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verschiedene: Die Gartenlaube (1868)

Du Dir Ein’ aussuchen kannst. Da ist der Niederg’stettner neulich bei mir g’wesen, der meint …“

„Nein, Mutter, von dem will ich auch nix hören,“ unterbrach sie Tonerl rasch. „Aus der Welt will ich net; aber ich will doch einschichtig und ledig bleiben und will mit der Mutter forthausen.“

„Das ist ein dummes Gered’, das keine Heimath hat!“ eiferte die Alte. „Wie lang’ werd’ ich’s wohl noch treiben? Nachher bist Du ganz allein und dazu bist Du noch viel zu jung – das thut niemal net gut!“

„Aber die Mutter hat’s ja auch so g’macht! Wie oft hast mir’s erzählt, daß Du mit dem Vater net viel über ein Jahr verheirathet gewesen bist, und daß er g’storben ist, kurz nachdem ich auf d’ Welt ’kommen bin. Das ist jetzt schon an die zwanz’g Jahr – zu selbiger Zeit bist Du auch noch jung gewesen, Mutter, und ganz allein, und es hat doch gut ’than.“

„Ja ich,“ sagte die Bäuerin. „Ich! Bei mir ist das ’was Ander’s gewesen. Ich hab’ Dich g’habt und mein’ liebe Sorg’ und Noth, Dich aufzuzieh’n, und hernach … hernach hab’ ich meinen Mann, den Matthies, so viel gern g’habt; ich hätt’s ihm im Grab net anthun mögen, ein’ Andern zu nehmen.“

„Siehst, Mutter, g’rad’ so geht’s mir auch.“

„Ach mein,“ rief die Bäuerin, „das ist ein ganz ander’s Korn. So lang er gelebt hat, bist alleweil in Disputat mit ihm gewesen; jetzt, weil er todt ist, willst mir auf einmal weis machen, Du hätt’st den Ambros wunder wie gern g’habt.“

„Wer weiß, Mutter,“ sagte Toni nachdenklich, „wär’ das net möglich? Es mag wohl diemalen vorkommen, daß man erst hintennach einsieht, wie gut und treu es Eins g’meint hat mit uns und wie schlecht man’s ihm gedankt hat.“

„Mach’ mir keine Flausen vor! Ich bin kein heuriger Has’, den man im Krautgarten fangt! Ich seh’ wohl, Du willst mir ’was Blau’s vormachen, Du bist alleweil noch net g’scheidter wor’n, all mein Predigen und Zureden hat nichts g’holfen … Du hast alleweil noch den g’wissen Er in Kopf und Herz.“

„Und wenn’s so wär’, Mutter,“ sagte Tonerl stehen bleibend, „wär’ denn das was Unrecht’s?“

„Wohl ist’s ’was Unrecht’s,“ rief die Bäuerin eifrig. „Der Mensch muß für sich schauen, wie sein Weg geht, und was er unternimmt; dafür hat ihm unser Herrgott die Augen gegeben. Drum soll er sich Alles zuvor überlegen, ob er’s ausführen kann, und was er net ausführen kann, das soll er von vornherein net anfangen und soll sich’s aus dem Sinn schlagen, und wer das net thut, und wer sich auf a Sach’ verbeint und steift, die net möglich ist, wer baardu einen Stern haben will, den er doch net haben kann, weil die Stern’ festgemacht sind am Firmament – der verthut und vertragt seine kostbare Lebenszeit, die ihm vorg’messen ist nach der ewigen Ellen, und das ist wohl ein Unrecht, und ein groß’ Unrecht noch dazu, und das thust Du, weil Du als ein Bauernkind mit Dein’ alten christlichen Glaub’n von dem luttrischen Stadtherrn net lassen willst, der noch dazu Dein’ nächsten Freund den Garaus g’macht hat.“

„Nein, Mutter,“ sagte Toni treuherzig, „ich will mein’ Lebenszeit gewiß net verthun, ich will Alles redlich verrichten, was mein’ Schuldigkeit ist und was mir unser Herrgott auflegt – aber daß ich heirathen soll, das mußt net von mir verlangen, Mutter, das kann ich net. I will ja nix von – Du weißt schon, wen ich mein’! Ich laugn’s auch net; denn ich kann nix dafür und weiß selber net, wie’s so ’kommen ist – aber ich hab’ ihn halt gern, und erst jetzt, seitdem der Ambros todt ist, seitdem ich weiß, daß ich den Günther auf dieser Welt nimmer mehr zu sehen krieg’, jetzt g’spür’ ich’s erst, wie gern ich ihn hab’. Der Eh’stand ist eine heilige Sach’, Mutter. Ich möcht’ kein’ Andern nehmen; denn ich thät’ ihn doch betrügen, wenn ich ihm versprechen thät’, daß ich ihn gern haben wollt’. Ich könnt’s doch net halten, Mutter, meine Gedanken wären doch allweil – Du weißt schon, wo. Muß denn Einer g’rad’ g’storben sein, Mutter, daß man ihn nimmer vergessen kann? Der Herr Günther, wenn er auch noch so g’sund und wohlauf ist, ist für mich doch so gut, als wenn er zehnmal g’storben und begraben wär’ … schau, Mutter, da denk’ ich mir halt, wie Du beim Vater. Ich hab’ ihn so viel gern g’habt; ich möcht’s ihm im Grab’ net anthun, daß ich ein’ Andern nehmen thät’.“

Sie waren während dieser Reden langsam fortgewandert. Die Bäuerin wollte eben erwidern, als sie in die Baumgruppe traten und hart vor der Ruhebank standen, von welcher sich bei ihrem Anblick zwei ebenfalls in tiefe Trauer gekleidete Frauengestalten erhoben und ihnen, überrascht wie sie, gegenüberstanden.

