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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

Töchtern auch einen Sohn einschloß! Er lebte so ganz in seinem häuslichen Glück, daß er wohl sagen konnte, „er gehe in seinen Arbeiten und seinem Hause ganz auf, es liege darin eine große Glückseligkeit, aber auch eine Mißlichkeit; denn in der Arbeit unterbreche ihn oft das Gefühl von Frau und Kindern, und mitten unter diesen schwärme ihm auch wieder die Arbeit im Kopfe herum.“ Dieses Glück erhielt mit dem Tode Nathanael’s seinen ersten und mächtigsten Schlag.

Schleiermacher’s Schmerz war gewaltig, aber er bekämpfte ihn auch gewaltig: eine wunderbare Weisheit, eine mildlächelnde Wehmuth war über sein ganzes Wesen gebreitet; so innig, so selig traurig blickten seine Augen. Es wurde Jedem heilig zu Muthe, der in diesen Tagen des Schmerzes Schleiermacher nahe kam.

Er geleitete seinen Sohn hinaus zur Ruhestätte; eine große Anzahl von Freunden Schleiermacher’s, seine übrigen Kinder, die Lehrer und Mitschüler Nathanael’s waren im Trauerzuge.

Der Vater stand am Sarge seines einzigen Sohnes, ihm die Grabrede zu halten. Seine Lippen zuckten schmerzlich, aber energisch legte sie der nach Fassung ringende Mann aufeinander, mir unendlicher Milde blickte er um sich, lautlose Stille entstand, – da rang sich leise das erste Wort von dem bekümmerten Herzen des Vaters und er begann jene einzige Rede, die in wunderbarer Mischung den Christ, den Vater, den Seelsorger der versammelten Gemeinde zeigt.

„Meine theuern Freunde, die Ihr hierher gekommen seid, um mit dem gebeugten Vater am Grabe des geliebten Kindes zu trauern! Ich weiß, Ihr seid nicht gekommen in der Meinung, ein Rohr zu sehen, das vom Winde bewegt wird. Aber was Ihr findet, ist doch nur ein alter Stamm, der soeben nicht bricht von dem einen Windstoß, der ihn plötzlich aus heiterer Höhe getroffen hat. Manch’ schwere Wolke ist über das Leben gezogen, aber was von außen kam, hat der Glaube überwunden, was von innen kam, hat die Liebe wieder gut gemacht; nun aber hat dieser eine Schlag, der erste in seiner Art, das Leben in seinen Wurzeln erschüttert. Ach, Kinder sind nicht nur theure, von Gott anvertraute Pfänder, für welche wir Rechenschaft zu geben haben, nicht nur unerschöpfliche Gegenstände der Sorge und der Pflicht, der Liebe und des Gebetes, sie sind auch ein unmittelbarer Segen für das Haus; sie geben leicht ebensoviel, als sie empfangen, sie erfrischen das Leben und erfreuen das Herz. Ein solcher Segen war nun auch dieser Knabe für unser Haus. Ja, wenn der Erlöser sagt, daß die Engel der Kleinen das Angesicht seines Vaters im Himmel sehen, so erschien uns in diesem Kinde, als schaue ein Engel aus ihm heraus, die Freundlichkeit unseres Gottes. Als Gott mir ihn gab, war mein erstes Gebet, daß väterliche Liebe mich nie verleiten möge, mehr von dem Knaben zu halten, als recht sei, und ich glaube, der Herr hat mir das gegeben. – Als ich ihm den Namen gab, den er führte, wollte ich ihn durch denselben nicht nur als eine theure, willkommene Gottesgabe begrüßen, sondern ich wollte dadurch zugleich den innigen Wunsch ausdrücken, daß er werden möge wie sein biblischer Namensahn, eine Seele, in der kein Falsch ist, und auch das hat mir der Herr gegeben. – Alle Hoffnungen, die auf ihm ruhten, liegen hier und sollen eingesenkt werden mit diesem Sarge. Was soll ich sagen? Es giebt einen Trost, den auch mir manch’ freundlicher Mund in diesen Tagen zugerufen hat; es ist nämlich der, daß Kinder, die jung hinweggenommen werden, doch allen Versuchungen und Gefahren entrückt und zeitig in den sichern Hafen gerettet sind. Diese Gefahren waren gewiß auch dem Knaben nicht ganz erspart; aber doch will dieser Trost nicht recht bei mir haften, wie ich bin, wie ich diese Welt immer ansehe als die, welche durch das Leben des Erlösers verherrlicht und durch die Wirksamkeit seines Geistes zu immer unaufhaltsam weiterer Entwickelung alles Guten und Schönen geheiligt ist.

