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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

Jugend, die Fülle des noch aufstrebenden Lebens sein Anrecht gegen den Schmerz behauptet; ihr Antlitz war wieder blühend geworden; schön und stattlich stand sie da im feierlichen Trauergewande; aber das Braun ihrer Augen war einen Ton dunkler geworden, und der Mund war so ernst und fest geschlossen, als sollte er nie mehr sich zu heiterem Lachen öffnen und jene lieblichen Grübchen bilden, die ihn sonst so anmuthig gemacht hatten. Geraume Zeit waren sie so gestanden; die Uhr vom Kirchthurm mahnte mit dröhnendem Schlage an die eilig fliehende Zeit. Die Bäuerin schloß ihr Gebet, bezeichnete Stirn und Mund mit dem Zeichen des Kreuzes und sprengte Weihwasser auf den Boden. „Der Herr Cooperator kommt net,“ sagte sie. „Er wird wohl aufg’halten worden sein. Komm’, Tonerl! Wir wollen geh’n.“

Schweigend wollte die Tochter der Aufforderung und dem Beispiel der Mutter folgen, als, durch die Reden aufmerksam gemacht, der Maler sich umwendete und, die Beiden jetzt erst gewahrend, grüßend näher trat. „Ei grüß Gott!“ rief er. „Das ist ja ein angenehmes Zusammentreffen! Ist das nicht die Funkenhauser-Bäuerin?“

„Wohl bin i das,“ sagte die Frau mit einem Seufzer, „und sind Sie net der Maler, der lustige, der im vorigen Jahr bei uns auf ’m Hof oben war?“

„Freilich,“ rief der Künstler, indem er die dargebotene Hand faßte und schüttelte. „Es freut mich, daß Ihr mich wieder erkennt, aber mit der Lustigkeit, gute Frau, hat es nicht mehr viel zu bedeuten! Was wir seither erlebt haben, ist für einen Menschen, der hinter der Stirne nicht trockenen Schwamm und unter dem Brustlatz nicht einen fühllosen Stein hat, so bitter gewesen, daß wohl geraume Zeit nöthig ist, es zu verwinden, wenn es je völlig verwunden werden kann. Ihr habt es ja auch erfahren; ich seh’ es an Euren Kleidern und hab’ auch davon gehört, daß der Krieg auch Euch einen lieben Verwandten geraubt hat.“

„Leider, leider – Gott geb’ ihm die ewige Ruh’!“ sagte die Frau, indem sie sich die Augen mit der Schürze trocknete. „Mein Vetter Ambros, meiner Mutterschwester Sohn. Es ist g’schwind ganz einsam worden auf dem Funkenhauserhof seit dem vorigen Sommer.“

„Das glaub’ ich wohl,“ sagte der Maler, „einsam mag es sein, aber immerhin noch schön, immerhin seid Ihr noch zu beneiden, welche keine Schranke, kein Beruf von der herrlichen Natur um Euch her trennt! Das ist der beste Trost, daß die Natur sich nicht verändert. Mag der Mensch sich noch so furchtbar an ihr versündigen, in ihrer Erhabenheit übersieht sie den Frevel und verhüllt ihn mit noch schöneren Blüthen als zuvor. Wo nähme ich die Kraft her, das Leben noch zu ertragen ohne sie? Darum will ich mich diesen Sommer auch so recht nach Herzenslust an ihr laben! Wie wär’s, Funkenhauserin, wenn Ihr mich zu Euch nähmet? Ihr habt Raum genug im Hause, und ich bin ein stiller, genügsamer Miethsmann.“

„Du lieber Gott,“ sagte die Bäuerin mit einem leichten Seufzer, „Platz hätten wir freilich g’nug; aber es ist am besten, wenn Jedes für sich selber bleibt.“

„Warum doch?“ lachte der Maler entgegen. „Wenn die Weltordnung es so gewollt hätte, so würde sie es auch gewiß darnach eingerichtet haben, daß Jedes für sich wie in einer Muschel eingeschlossen lebte. Weil es aber nicht so ist, ist das der beste Beweis, daß es nicht so sein soll. Darum sollen die Menschen mit einander leben und sollen einander leben helfen. Ich denke, es muß mitunter gar zu einsam sein auf dem Funkenhauserhofe; Ihr seid jetzt die Gäste gewohnt von früheren Jahren her. Ihr sagtet mir ja selbst, daß eine preußische Familie bei Euch gewohnt hat, die wird heuer wahrscheinlich doch nicht kommen …“

„Nein,“ sagte die Funkenhauserin mit etwas unsicherem Tone, „die kommen wohl so bald net wieder.“ Die Bewegung in den Zügen und der Stimme der sonst so starken Frau entging dem gewandten Künstler eben so wenig als die Hastigkeit, mit welcher Tonerl, um ihre vorstürzenden Thränen zu verbergen, sich gegen die Wandtafel abwendete und an derselben herumstudirte, als lese sie deren Inhalt, den sie doch längst auswendig wußte, zum ersten Male.

