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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

fuhr er, gegen die Bäuerin gewendet, fort, „Ihr wachet und betet, daß Ihr nicht wieder in Versuchung fallet, denn der böse Geist geht herum in der Welt wie ein brüllender Leu und sucht, wen er verschlinge … Es war etwas Hochwichtiges, was ich Euch mittheilen wollte, und weshalb ich Euch bat, mich hier zu erwarten aber andere Geschäfte rufen mich, die Zeit ist schon zu weit vorgeschritten, ich will meine Mittheilung auf eine andere und bessere Stunde verschieben. Ich werde Euch demnächst besuchen – ich danke dem Himmel, daß es mir endlich gelungen ist, ein Körnlein guten Samen in Euer Herz zu streuen; aber noch droht das Unkraut es zu überwuchern, das Körnlein bedarf der Obhut und Pflege des Säemanns … von allem Unkraut aber das schlimmste und gefährlichste ist böser Umgang, unheilige Gesellschaft, wovor ich Euch früher schon gewarnt habe … Seid meiner Worte eingedenk!“

Er ging; obwohl er mit Salbung und Feuer gesprochen, hatte er doch etwas an sich gehalten; die Nähe des ungläubigen Malers lastete auf seinem Redestrom wie ein unbequemer Dämpfer. Auch die Bäuerin wollte mit Tonerl hinweg, die unbekümmert um das Gespräch indessen zwischen den nächsten Grabhügeln dahin gewandert war und sich von einer Wermuthstaude ein silbergraues Blättchen pflückte, um es an ihr Mieder zu stecken, gleich als erkenne sie in dem bitteren Kraut das Zeichen und die rechte Zier für ihr leidvolles Herz.

„Komm’, Tonerl!“ rief ihr die Mutter zu. „Wir haben uns ein bissel zu lang verhalten, wir wollen den Weg am See hin machen! Es geht wohl eine Weil’ streng bergauf, aber es ist doch eine halbe Stund’ näher, und wir müssen ’reinbringen, was wir versäumt haben.“

„Funkenhauser-Bäuerin, noch ein Wort!“ rief ihr jetzt der Künstler nach, der eben sein Malgeräth zusammenpackte. „Ich habe nicht gewußt, daß es so bei Euch steht … da hat sich ja Manches, wie es scheint, sehr geändert, seit ich im vorigen Sommer mit dem frommen Herrn bei Euch auf dem Funkenhauserhofe zusammentraf. Wenn ich auch etwas in der Ferne saß, so habe ich doch gehört, wie und was Ihr damals mit ihm geredet habt, und ich hätte nicht geglaubt, Euch heute so wieder zu finden … Es müssen Euch ja merkwürdige Dinge zugestoßen sein! Aber immerhin, ich will Euch nichts einreden; bleibt bei den Gedanken und Empfindungen, die Euch bisher glücklich gemacht haben! Das Einzige aber muß ich Euch sagen: Wenn Ihr Euch vielleicht doch besinnen und mich als Miethsmann auf einige Wochen aufnehmen wolltet, so will ich es lieber offen gestehen: Wenn der Herr da oft in Euer Haus kommt, dann bleib’ ich lieber draußen.“

„Na, na, es ist so arg net, als der Herr vielleicht glaubt,“ sagte die Bäuerin kopfschüttelnd und mit leichtem Lächeln. „Daß die Mannerleut’, wenn s’ nur z’sammkommen, gar so gern streiten! Mein Seliger ist g’rad auch so g’wesen, und der Herr Cooperator, das is Einer von den gar Scharfen! Ich mag aber von all’ der Streiterei net viel wissen, und doch, im vorigen Jahr, wie er mir g’sagt hat, ich soll die Preußen, die lutt’rischen Leut’ net in’s Haus nehmen, wenn ich ihm da g’folgt hätt’, hätt’ ich mir viel Kreuz und Kummer erspart! Der arme Narr, von dem nichts mehr übrig ist, als die Tafel dorten an der Wand, der lebet’ vielleicht heut’ noch, und auf dem Funkenhauserhof thät’ eine lustige, rüstige Frau herumgeh’n, statt dem Mad’l dort, das den Kopf hängen laßt, wie ein Henn’l, das den Zipf hat! Wissen S', Herr Maler, der Weg geht am Funkenhauserhof vorbei; wer einkehren will, kriegt ein freundliches Gesicht und einen Grüßgott, ob’s nachher der Herr Cooperater ist oder ob Sie’s sind, Herr Maler die alte Funkenhauserin behalt’ schon ihren Kopf und laßt sich keinen neuen mehr aufsetzen! Und so b’hüt’ Gott und nix für unguet, Herr!“