Warum sollte ich nicht auch für ihn selbst auf die gute und gnädige Bewahrung Gottes hoffen? Auf andere Weise schöpfen viele Trauernde ihren Trost aus einer Fülle reizender Bilder, in denen sie sich die fortbestehende Gemeinschaft der Vorangegangenen und Zurückgebliebenen darstellen, und je mehr diese die Seele füllen, um desto mehr müssen alle Schmerzen über den Tod gestillt werden. Aber dem Manne, der zu sehr an die Strenge und Schärfe des Gedankens gewöhnt ist, lassen diese Bilder tausend unbeantwortete Fragen zurück und verlieren dadurch gar viel von ihrer tröstenden Kraft. So stehe ich denn hier mit meinem Trost und mit meiner Hoffnung allein auf dem bescheidenen, aber doch so reichen Worte der Schrift: ,Es ist noch nicht erschienen, was wir sein werden, wenn es aber erscheinen wird, werden wir sehen, wie er ist, und auf dem kräftigen Gebete des Herrn: ,Vater, ich will, daß, wo ich bin, auch die sein sollen, die Du mir gegeben hast? Auf diesen starken Glauben gestützt und von kindlicher Liebe getragen, spreche ich denn von Herzen: Der Herr hat ihn gegeben, der Name des Herrn sei gelobt dafür, daß er ihn gegeben! –

Meine Gattin und ich, wir haben Beide dieses Kind herzlich und zärtlich geliebt, und doch zieht sich durch unsere Erinnerungen an das Leben mit dein geliebten Kinde hier und da ein leiser Ton des Vorwurfs hindurch, und so glaube ich denn, es geht vielleicht Keiner dahin, gegen den Diejenigen, die am meisten mit ihm zu leben hatten, sich, wenn sie sich vor Gott prüfen, vollkommen genügten, wäre auch das anvertraute Leben nur so kurz gewesen wie dieses; darum laßt uns doch uns Alle untereinander lieben als solche, die bald, und ach wie bald! können von einander getrennt werden! – Nun Du, Gott, laß für mich und alle die Meinigen den gemeinsamen Schmerz ein Band womöglich noch innigerer Liebe werden. Gieb, daß auch diese schwere Stunde ein Segen werde für Alle, die da zugegen sind, laß Alle immer mehr zu der Weisheit reifen, die, über das Nichtige hinwegsehend, in allem Irdischen und Vergänglichen nur das Ewige sieht und liebt und in allen Deinen Rathschlüssen auch Deinen Frieden findet!“ –




Blätter und Blüthen.


In der Fremde.

O Thor, der Du in fremden Ländern
Geglaubt Dein Schicksal zu verändern,
Dasselbe bleibt es überall!
Der Sturm, der in der Wogen Schwall

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Des Schiffes jäh Verderben zeugte,

Den Mast zerschmettert trieb zum Strand:
Er war’s, der schon die Fichte beugte,
Da sie im heim’schen Grund noch stand.
Der Schmerz, den Du hinausgetragen,

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Weil Du gemeint, ihm zu entfliehn,

An Deinem Herzen wird er nagen,
Wird bis zum Grabe mit Dir zieh’n.
Geh mit Dir selbst streng in’s Gericht,
Und wenn Dir’s nicht gelingt, von innen,

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Das Glück, die Ruhe zu gewinnen,

Von außen kommt Dir Beides nicht.

F. Bodenstedt.




Dr. A. Diezmann’s Büchersammlung, welche unter anderen eine ansehnliche Goethe- und Schiller-Bibliothek, mit Seltenheiten ersten Ranges, auch einige interessante Autographen enthält, kommt durch das bekannte Hartung’sche Auctions-Institut in Leipzig vom 26. October an zur öffentlichen Versteigerung. Außer einigen sehr seltenen alten Ausgaben Goethe’scher Einzelwerke enthält der Katalog aus der Schiller-Periode ein Unicum, das für den Sammler von größtem Interesse sein dürfte: die „Ankündigung der Horen“. Dieses Blatt in Folio ließ Schiller selbst drucken und verschickte es 1794 an ausgewählte Gelehrte, um diese zur Betheiligung durch Beiträge einzuladen; den Titel der Zeitschrift, das Honorar und die Adresse hat er eigenhändig beigeschrieben. Ferner werden noch manche Autographen und Manuscripte Goethe’s und Carl Maria’s von Weber geboten.




Das arithmetische Räthsel in Nr. 39, „das Blumenbeet“, hat in den Kreisen unserer Leser zahlreiche Auflösungen gefunden, von denen die meisten das Richtige treffen und einige sogar in poetischem Gewand erschienen sind. Wir sprechen für diese Freundlichkeit unseren Dank ans, indem wir zugleich denjenigen, welchen es zum Knacken solcher Nüsse an Zeit, Lust und Glück mangelt, die Auflösung hier mittheilen. Von der Gesammtzahl der einhunderteinunddreißig Blumen des Beetes gehörten den Nelken zehn, den Lilien einundvierzig, dem Tausendschön dreiunddreißig und den Levkoyen siebenundvierzig Stück an.



Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 656. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_656.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)