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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

No. 42.   1868.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.
Wöchentlich bis 2 Bogen. Vierteljährlich 15 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Süden und Norden.
Eine baierische Dorfgeschichte von 1866.
Von Herman Schmid.
(Fortsetzung.)


Wie im Fluge breiteten sich die Preußen auf- und abwärts am Ufer aus, um eine geeignete Stelle für den Uebergang zu finden. Die auf der Brückenbarricade befindlichen Schützen sahen sich bald auch von den Seiten beschossen und waren genöthigt, sich hinter die Geschütze zurückzuziehen. Die anderen Abtheilungen in den Arcaden des Cursaales, in den Promenaden des Gartens und im Ufergebüsch unterhielten indessen ein lebhaftes Feuer, indem sie mit wohlgezielten Kugeln manchem Gegner, der sich furchtlos oder übermüthig zu weit vorgewagt, den Rückweg ersparten.

Auf ein Knie niedergelassen, mit geröthetem Angesicht, ließ Ambros gleichmüthig wieder und wieder seinen Stutzen knallen, wie er es sonst wohl beim lustigen Scheibenschießen gethan; kein Gedanke stieg in ihm auf, daß auch ihn ein Geschoß, wie er sie hinübersendete, von drüben erreichen könnte. Kaltblütig, als wäre es das Schwarze in der Scheibe, nahm er seinen Gegner auf das Korn und mußte an sich halten, bei dessen Falle nicht in lautes Juchzen auszubrechen, wie es am Schießstand üblich, wenn der Schuß den Punkt getroffen und die Maschine geweckt hat.

„Wenn das weiter nichts ist,“ rief er dem neben ihm stehenden Cameraden, dem feinen Studenten, zu, „dann ist net so viel dahinter. Aber wie wird denn das werden? Wenn wir net hinüber und die Preußen net herüberkommen, da können wir einander ein paar Tag lang anschauen und viel Pulver verpuffen! Ich hab’ mir den Krieg anders vorg’stellt, viel lustiger, daß sich ’was rührt und sich einem das Blut rigelt.“

Der junge, schlanke Jäger, dem am Abend zuvor die traurige Weise vom Morgenroth durch den Sinn gegangen war, handhabte nicht minder eifrig seinen Stutzen und war eben daran, eine Patrone zu öffnen. „Ja wohl,“ sagte er, halb als Antwort, halb vor sich hin, „auch im Kriege geht die Poesie verloren, wie überall. Der Bauer ackert und drischt mit dem Dampfe, statt des gemüthlichen Posthorns pfeift die Locomotive, und für das lustige Laden des Gewehrs und den springenden Ladstock überholen sie uns da drüben und setzen die Patrone fein still und heimtückisch von hinten in’s Rohr. Was wohl der alte Dessauer sagen würde, wenn er aufstände und sähe, wie sie schießen – ohne eisernen Ladstock, auf dessen Erfindung er sich so viel zu gut gethan! Wir werden es ihnen wohl bald ablernen müssen, aber es ist doch schade um den Ladstock und um das Laden! Nicht einmal die alten Lieder taugen mehr, weil sie nicht mehr wahr sind. Wie könnte man dann noch das Lied vom treuen Camerad singen: ,Will mir die Hand noch reichen, dieweil ich eben lad’?“

Ein unarticulirter Laut unterbrach ihn in dem halblauten Gesang. Mit flüchtigem Seitenblicke gewahrte Ambros, wie der Stutzen den Händen des durch die Brust Getroffenen entglitt; wie er mit diesen, als suche er einen Gegenstand, um sich daran anzuhalten, in der Luft herumtastete und dann zusammenknickte, mit einem schweren Seufzer im letzten Athemzuge das junge Leben verhauchend.

Ein schmetterndes Hornsignal gellte von der Stadt her und gab den zerstreuten Plänklern das Zeichen, sich zu sammeln.

„Da hilft wohl nichts mehr,“ sagte Ambros, indem er flüchtig hinzutrat und den Todten betrachtete. „Da kann kein Bader in der Welt mehr ’was ausrichten. Der hat’s überstanden, Gott geb’ ihm die ewige Ruh’! Aber was ist denn das?“ rief er den Schützen zu, welche von allen Seiten laufend herbeikamen. „Warum wird denn zum Sammeln g’blasen? Das heißt ja zurückgehen!“

„Das heißt,“ erwiderte der eben vorüberkommende Oberjäger, beinahe athemlos vor Beleibtheit und von der Anstrengung des Laufens, „das heißt, daß die Preußen richtig über den Steg bei der Lindenmühle da unten gegangen sind und daß sie uns in den Rücken kommen, wenn wir uns nicht weiter zurück aufstellen.“

„Na, hab’ ich’s net g’sagt?“ rief Ambros, indem er sich dem Zuge anschloß. „Wenn sie nur net auch noch das G’länder hätten stehen lassen. Wir haben es ihnen doch gar zu kommod’ g’macht!“

„Wer hätte aber auch das denken sollen?“ erwiderte laufend und keuchend der Oberjäger. „Die Kerle können ja klettern wie die Katzen, und die Schützen dort am Lindenbaum waren auch zu weit aufgestellt und haben sie nicht aufhalten können. Ihre Zimmerleut’ sind voraus, so keck, als wenn’s gar keine Kugeln gäbe und als wenn drunten gar kein Wasser wäre. Aber wir wollen’s doch noch wieder gut machen,“ rief er, die kleine Schaar, die sich sammelte, um sich aufstellend. „Wir wollen ihnen jetzt noch entgegen und sie zurückwerfen oder wenigstens aufhalten, so lang’ es geht. Vorwärts, Cameraden!“

Die muthigen Burschen folgten dem Rufe des Oberjägers; sie wollten sich nicht nachsagen lassen, daß sie ruhig zugesehen, wie der Feind vor ihren Augen den Uebergang erzwang. Mit Hurrahruf und gefälltem Bajonnet stürzte sich die kleine Schaar gegen den Eingang des Steges, über welchen eben eine größere Schaar der Feinde angerückt kam und sie mit einem Regen von Kugeln überschüttete, der mit unheimlichem Sausen so dicht unter die vorstürmenden

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 657. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_657.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)