, wenn er tanzt und springt,
Und dann lern i’s von dem Spielhahn droben halt,
Was im Thal herunt die Diendln g’fallt.

Denn die Diendln die san
Ja grad nett, wie die oan,
Wer nit tanzt und nit springt,
Der bringt’s ninderscht zu koan,“

Und der Jägerbursch’ nimmt sich das gute Beispiel zu Herzen, wenn er „im Thal herunt“ auf den Tanzplatz geht.

Beim Schuhplattltanz sind die Rollen der beiden Geschlechter streng getheilt und zwar in der Weise, wie sie die Natur getheilt hat. Das eigentlich active Princip ist der Mann; ihm steht die Leitung, ihm steht das Ergreifen zu. Das Mädchen hat die Rolle des Erwartens. Der Beginn ist sachte. Wenn die jubelnden Triller des Ländlers in die Höhe steigen, tanzen sämmtliche Paare einigemal mit großer Gelassenheit herum. Plötzlich aber verlassen die Bursche ihre Mädchen. Sie dürfen sie nicht stehen lassen, denn das wäre selbst nach Bauerngalanterie eine Grobheit; sie müssen ihnen entschlüpfen – unbehindert, unversehens. Die Leichtigkeit, mit der die Mädchen sich unter dem erhobenen Arm des Tänzers durchwinden, mit der die Paare sich plötzlich lösen, macht diesen Moment ganz reizend. Dann kommen wilde, rasende Augenblicke.

Während die Mädchen sich sittsam um die eigene Achse drehen, springen die Burschen jählings in die Mitte und bilden dort einen inneren Kreis. Die Musik wird stärker. Sie beginnen zu stampfen und mit den braunen Händen auf Sohlen und Schenkel zu schlagen. Ein schrilles Pfeifen tönt dazwischen. Man muß diese baumlangen Kerle, man muß diese zolldicken Nagelschuhe gesehen haben, um zu ahnen, was das für ein Getöse wird. Der Boden dröhnt und die Decke zittert, die Musik wird stürmisch wie die Posaunen von Jericho – aber man hört sie kaum mehr. Hören und Sehen vergeht einem ganz. Mitten im Gewühl schlägt einer ein Rad, als müßt’ er den Kreuzstock in Splitter schlagen; ein anderer springt zu Boden, als sollte Alles in der nächsten Secunde parterre liegen.

Allmählich wird die Musik wieder mäßiger; die frechen Trompeten

  1. Unsere urheitere Illustration hat eine traurige Bedeutung erlangt dadurch, daß sie das letzte Werk des so hochbegabten und glücklichthätigen Künstlers geworden ist. Wie unsere Leser bereits aus den Zeitungen wissen, ist der aus Leipzig gebürtige Maler O. Rostosky im Laufe dieses Sommers in München gestorben.
    D. Red.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Fanny Lewald, Augsburger Allgemeine Zeitung, 1859, Nr. 238
Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 651. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_651.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)