verschiedene: Die Gartenlaube (1868) | |
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sehr reut. Ich hab’ mir’s schon oft g’dacht, es wär’ vielleicht besser g’wesen, wir hätten uns net kennen gelernt; aber feind wollen wir einander net sein. Drum sag’ ich: Grüß Gott, Frau Schulze! Grüß’ Ihnen Gott, Fräul’n Wine! So haben Sie doch die alte Gegend wieder aufg’sucht?“
„Ja,“ entgegnete Frau Schulze. „Ihr wißt, wie sehr meine Tochter gerade dieses Thal liebt, dessen Luft ihr so sehr behagt. Der Arzt hat ihr, weil sie doch nicht hier bleiben kann, den Aufenthalt im südlichen Tirol verordnet, und als der Weg uns durch Euer Thal führte, wollte Alwine wenigstens den Ort wiedersehen, der ihr so theuer ist. Deshalb haben wir diesen Punkt besucht. Drüben im Gasthause wartet der Wagen nur auf unsere Rückkehr, um die Reise fortzusetzen.“
Gegen die Neige des letzten Winters wogte durch die weiterleuchteten Säle des Ministerialgebäudes in der Wiplingerstraße zu Wien eine unabsehbare Menschenmenge. Alles was in der Hauptstadt des Kaiserreichs sich irgendwie bemerkbar macht, gleichviel ob durch das Schwert oder die Feder, durch Abkunft oder durch Verdienst, oder nur irgend ein bischen Einfluß erworben, sei es durch die Geduld und die Kunst des Sitzens in der Kanzlei oder durch reges Drängen auf dem Markte, war zur Abendgesellschaft auf dem Ministerium des Innern geladen. Auch kann nicht Wunder nehmen, daß in diesem bunten Gemisch von Leuten der Kirchenfürst den Zeitungsschreiber, der Kriegsoberste den Speculanten, der Prinz von Geblüt den Bauernsohn streifte.
Die Wiederkehr des goldenen Zeitalters, die Verwirklichung der
Sage von freundlichem Verkehr zwischen Wolf und Lamm hätte
kaum etwas Ueberraschenderes, als diese Verschmelzung der Stände,
wenn auch nur für einen Abend, in der Stadt, wo die gesellschaftlichen
Classen einander von jeher unerbittlich schroff abgestoßen.
Schicksalsschläge haben eine reformatorische Gewalt, deren sich
kein Staatsmann und kein Prophet rühmen können, und ein
Kanonenschuß richtet mehr aus als tausend warnende Stimmen,
als die weisesten Auseinandersetzungen. Von jeher waren die
eindringlichsten Offenbarungen diejenigen, welche sich im Sturme
geltend gemacht haben.
Am Eingang in die lichterfüllten Gemächer stand der freundliche
verschiedene: Die Gartenlaube (1868). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1868, Seite 677. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1868)_677.jpg&oldid=- (Version vom 28.10.2021)