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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

Verhältnisse lebte. Erst nach ihrem Tode, der kurz vor dem Ableben des großen Kurfürsten erfolgte, nahm er die Stelle eines Schloßhauptmanns und Oberstallmeisters an, worauf er bald zum Oberkammerherrn befördert wurde, so unentbehrlich wußte er sich seinem neuen Gebieter zu machen!

Der Kurfürst Friedrich der Dritte zeichnete sich besonders durch seine Prachtliebe und unbegrenzte Eitelkeit aus, die ihn auch hauptsächlich zur Annahme der preußischen Königskrone trieb. Seine erste Prinzensorge war die Stiftung des Ordens de la générosité, und das höchste Ziel seines damaligen Ehrgeizes war – der englische Hosenbandorden, um den er seinen eigenen Vater beneidete. Im Anfange seiner Regierung überließ er sich ganz der Leitung seines früheren Erziehers, des verdienstvollen Eberhard Dankelmann, dem er wegen Rettung seines Lebens zum größten Danke verpflichtet war. Derselbe war von Geburt ein Bürgerlicher und wurde auf Wunsch des Kurfürsten von dem Kaiser Leopold mit seinen sieben Brüdern in den Freiherrnstand erhoben, nachdem er seine Ernennung zum Grafen abgelehnt hatte, um mit seinen Brüdern in gleichem Stande zu verbleiben. Streng gegen sich und Andere, sparsam und gewissenhaft, vermehrte Dankelmann die Staatseinkünfte, indem er Handel und Ackerbau beförderte, so daß er mit Recht von seinen Zeitgenossen der „preußische Colbert“ genannt wurde.

Hochgeachtet und vom Volke geliebt, war der würdige Minister ein Dorn in den Augen der damaligen Junkerpartei, welche ihm seine bürgerliche Abkunft und sein entschiedenes Auftreten nicht verzeihen konnte. Seine Feinde vereinigten sich zu seinem Sturz; an ihrer Spitze befand sich der undankbare Herr von Kolbe, der hauptsächlich dem arglosen Dankelmann seine schnelle Beförderung und hohe Stellung zu verdanken hatte. Die Gelegenheit ließ sich leicht finden, und die Verschworenen benutzten die bekannte Verschwendungssucht und Eitelkeit des Kurfürsten, um den treuen Diener zu verderben. Die Prachtliebe des Gebieters, besonders die Erhaltung eines unverhältnißmäßigen Hofstaates und eines zahlreichen Heeres verschlangen die Revenuen des Landes und leerten den Staatsschatz. Dankelmann rieth zu Ersparnissen und sah sich genöthigt, ernste Vorstellungen zu machen, wobei er vielleicht den Ton des früheren Erziehers nur zu sehr vorwalten ließ. Mit schlauer List nährte Kolbe den unausbleiblichen Zwiespalt, indem er die gereizte Stimmung des Kurfürsten durch scheinbar absichtslos hingestreute Bemerkungen und hämische Einflüsterungen noch zu schärfen verstand. „Dankelmann,“ sagte der Kurfürst bei einer solchen Gelegenheit, „will den Kurfürsten spielen, doch ich werde ihm zeigen, daß ich selbst Herr bin.“

Der treue Diener ahnte seinen nahen Fall. Bei einem Feste in seinem Hause auf dem Werder in Berlin, welches jetzt „das Fürstenhaus“ heißt, trat der Kurfürst in das Arbeitszimmer Dankelmann’s, dessen Einrichtung und schöne Gemälde er laut bewunderte. „Alles, was Ihre Hoheit hier sehen,“ entgegnete der Minister, „wird bald Ihr Eigenthum sein.“ Als aber der Kurfürst verwundert ihn nach dem Sinne dieser räthselhaften Worte fragte, antwortete er: „Ich werde in Ungnade fallen, gefangen gesetzt und aller meiner Würden und Aemter beraubt werden. Aber eines Tages wird meine Unschuld an den Tage kommen und Ihre Gnaden werden mir Gerechtigkeit widerfahren lassen.“ Gerührt sah der Kurfürst seinem ehemaligen Erzieher in das würdige Gesicht, dann ergriff er ein auf dem Tische befindliches Neues Testament und schwor, solches solle nimmer geschehen, „so wahr – – “ Aber Dankelmann unterbrach ihn und ließ ihn nicht den Schwur vollenden, indem er behauptete, es werde dennoch so kommen, da der Kurfürst selbst ihn nicht vor den Feinden schützen könne.

Nur zu bald sollten seine Befürchtungen in Erfüllung gehen. Auf Anstiften der Junkerpartei wurde dem Kurfürsten von dem Kammermohren und Hofnarren eine Schaumünze in die Hände gespielt, welche die Freunde und Verehrer Dankelmann’s ihm zu Ehren prägen ließen. Auf der einen Seite war das Wappen der Familie, ein wachthabender Kranich, auf der anderen das Siebengestirn der „Plejaden“, eine Anspielung auf die sieben Brüder Dankelmann, am Himmel über einer Stadt angebracht.

Dieser Anblick genügte, um die Eitelkeit des Kurfürsten so sehr zu verletzen, daß er bald darauf den ausgezeichneten Staatsmann unter den frivolsten Vorwänden verhaften und wie einen gemeinen Verbrecher auf die Festung Spandau und später nach Peitz bringen ließ, wo er Jahre lang schmachtete und erst nach dem Tode des Kurfürsten die Freiheit erlangte, nachdem er ohne Recht und Urtheil seines ganzen Vermögens beraubt worden war.