Sie trennten sich. Der Maler schritt dem Wirthshause zu, wohl um sich nach einem Mittagsmahle umzusehen; das Paar wanderte den Steig zum See hinab, an dessen jenseitigem Ufer, von einer schönen, hochgelegenen Berghalde, der Funkenhauserhof so stattlich herabsah, daß ihm nur Thurm und Zinnen fehlten, um für ein Schlößlein oder eine Ritterburg zu gelten. Der anmuthige Weg zog sich erst durch etwas feuchte Wiesen und Aenger dahin, auf welchen zu beiden Seiten die Schmalzblume ihre hochgelben Rundkelche schaukelte, das Vergißmeinnicht seine blauen, fünfsternigen Blüthen verschüttet zu haben schien, und die Wiesenhyacinthe ihre braunrothen Dolden zwischen einzelnen, starren Schachtelhalmen oder den glänzenden Rundblättern des Cyclamen emporstreckte. Am Wege hin zog sich dichtes Gebüsch von Hasel, Schlehdorn und Weinschörl, die ihre Träubchen und rauhen Bartkätzchen wie spielend zu den Schmeelen und Taubnesseln nieder senkten, mit denen der Wegrain bewachsen war. Hart daneben spülte der See mit leise plätscherndem Anschlag auf die Kiesel und wiegte auf der seichten Uferfluth eine weiße Wasserrose mit saftigem Stengel und den breiten Blättern, welche um dieselbe herumschwammen, wie aufmerksame, dienstbeflissene Diener um ihre fürstliche Gebieterin. Unweit davon stand eine Gruppe schöner Edeleschen, die auf dem feuchten Grunde besonders gediehen und ihre gefiederten Blattbüschel zu einer dichten Krone zusammen bauschten, so daß die goldglänzenden Stämme wie Säulen aussahen und eine kleine, scheinbar künstlich angelegte Baumrotunde mit fast undurchdringlichem grünem Schattendach bildeten. Unter derselben war eine schlichte Sitzbank angebracht, zum Ausruhen wie zur bewundernden Umschau, denn es waren wenige Plätze am ganzen Gestade, die einen schöneren Ueberblick über den See gewährten. Hier lag an der linken Seite hin das Dorf mit Häusern und Bäumen, Dächern und Thurm in anmuthiger Einbuchtung; rechts gegenüber sprang der unten bewaldete Berg mit dem Funkenhauserhofe kräftig und wie gebieterisch in einem schönen Vorhügel empor; in der Mitte aber, über den Wasserspiegel hin, war das ganze Bild von einem breiten, majestätischen Felsgebirge abgeschlossen. Das Gebüsch am Wege und die mancherlei Krümmungen desselben verbargen das heimliche Plätzchen, daß es der Wanderer nicht eher gewahr ward, bis er in den Schatten selber trat und beinahe unmittelbar vor der Ruhebank stand.

Es war nur eine kurze Strecke Weges, welche Mutter und Tochter bis zum Eschenbühl zu wandern hatten, und dennoch brauchten sie geraume Zeit, denselben zurückzulegen; was sie einander zu sagen hatten, war nicht viel, aber gewichtig genug, um sie immer wieder zum Verweilen zu veranlassen.

„Glaubst Du, daß ich schier errathen kann,“ sagte die Bäuerin, „was der Cooperator uns hat sagen wollen?“

„Ich glaub’, ich kann’s auch, Mutter,“ nickte Tonerl entgegen. „Da ist die Lies’, die Tochter von dem armen Maier Hans – Du kennst sie ja. Die ist mein’ Cameradin g’wesen, wie wir miteinander in die Schul’ ’gangen sind. Seitdem sind wir aber auseinander ’kommen und haben keine zehn Wort’ mehr miteinander g’sprochen. Ich bin daheim; sie ist im Pfarrhof im Dienst. Der geistliche Herr hat neulich ein Wörtl davon fallen lassen, daß man net hochmüthig sein soll gegen seine Jugendfreund’ von der Schul’ her, wenn sie auch arm sind … Ich hab’ net gleich verstanden, was er damit hat sagen wollen, aber ein paar Tag’ darnach ist mir die Lies’ begegnet, ist stehen geblieben und hat mir ordentlich den Weg abg’wart’t. Sie hat mich trösten wollen, weil ich meinen Hochzeiter verloren hätt’ … ich sollt’ es machen, wie sie, sie hätt’ den bessern Theil erwählt und sich den himmlischen Bräutigam ausg’sucht, sie wollt’ sich nächstens einkleiden lassen als Klosterfrau auf’m Reitberg.“

„Er hat mir auch schon so ein Schlauderwörtl ’geben,“ sagte die Funkenhauserin, „und wie ist nachher Dein Sinn wegen dem Kloster?“

„Du hast es vorhin g’sagt, Mutter,“ entgegnete Toni, „daß es bei uns auf’m Funkenhauserhof so gar einsam ist – es kann auf dem Reitberg auch net einsamer sein; also glaub’ ich, daß es mich net hart ankommen thät’, im Kloster zu sein; aber ich glaub’ halt doch, ich hab’ keinen Beruf dazu. Ich bin an’s Arbeiten gewöhnt und könnt’ das müßige Leben net vertragen, und was das Beten anlangt, das kann ich bei uns daheim g’rad’ so gut, wie wann ich auf’m Reitberg eing’sperrt wär’, und vielleicht noch besser– Beten und Traurigsein,“ setzte sie nach kleiner Pause wiederholend mit leichtem Seufzer hinzu.

„Es ist mir lieb, daß Du so red’st,“ sagte die Bäuerin; „zwar, was die Traurigkeit angeht, wegen der laß’ ich mir kein graues Haar wachsen, die vergeht wieder. Aber wie soll’s sonst werden mit Dir? Du weißt, daß ich Dich nie genöthigt hab’; aber ich hätt’ Dich schon lang gern versorgt g’wußt und hätt’ gern Richtigkeit gemacht mit dem Funkenhauserhof, und jetzt ist’s mein erster Gedanken, wenn ich in der Früh’ aufsteh’, und der letzte, mit dem ich mich niederleg’ … es ist einmal net Gottes Willen gewesen, daß Du mit dem Ambros zusamm’kommen bist; aber es giebt noch g’nug richtige Mannerleut’ und brave Burschen, wo

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 675. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_675.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)