Es waren ihre einstigen Sommergäste, Frau Schulze mit dem Fräulein.

Beide Parteien trauten ihren Augen kaum; beide standen wie festgebannt; die Blicke wurzelten auf einander, Keines war vor Ueberraschung eines Wortes mächtig. Auch die beiden Fremden hatten sich sehr gegen das vorige Jahr verändert, und es war nicht blos die schwarze Tracht, welche diese Veränderung hervorbrachte. Frau Schulze hatte viel von dem früheren, behäbigen Aussehen verloren, das sonst ihre Erscheinung so angenehm und gefällig gemacht hatte. Alwine war fast nicht mehr wiederzuerkennen. Ihre, Blässe hatte nicht zuzunehmen vermocht, wohl aber war sie noch hagerer geworden; das Antlitz war wie durchsichtig, als ob das Feuer der wunderbaren Augen, das mit noch überirdischerem Glanze daraus hervorstrahlte, nahe daran sei, die immer dünner werdende Körperhülle, hinter der es brannte, zu durchbrechen und dieselbe abzuwerfen wie einen verbrauchten Schleier. Alwine war sehr schwach, sie mußte sich beim Gehen auf den Arm der Mutter stützen; und doch that sie auch das so leicht, daß ihr Gang fast wie ein Schweben erschien; ihre in den Arm der Mutter gelegte Hand war keine Last, sie war wie ein Band, an welchem die Mutter hielt, damit ihr der Engel nicht zu früh entschwebe.

Eines Pulses Dauer standen sich die Frauen so gegenüber, dann trat die Funkenhauserin bei Seite in das Gras des Weges, um diesen den Fremden freizulassen; das Gesicht nach dem See hinausgewendet, stand sie und ließ dieselben ohne Gruß oder Zeichen der Beachtung an sich vorübergehen. Toni hatte einen Augenblick geschwankt, ob sie die Begegnenden ansprechen sollte; dann aber wendete auch sie sich ab und langte zuckend nach der Stelle, an welcher der Wermuthstrauß in ihrem Mieder steckte, als ob es ihr dort einen Stich gegeben habe mitten in’s Herz. Auch Frau Schulze und Alwine gingen weiter; dann blieben Beide stehen, blickten sich einen Moment in die Augen und wandten sich dann, den fortschreitenden Bäuerinnen nachzusehen; schon hatten diese den Ausgang des Eschenhains erreicht, als ihnen Frau Schulze nachrief: „Wie, Funkenhauser-Bäuerin,“ sagte sie, „ist es denn möglich, daß wir so aneinander vorübergehen? Wir haben so lange in Eurem Hause gelebt, wir waren so gern dort und verlebten mit Euch so viele schöne Stunden – Ihr seid uns auch gut gewesen, und nun sollen wir uns nicht einmal begrüßen und aneinander vorübergehen, wie vollkommen fremde Menschen? Wir sind als Feinde, im Zorne voneinander gegangen,“ fuhr sie fort, als die Funkenhauserin zwar stehen blieb, aber ohne näher zu treten. „Wir hätten das nicht thun sollen, es wäre vielleicht Manches zu verhindern gewesen, wenn wir es nicht gethan hätten. Wollen wir auch jetzt wieder so auseinander gehen, da wir doch wohl gewiß wissen, daß wir uns nicht mehr wiedersehen?“

Die Bäuerin stand noch immer unbeweglich und schwieg; Toni hatte sich abgewendet und starrte nach dem Funkenhauserhofe hinauf.

„Wir Beide,“ begann Frau Schulze wieder, „haben Euch so wenig ein Leides gethan, als Ihr uns – wir tragen keine Schuld an dem Unglück, das Euch begegnet ist. Das haben Mächte gethan, denen wir Frauen nicht zu gebieten vermögen, und in deren Walten wir uns einfach ergeben müssen; aber wir fühlen mit, was Euch begegnet ist! Glaubet mir, wenn ich Euch sage, daß es uns gleich schwer getroffen hat wie Euch!“

„Was? Ihnen auch?“ rief die Bäuerin, jetzt näher tretend, während Toni noch weiter bei Seite trat und, als ob sie eine leichte Schwäche anwandelte, sich an die Sitzbank lehnte. „Wie soll ich denn das verstehen, Frau Schulze? Und jetzt seh’ ich’s erst, daß Sie auch in der Klag’ sind! Sie haben also auch Jemand verloren, wie wir … Da darf und will ich wohl net weiter fragen, wer’s ist, den Sie verloren haben, ich kann mir’s ohne dem einbilden …“ fuhr sie nach kurzem Schweigen näher tretend fort. „Sie haben Recht, Frau Schulze … wir sind Leidensgefährten und müssen net so aneinander vorbeigehen. Wir sind ja Alle heutige Menschen; wie bald ist’s um Einen g’schehen, und man kann nix mehr gut machen, und wenn’s Einen noch so

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verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 676. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_676.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)