Nach dem Sturze des ehrlichen Dankelmann wurde der zum Reichsgrafen von Wartenberg erhobene Herr von Kolbe der allmächtige Minister des Kurfürsten. Mit ihm kam die schamloseste Günstlingsherrschaft zur Regierung, indem dieser das Land aussog und sich mit dem Blut und Schweiße des armen Volkes bereicherte. Er selbst bezog ein festes Gehalt von hunderttausend Thaler, ungerechnet der Geschenke und Bestechungen, die er von allen Seiten erhielt und zu erpressen wußte, so daß er in kurzer Zeit ein Vermögen von mehreren Millionen aufhäufte. Um sich für die Zukunft zu sichern, beredete er den Kurfürsten ihm eine Urkunde auszustellen, durch welche er im Voraus von jeder Rechenschaft für seine Amtsführung entbunden wurde.

Die Hälfte der Staatseinkünfte wurde durch die Unterhaltung des Heeres verschlungen, die über zwei Millionen betrug, während die ganzen Revenuen sich auf vier und eine halbe Millionen Thaler beliefen. Fast eben so große Summen forderte der verschwenderische Hof, der einen nie vorher gekannten Luxus entfaltete. Das Gefolge des Kurfürsten war so groß, daß zu seiner Krönungsreise nach Königsberg in Preußen allein dreißigtausend Pferde zum Vorspann gebraucht wurden, während die damit verbundenen Festlichkeiten viele Millionen erforderten. Um dem fortwährenden Geldmangel abzuhelfen, wurden die drückendsten Steuern auferlegt, sogar eine Perrücken-, Karossen- und Schweineborstensteuer. Aber das Alles reichte nicht hin, und so suchte der Minister stets nach neuen Quellen, um die Ansprüche seines Gebieters und seine eigene Raubsucht zu befriedigen. Er nahm keinen Anstand, die wichtigsten Aemter den Meistbietenden zu überlassen und gegen Subsidien das Blut und Leben der eigenen Landeskinder an fremde Fürsten im Kriege zu verkaufen, wie es später der berüchtigte Landgraf von Hessen in dem nordamerikanischen Freiheitskampfe that. Ja, ein Werkzeug des Ministers machte dem Kurfürsten den Vorschlag, die elf Tage, die bei Annahme des neuen verbesserten Kalenders im Februar 1701 ausfielen, den Beamten an ihrem Solde abzuziehen, was er jedoch mit den Worten zurückwies: „Ich will, daß meine Leute mich nicht chicaniren, ich sie aber auch nicht.“

Während Graf Wartenberg sich in dieser Weise bereicherte und der Hof von einem Fest zum andern taumelte, starben Tausende durch Hunger und Pest, die, von Polen eingeschleppt, die Ostseelande zwischen der Memel und der Oder verwüsteten. Die Provinz Preußen verlor allein durch sie zweihundertsiebenundvierzigtausend Menschen, ein Drittel ihrer Bewohner, in Königsberg starben siebentausend, in Danzig zweiunddreißigtausendsechshundert Menschen und viele Städte und Dörfer in Pommern verloren fast ihre sämmtlichen Einwohner. Noch trauriger sah es auf dem platten Lande ans, wo die strengen Jagdgesetze zur Schonung des Wildes den Landmann seiner Saaten beraubten und oft zur Verzweiflung trieben. Jeder Versuch, diesem unerträglichen Zustand ein Ende zu machen, wurde auf das Härteste bestraft, und als eine Anzahl von einsichtsvollen Männern, an deren Spitze der Feldmarschall Barfuß, die Grafen Dohna, Lottum, Dönhoff und der Hofmarschall von Wersen standen, den Minister wegen seiner Unterschleife, Erpressungen und Gewaltthaten anklagten, mußten sie ihr Erkühnen mit Gefängniß, Verbannung vom Hofe und Dienstentlassung büßen.

Mehr als je beherrschte der frivole Günstling seinen verblendeten Herrn, unterstützt von seiner intrignanten Gemahlin, welche die Tochter eines Schiffers Nickers aus Emmerich im Herzogthum Cleve war. Ihr Vater, der nebenbei eine gemeine Winkelschenke hielt, benutzte die Reize seiner Töchter, um die Gäste herbeizulocken. So lernte sie auf einer Reise der kurfürstliche Kammerdiener Bidecap kennen, der sich in die schöne Katharina verliebte und sie mit sich nach Berlin führte. Hier sah sie Herr von Kolbe und knüpfte mit der nur zu gefälligen Frau ein Verhältniß an, worauf sie sich von ihrem Manne scheiden ließ und den Günstling so zu fesseln wußte, daß er sie wirklich heirathete. Das ränkevolle Weib erhielt mit der Zeit Zutritt am Hofe und wurde sogar die Titular-Favorite des Kurfürsten, nicht nur mit Bewilligung, sondern hauptsächlich auf Betrieb ihres würdigen Gatten, der keinen Anstand nahm, den Neigungen seines Gebieters, der auch in dieser Beziehung seinem Vorbilde, Ludwig dem Vierzehnten von Frankreich, nacheiferte, die eigene Ehre zu opfern. Indeß soll sich nach glaubwürdigen Berichten das Verhältniß

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