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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

Plänkler einschlug, daß er sie nach allen Seiten niederwarf und nach wenig Augenblicken nicht ein Drittheil davon mehr aufrecht stand. Der dicke Oberjäger war unter den Vordersten gewesen; er war auch einer der Ersten, welche fielen, er hatte es wahr gemacht, daß er sich nicht schlecht finden lassen werde, wenn es gelte.

Die wenigen Übriggebliebenen mußten erkennen, daß sie außer Stande waren, den Uebergang aufzuhalten, und daß längerer Widerstand sie nur nutzlos einem sicheren Tode aussetzen würde.

Sie wichen daher der Uebermacht und zogen sich plänkelnd und unter wohlgezielten Schüssen langsam zurück. Unter den Letzten befand sich Ambros, den sein kaltes Blut auch hier nicht verließ.

Es kam ihm beinahe lustig vor, wie die Kugeln so dicht um ihn herumpfiffen, und lachend rief er: „Ho, ho! Das thut ja hellicht net anders, als wenn im Auswärts ein Imp’ (Bienenstock) zu schwärmen anfangt!“

Unaufhaltsam waren inzwischen die Preußen auch gegen das Bollwerk auf der steinernen Hauptbrücke vorgegangen. Die in der Straße postirten baierischen Truppen mußten fürchten, in der Flanke gefaßt zu werden, und konnten nicht umhin, auf ihren Rückzug aus der nicht mehr zu haltenden Stadt bedacht zu sein. Die Geschütze fuhren ab, um hinter derselben eine neue, bessere Stellung zu finden. Hart hinter den Abziehenden drangen die Preußen in lichten Schaaren von allen Seiten nach, und ein erbitterter Kampf wälzte sich Schritt für Schritt durch die Straßen, eine Reihe wilder, nicht zu beschreibender Einzelgefechte, bis es endlich den Baiern gelungen war, sich am südlichen Ende der Stadt noch einmal festzusetzen, wo der mit hohen Mauern umgebene Kirchhof einen festen, willkommenen Stützpunkt bot. Viele von den tapfern Vertheidigern lagen todt und verwundet neben den Leichen der Feinde, die sie zahlreich zu sich niedergestreckt; eine große Anzahl hatte von der überraschend und schnell ausgeführten Ueberrumpelung nicht eher Kenntniß erhalten, als bis es zu spät war und sie sich in den Häusern, die sie zur Vertheidigung besetzt hatten, vom Feinde eingeschlossen und angegriffen sahen. Es blieb ihnen kein anderes Loos, als Gefangenschaft oder Tod.

Auch Ambros hatte mit den zersprengten Schützen den Weg durch Gärten und zwischen Gartenhäusern nach dem Kirchhof hin eingeschlagen, unablässig verfolgt von den immer dichter nachrückenden Preußen und ihren ruhelos vorausschwärmenden Plänklern.

Ihre sicheren Schüsse stürzten noch Manchen auf den Rasen oder in die Gartenbeete; aber auch die wackeren baierischen Schützen ließen es an tapferem Widerstand nicht fehlen: jeder Baum wurde zum flüchtigen Bollwerk, jede Mauer zum Walle, jeder Graben zur Brustwehr, um sich noch einmal gegen den Feind zu setzen und, wenn es auch unmöglich war, den Andrang der Uebermacht aufzuhalten, ihn doch jeden Schritt durch Wunden und Tod theuer genug erkaufen zu lassen.

Je heftiger und wilder das Gefecht entbrannte, je näher und schauerlicher die gräßlichen Bilder des Todes und der Zerstörung vor seinen Blicken sich entrollten, desto gelassener wurde Ambros; aber desto schrecklicher kam es ihm mit jeder Minute vor, daß er sich von einer Schaar Männer verfolgt sah, die er im Leben nie gesehen, denen er nie ein Leid gethan, und die doch mit einem Ingimm auf ihn eindrangen, als wäre er ihr verhaßtester Feind, – desto mehr that es ihm leid, diese Menschen, welche ihm alle gesund, kräftig und stattlich gegenüberstanden, und die ihn nie beleidigt, zur eigenen Vertheidigung verletzen und tödten zu müssen, wie auf der Jagd ein schädliches Raubthier. Durch eine wunderbare Verkettung der Gedanken kam es ihm plötzlich in den Sinn, wie er vor einigen Wochen auf der Hochplatte neben der schiechen Wand gestanden: er sah die erlegte Gemse vor sich liegen und glaubte Günther’s Stimme zu hören, wie er klagte, daß es unrecht sei, so weit heraufzusteigen, um so viel Kraft und Schönheit zu vernichten. War es doch nur ein Thier gewesen, dem diese Klage gegolten, und nun sah er vor und um sich so viele kräftige Schönheit zernichtet, so viel schöne Kraft zerstört – sah so viele wackere Herzen leiden und brechen, und in seinem einfachen, im Grunde gutartigen Gemüthe stieg die Ahnung auf von der ganzen, himmelschreienden Entsetzlichkeit des Krieges, und zum ersten Male fiel wie ein Bleigewicht der Gedanke auf sein Herz, daß er sich selbst in diesen Kampf gedrängt! Es war nicht Furcht, was ihn anwandelte, wohl aber eine bittere Regung der Reue, doch es blieb bei der flüchtigen Regung des Augenblicks, denn gleichzeitig mit dem Erinnern an die Hochplatte war auch ein Laut an sein Ohr gedrungen, der ihn nicht minder an jene Stunde mahnte, – aus den Reihen der immer näher kommenden Füsiliere war das Rufen einer Stimme erklungen, die er schon gehört zu haben glaubte. „Sollte das Günther sein?“ zuckte es ihm plötzlich durch den Sinn, und der auflodernde Grimm schlug über der weichen Regung zusammen. Wenn er es wäre! Wenn sein persönlicher Gegner ihm wirklich gegenüberträte als Feind, Aug’ in Auge und Stirne gegen Stirne … Eben war er mit den Gefährten hinter einer langgezogenen Gartenhecke angelangt und sah gegenüber in halber Schußweite die aufgelösten preußischen Colonnen anrücken, um mit gefälltem Bajonnet die Schützen aus dem Gebüsch zu vertreiben und auf den letzten Halt innerhalb der Kirchhofmauern zurückzuwerfen.