„Was ist das?“ sagte er, indem er Beide betroffen betrachtete. „Da hab’ ich die unrechte Saite berührt, wie es scheint, habe schmerzliche Erinnerungen aufgeweckt, und Ihr habt wohl gar unangenehme Erfahrungen mit Euren Gästen gemacht! Nun, dann müßt Ihr mir eben verzeihen. Ich konnte das nicht wissen und ich will Euch auch nicht weiter drängen. Aber das werdet Ihr doch erlauben, daß ich einmal auf Besuch bei Euch einspreche?“

„Gewiß,“ rief die Bäuerin treuherzig, „kommen Sie nur! Sie haben so was Gewisses an Ihnen, daß man Ihnen net wohl feind sein kann.“

„Gut,“ sagte der Maler, „ich komme, dann lernt Ihr mich näher kennen und gewöhnt Euch vielleicht doch noch an mich, daß Ihr mich als Euren Gast aufnehmt. Ich will Euch in Eurem Leben und Weben in nichts stören, und wer weiß, ob ich Euch nicht hier und da helfen oder Euch gar trösten kann. O, ich verstehe mich darauf trotz dem besten Doctor; ich besitze, eine Universalmixtur, die für Alles hilft, von der will ich Euch geben.“

„Ein solches Trank’l wär’ freilich net zu verachten,“ sagte die Bäuerin trübselig, „aber es giebt halt Sachen, für die kein Kraut g’wachsen ist, so wenig wie für den Tod!“

„Das ist nicht wahr,“ scherzte der Maler weiter, „und wenn Ihr mir folgt, will ich’s Euch beweisen, daß es nicht so ist. Ich mache aus meiner Cur gar kein Geheimniß, mein Mittel kostet nichts und wächst überall, Sommer wie Winter, und besonders bei Euch auf dem Lande da ist es zu haben, wenn man nur den Fuß vor die Thür setzt und die Augen aufmacht. Die Universaltinctur ist die herrliche, ewige Natur um uns herum! Wer es versteht, ihr nahe zu kommen und sie so recht zu begreifen, der kann so wenig für immer unglücklich sein, als es in der Natur immer Winter bleibt. Der Schnee und der Schmerz sind alle zwei gleich vergänglich – wenn sie aber vergangen sind, kommen aus ihnen die frischen Quellen, die in’s Land herunterrieseln und wieder frisch machen, was erstarrt und vertrocknet war. Die Natur –“

„Sie thun sehr Unrecht, mein Herr,“ unterbrach ihn die feierliche Stimme des Cooperators, der inzwischen auf dem Grasboden ungehört herangekommen war, „Sie begehen ein Verbrechen, wenn Sie die Gewandtheit Ihrer Rede mißbrauchen, um diese einfachen Gemüther mit solchen Worten zu verwirren und irre zu leiten. Nicht da hinaus müssen Sie das Auge des Leidenden lenken, nicht auf die vergängliche Schöpfung, so schön auch ihr wechselndes Gewand erscheinen mag! Auf den ewigen, allein nicht wandelbaren Schöpfer müssen Sie dieselben verweisen, auf ihn, vor dem alle Creatur verschwindet, wie ein Wassertropfen vor der Sonne! Nicht aus der Natur quillt Trost und Erquickung, sondern nur aus Gott allein.“

Der Maler stand ruhig und ließ den forschenden Blick vom Antlitz des Eifernden bis auf die Sohle nieder gleiten; dann deutete er in die wunderbare Landschaft hinaus und rief: „Und wo ist Gott, wenn nicht in der Natur? Sie ist aus ihm und was wäre er ohne sie?“

„Entsetzlich!“ rief der junge Priester mit aufblitzenden Augen. „Welche Grundsätze! Das ist offenbare Lästerung, heillose Vergötterung der Natur! Das sind die Früchte jenes falschen Lichtes, jener Scheinbildung, mit welcher Ihr kalter und unfruchtbarer Norden prahlt, und womit er auch unseren warmen, gemüthvollen Süden verpesten will!“

„Sie thun mir zu viel Ehre an, wenn Sie mich für einen Nordländer halten,“ sagte der Maler mit gutmüthigem Spotte; „meine Wiege stand zufällig tief im Süden, in Oesterreich – aber Sie brauchen sich weder für diese guten Frauen noch um meinetwillen so zu erhitzen. Jedenfalls aber dächte ich, die norddeutsche Bildung, die Sie so sehr schmähen, hätte sich doch in letzterer Zeit glänzend bewährt.“

„Aber der Glanz wird vergehen,“ rief der Geistliche eifrig, „er wird verschwinden, wie er gekommen ist, und seine Spur wird nicht mehr zu sehen sein, wie die des Nordlichts am Horizont! Triumphiren Sie nicht über diese vorübergehenden Erfolge! Der Himmel läßt oft wunderbare Fügungen und Prüfungen zu; aber seine Langmuth ermüdet endlich. Dann greift er nach der Wage und hält sie zwischen Aufgang und Niedergang, gegen einander zu wägen, was wahr und falsch ist! Doch,“ unterbrach er sich einlenkend, „gehen Sie immerhin Ihre Wege, mein Herr! Es wird mir nicht einfallen, Sie belehren und von denselben abbringen zu wollen, aber suchen Sie nicht die Schäflein der mir anvertrauten Heerde zu verlocken, sonst dürfte ich doch Mittel finden, dieselben vor Ihnen zu schützen! Und Ihr, meine Lieben,“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 674. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_674.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)