Ein Officier, ein stattlicher Man, vor der Front herschreitend, wies mit dem Degen dahin und forderte mit lauter, mächtiger Stimme zum Angriff auf.

In Ambros’ Händen bebte der Stutzen, als er ihn sah. „Ist das net –“ murmelte er hastig, indem er in die Patrontasche griff. „Ja, wahrhaftig, ich irr’ mich net – das ist der Fremde, der mich in unsern Bergen nach dem Weg über’n Gamskogel g’fragt hat – der Landkartenzeichner! Also hab’ ich doch Recht g’habt: er ist als Gast in unserm Land g’wesen und hat uns heimlich auskundschaften wollen … Na, wart’, Spion! Dir will ich den kürzesten Weg zeigen, wenn’s auch mein’ letzte Kugel ist!“ Er drückte ab, und schwer getroffen, lautlos stürzte der Officier zu Boden.

Die Truppe stutzte einen Augenblick über den Fall des Führers, aber auch nur einen Augenblick; im nächsten schon stürmte sie mit lautem Hurrah gegen das Gebüsch vor und hatte es mit wenigen Schritten umflügelt; was nicht stürzte, war gezwungen, eilig hinter der Kirchhofmauer Schutz zu suchen.

Einer der Letzten war Ambros, der langsam und Schritt für Schritt zurückwich; wenn er sich auch verschossen hatte, war er doch stets bereit, den andrängenden Gegnern im Einzelnkampfe mit Haubajonnet oder Kolben zu stehen. Schon war er nicht mehr ferne von den äußersten Häusern, hinter welchen er sich geborgen zurückziehen konnte, und wendete sich um einen letzten Busch herüber, da sah er auf die Entfernung von wenigen Schritten einen Füsilier sich gegenüber, der, Einer der äußersten des rechten Flügels, das Zündnadelgewehr schußfertig an der Hüfte, in stürmendem Eilschritt vorging. Ein Ruf der Ueberraschung klang von den Lippen Beider; eines Gedankens Dauer lagen beiderseits die Waffen regungslos in ihren Händen.

„Herr Günther!?“ rief dann Ambros, der zuerst Worte fand. „So sind Sie’s wirklich und kein Geist? So bin ich doch net umsonst mit’gangen, und wir können Abrechnung halten mit einander!“

Schußbereit, aber ruhig stand der junge Mann. „Du bist’s, Ambros!“ rief er. „Traurig, daß wir uns so wiedersehen – aber ich will Dir nicht begegnet sein. Das ist keine Verletzung meiner Soldatenpflicht, wenn ich an Dir vorübergehe.“

„Vorübergehen?“ keuchte Ambros, dem die gewohnte, sinnverwirrende Gluth wieder zu Kopfe stieg. „Glaub’s schon, daß Sie das möchten; aber ob ich Ihna vorüberlaß’, das ist eine andere Frag’. Mir ist’s ganz recht, daß wir da so z’samm kommen. Jetzt können wir ausmachen, was wir ausz’machen haben.“

„Besinne Dich, Ambros!“ rief Günther hastig entgegen. „Ich habe nichts mit Dir abzumachen. Zieh’ Dich zurück, sag’ ich noch einmal; ich will nicht Gewalt brauchen gegen Dich.“

„So, Gewalt wollen Sie net brauchen?“ knirschte Ambros. „Aber Ihre Kniff’ und Pfiff’ haben Sie schon gegen mich und meine Leut’ gebraucht – da haben Sie sich nicht besonnen? Wohl haben wir zwei ’was abzumachen mit einander und viel noch dazu! Wer hat mich aus ’m Haus und aus der Heimath vertrieben, als wie Sie? Wer hat mir mein ganz’ Leben zernicht’t, hat mir mein Lieb’ g’nommen und mein Glück, als wie Sie? Und net einmal für sich hab’n Sie’s gethan, nein, bloß zu Ihrem schlechten Zeitvertreib! Wer, als Sie, hat mich unglücklich g’macht und das Tonerl dazu? Wehr’ Dich, heimtückischer Preuß!“ rief er wüthend. „Wenn ich auch keine Kugel mehr hab’, so schlag’ ich Dich mit ’n Kolben nieder wie einen tollen Hund.“

„Du bist selber toll und siehst nicht, daß Du in meiner Macht bist. Es kostet mich nur einen Fingerdruck an meinem

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 658. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_658.jpg&oldid=- (Version vom 15.9.2022)